II.
All’ diese Übel entsprangen aus der Mißgunst, so die Verleumdungen, die gegenseitigen Anklagen, die Parteiungen. Denn wie eine verderbliche Wurzel, so erzeugte die Mißgunst Bitterkeit, Anklage und Überhebung und alle weiteren Übel und zog auch ihrerseits wieder neue Kraft aus ihnen.
21. Daß nicht wieder, wenn ich komme, ein Gott mich demüthige in Bezug auf euch.
Auch im „wieder“ liegt ein Vorwurf. Genug ist es schon mit dem Früheren, will er sagen; ein Gedanke, den er schon Anfangs aussprach in den Worten: „Aus Schonung für euch bin ich nicht nach Korinth gekommen.“ Siehst S. 444 du, wie er den Ausdruck des Zürnens mit dem der Liebe zu verbinden weiß? Was heißt aber: „Daß Gott mich demüthige“? Es ist ja doch eine ehrenvolle Sache, zu erweisen und zu strafen, zur Verantwortung zu ziehen, auf dem Richterstuhle zu sitzen; und doch nennt es Paulus Demüthigung. So weit ist er entfernt, sich jener Demüthigung zu schämen, daß nämlich seine leibliche Gegenwart schwach und das Wort verächtlich sei, daß er sogar fortwährend so zu bleiben und vom Gegentheil für immer verschont zu sein wünscht. Und er spricht Das im Verlaufe deutlicher aus und hält Das zumeist für Demüthigung, wenn er sich in die Nothwendigkeit versetzt sähe, zu züchtigen und zu strafen. Und weßhalb sagt er nicht: „Daß ich, wenn ich komme, nicht gedemüthigt werde,“ sondern: „Daß mein Gott mich nicht demüthige“? Wäre es nicht, will er sagen, um Gottes willen, so würde ich nicht darauf achten, mich nicht darum kümmern. Denn nicht aus eigener Vollmacht oder nach Willkür ziehe ich zur Strafe, sondern nach dem Auftrage Gottes. Weiter oben nun drückt er Das mit den Worten aus: „Ich könnte erfunden werden, wie ihr nicht wünscht; hier aber mäßigt er sich und führt eine mildere und sanftere Sprache, wenn er sagt: „Daß ich Viele betrauern müsse, die gesündigt haben.“ Nicht einfach: „Die gesündigt haben,“ sondern: „Die nicht Buße gethan haben.“ Und er sagt nicht: Alle, sondern: „Viele“, und auch Diese macht er nicht eigens namhaft, um ihnen so leichte Rückkehr zur Buße zu gewähren; und dann um zu verstehen zu geben, daß die Buße die Versündigungen wieder gut zumachen vermag, so betrauert er Die, welche nicht Buße thun, welche unheilbar darniederliegen, welche in ihrer Wunde bleiben.
Wunderbare apostolische Tugend, wenn Paulus, ohne sich selbst etwas Schlimmes bewußt zu sein, über das fremde Böse weint und über Anderer Versündigungen sich gedemüthigt fühlt! Denn Das ziemt zumeist dem Lehrer, daß S. 445 ihm so das Unglück der Schüler zu Herzen geht, daß er trauert und klagt über die Wunden der Seinigen. Dann nennt Paulus auch die Art der Sünde: „Ob der Ausschweifung und Unreinigkeit, die sie begangen haben.“ Der Apostel selbst hat nun hier zunächst die Unzucht im Auge; will man aber der Sache genau auf den Grund sehen, so kann man jede Art von Sünde unter diesem Namen begreifen. Denn ist auch an erster Stelle der Unzüchtige und der Ehebrecher unrein, so verursachen doch auch die übrigen Sünden der Seele Unreinigkeit. Darum nennt denn auch Christus die Juden unrein und damit macht er ihnen nicht bloß Unzucht zum Vorwurf, sondern auch andere Schlechtigkeit. Darum sagt er von ihnen auch, daß sie nur das Äussere reinigten, und „Nicht was eingeht (zum Munde), verunreinigt den Menschen, sondern was ausgeht;“1 und anderswo ist gesagt: „Unrein ist vor dem Herrn jedes hochmüthige Herz.“2
Und ganz natürlich. Denn Nichts ist reiner als die Tugend, Nichts unreiner als das Laster; die Tugend ist strahlender als die Sonne, das Laster schmutziger als der Pfuhl. Und Das bezeugen sie wohl auch selbst, jene Menschen, die sich im Schlamme wälzen, und die in der Finsterniß weilen, wenn man ihnen nur ein wenig die Augen öffnet. Denn solange sie sich selbst überlassen und vor Leidenschaft trunken sind, so leben sie wie in der Finsterniß dahin und liegen ungebührlich und schmählich da; sie fühlen es wohl auch jetzt, wo sie eigentlich sind, aber nicht deutlich genug. Doch wenn sie einen tugendhaften Mann sehend der sie aufmerksam macht, oder der auch nur ihrem Auge sich zeigt, so durchschauen sie deutlicher ihr Elend, und wie vor dem Eindringen eines Lichtstrahles suchen sie dann ihre Schande zu verbergen und erröthen vor Denen, S. 446 die darum wissen, der Freie vor dem Sklaven, der Könige vor dem Unterthan. So sah Achab den Elias und schämte sich, bevor dieser noch ein Wort gesprochen hatte; der bloße Anblick hatte ihn überführt; und während der Ankläger schwieg, sprach der König über sich selbst das Urtheil, indem er ganz in der Sprache der Überführten rief: „So hast du mich gefunden, mein Feind!“3 So kühn und offen war die Sprache, die schon die Erscheinung des Elias mit dem Tyrannen führte.
So konnte auch Herodes die beschämenden Vorwürfe nicht ertragen; — denn wie ein mächtiger, hell leuchtender Strahl, so zeigte ihm der Ruf aus prophetischem Munde deutlicher seine Schuld; — darum ließ er den Johannes in’s Gefängniß werfen; er machte es dabei wie ein Nackter, der das Licht auszulöschen sucht, um wieder in der Dunkelheit zu sein. Oder vielmehr er selbst wagte das Licht nicht auszulöschen, sondern setzte es gleichsam unter den Schäffel in das Verließ; aber jene Elende und Unselige brachte es dahin, daß es ausgelöscht wurde. Aber auch so vermochten sie nicht ihre Schuld zu verbergen, sondern breiteten nur um so weiter die Kunde aus. Denn wer da immer fragte, warum Johannes im Gefängnisse liege, der erfuhr auch den Grund, und seither Alle, die Land und Meer bewohnen, die vergangenen, die gegenwärtigen, die künftigen Geschlechter, Alle wußten deutlich und wissen um diese verbrecherischen Schauspiele ihrer Ausschweifung und ihrer Blutgier, und keine Folgezeit kann die Erinnerung daran verlöschen.