VI.
Wir aber stehen um das Gedeihen des Samens. Wie nämlich der Pflug über fettes Erdland hin tiefe Furchen zieht, so, beten wir, möge es auch hier geschehen, auf daß sie erneut in der Tiefe ihres Herzens den Samen aufnehmen und alles Gehörte sorgfältig bewahren. Darum die weitere Bitte: „Und seinen Glauben befestige in ihrem Innern;“ nämlich daß der Same nicht oben liegen bleibe, sondern in die Tiefe seine Wurzeln treibe.
„Daß er ihnen enthülle das Evangelium der Gerechtigkeit.“ Es gibt eine zweifache Hülle, die eine über dem Auge des Geistes, die andere über dem Evangelium. Darum hieß es vorher: „Daß er öffne die Ohren ihrer Herzen“ und jetzt: „Daß er ihnen enthülle das Evangelium der Gerechtigkeit;“ das heißt, daß er ihnen zuerst Einsicht und Empfänglichkeit gebe, dann sie unterweise und den Samen streue. Denn was würde die Empfänglichkeit helfen, wenn Gott nicht die Hülle vom Evangelium nimmt? Und was hilft die Wegnahme der Hülle, wenn sie das Evangelium nicht aufnehmen? Der Schaden bleibt sich immer gleich. Darum bitten wir für die Katechumenen um Beides, um die Öffnung ihrer Herzen und um Wegnahme der Hülle vom Evangelium, und Beides erlangen sie, wenn sie es nur ernstlich wollen. Denn wenn über königlichem Schmucke eine Decke liegt, was hat das Auge vom Hinschauen? Und ist die Decke weggenommen, es schläft aber das Auge, was hilft das mehr? — Aber was ist denn gemeint unter dem „Evangelium der Gerechtigkeit“? Es ist das Evangelium, welches gerecht macht. Diese Worte sollen in den Katechumenen die Sehnsucht nach der Taufe erwecken, indem ja das Evangelium nicht bloß Nachlassung der Sünden, sondern auch Gerechtigkeit bewirkt.
S. 43 „Daß er ihnen gebe einen gotterfüllten Sinn, nüchternes Denken und tugendsamen Wandel.“ Das mögen die Gläubigen hören, alle, die am Irdischen haften! Denn wenn wir für die noch Ungetauften um solche Gaben bitten, worauf sollen dann wir Herz und Sinn gerichtet haben, die wir für Andere um Solches bitten ? Der Wandel nämlich muß im Einklange stehen mit dem Evangelium. Darum geht auch die Ordnung des Gebetes von der Lehre über zum Leben. Denn vorerst sprach der Diakon: „Daß Gott ihnen enthülle das Evangelium der Gerechtigkeit“ und jetzt: „Daß er ihnen gebe einen gotterfüllten Sinn.“ Wann ist aber der Sinn gotterfüllt? Wenn Gott in ihm wohnt. Denn „ich werde,“ heißt es, „wohnen in ihnen und wandeln.“1 Wenn nämlich die Seele ablegt die Sünde und mit Gerechtigkeit sich bekleidet, so wird sie zur Wohnung Gottes; und wenn Gott in ihr wohnt, so schwindet, was menschlich ist. Und so wird die Seele gotterfüllt, und Alles, was sie redet, ist von Gott, da sie ja wirklich das Haus des in ihr wohnenden Gottes ist. Wo demnach unlautere Reden, wo Gefallen an ungeziemenden Scherzen und Possen, da ist kein gotterfüllter Sinn. — „Nüchternes Denken.“ Wann ist denn das Denken nüchtern? Wenn die Seele gesund ist. Wo also schlimme Leidenschaft herrscht und gänzliches Aufgehen in’s Irdische, da ist keine Nüchternheit, keine Gesundheit. Denn ein solcher Mensch verlangt gleich dem Fieberkranken nach Dingen, die ihm schädlich sind. — „Und tugendsamen Wandel.“ Denn zum Glauben muß der rechte Wandel kommen. Höret Das ihr, die erst am Ende des Lebens zur Taufe gehen! Wir beten für euch um frommen Wandel nach der Taufe; du aber trachtest und thust Alles, um ohne den guten Wandel aus dem Leben zu scheiden. Denn wie, wenn du zwar gerechtfertigt wirst, aber aus dem S. 44 Glauben allein? Wir aber beten für dich auch um die Zuversicht, die aus den guten Werken kommt.
„Daß er ihnen verleihe, immerdar, was Gottes ist, zu denken, was Gottes ist, zu sinnen, was Gottes ist, zu betrachten.“ Denn um nüchternes Denken und tugendhaften Wandel beten wir nicht bloß für den einen oder anderen Tag, sondern für alle Tage des Lebens und besonders um Das, was die Grundlage aller Tugenden ist, daß wir Sinn und Gedanken auf das Göttliche richten. Denn „die Meisten suchen das Ihrige, nicht was Jesu Christi.“2 Aber wie erreichen wir Das? Denn zum Gebete muß auch unser eigenes Bemühen kommen. Wenn wir im Gesetze Gottes weilen Tag und Nacht. Daher die weitere Bitte: „In seinem Gesetze zu weilen Tag und Nacht.“ Also beim Göttlichen sollen unsere Gedanken sein immerdar, in seinem Gesetze sollen wir weilen Tag und Nacht. So schäme ich mich denn wegen Solcher, die kaum einmal im Jahre in der Kirche erscheinen. Denn womit können sie sich entschuldigen, wenn sie Tag und Nacht nicht etwa bloß einfach mit dem Gesetze sich beschäftigen, sondern im Gesetze verweilen, das heißt über das Gesetz gründlich nachdenken sollen, und nun nicht einmal den kleinsten Theil des Lebens dazu verwenden, Gottes Gebote sich zu vergegenwärtigen und Gottes Anordnungen zu befolgen?