III.
So verharren wir denn in genauer Festhaltung dieser Lehren und in eifrigem Streben nach der Liebe Gottes! Denn vorerst hat Gott Hassende geliebt und Feinde zu Gnaden aufgenommen; von jetzt an will er Liebende lieben. So verharren wir denn in seiner Liebe , um auch von ihm geliebt zu werden. Denn wenn wir schon, sobald Mächtige der Erde uns lieben, Allen ein Gegenstand der Ehr- S. 478 furcht sind, dann um so mehr, wenn Gott uns liebt. Und gilt es Vermögen oder Leib oder das Leben selbst für diese Liebe hinzugeben, so wollen wir uns nicht sorglich bedenken. Denn es genügt nicht, mit Worten zu versichern, daß wir lieben, es bedarf auch des Nachweises durch die That. Gott selbst hat ja ebenfalls nicht bloß in Worten, sondern auch durch Thaten seine Liebe gezeigt. So zeige denn auch du sie durch die Werke und thue, was Gott wohlgefällig ist; denn so ärntest du selbst wiederum die Frucht! Denn Gott bedarf ja Nichts von uns; und darin zeigt sich gerade die Lauterkeit seiner Liebe, daß er, ohne Etwas zu bedürfen oder nöthig zu haben, Alles thut, um von uns geliebt zu werden. Darum sprach auch Moses: „Denn was verlangt Gott der Herr von euch, als daß du ihn liebest und bereit seiest, hinter ihm herzugehen?“1 Wenn Gott daher befiehlt, ihn zu lieben, so zeigt er am deutlichsten, daß er dich liebt. Denn Nichts verhilft uns so zum Heile, als wenn wir ihn lieben. Siehe nur, wie auch all’ seine Gebote auf unsere Ruhe und Seligkeit und Verherrlichung zielen! Denn wenn er sagt: „Selig die Barmherzigen, selig, die reinen Herzens sind, selig die Sanftmüthigen, selig die Armen im Geiste, selig die Friedfertigen,“2 so hat er davon keinerlei Gewinn, nur uns will er mit diesen Geboten den Weg zur Herrlichkeit zeigen. Und wenn er sagt: „Ich war hungrig,“ so sagt er es nicht, als ob er unseres Dienstes bedürfte, sondern um dich zur Barmherzigkeit zu bewegen. Denn er vermag auch ohne dich den Armen zu speisen, und nur um dir den größten Schatz zuzuwenden, hat er Dieß aufgetragen. Wenn die Sonne, die doch ein Geschöpf ist, nicht unserer Augen bedarf, — denn sie behält ihren eigenthümlichen Glanz, auch wenn Niemand sie schaut, — wenn wir es sind, die ihre Strahlen genießen, so ist Das noch weit mehr bei Gott der Fall.
S. 479 Und damit du diese Wahrheit noch von anderer Seite kennen lernest, so höre! Wie groß soll ich wohl den Abstand setzen zwischen Gott und uns? etwa so groß wie zwischen Mücken und uns oder noch viel größer? Offenbar viel größer und unermeßlich groß. Wenn nun wir, dieses ehrgeizige Geschlecht, der Hilfe und Ehre von Seite der Mücken nicht bedürfen, wie viel weniger bedarf dann unser das göttliche Wesen, das keine Leiden und keinen Mangel kennt. Es hat also von uns nur soviel Genuß, als es uns Wohlthaten spendet und sich an unserer Seligkeit freut. Darum sieht auch Gott oftmals vom Seinigen ab und sucht das Deine. Denn „hat Jemand,“ heißt es, „ein ungläubiges Weib, und sie willigt selbst ein, mit ihm zu wohnen, so entlasse er sie nicht!“3 „Wer aber ein Weib entläßt ausser auf Grund des Ehebruches, der veranlaßt sie, die Ehe zu brechen.“4 Siehst du die unaussprechliche Güte? Ist das Weib Ehebrecherin, sagt Gott, so zwinge ich nicht, mit ihr zu wohnen; ist sie aber ungläubig, so hindere ich es nicht; und wiederum. Hast du Etwas wider Jemand, so heisse ich meine Gabe liegen zu lassen und zu Dem zu eilen, der dich betrübt hat. „Wenn du deine Gabe schon darbringst,“ heißt es, „und du erinnerst dich dort, daß dein Bruder etwas wider dich hat, so laß deine Gabe vor dem Altare und eile; versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm’ und opfere deine Gabe!“5
Und das Gleichniß vom Knechte, der Alles vergeudet hat, lehrt es uns nicht Dasselbe? Denn als er die zehntausend Talente verschwendet hatte, da erbarmte der Herr sich seiner und ließ ihn los; als er aber vom Mitknechte die hundert Zehner verlangte, da nannte er ihn böse und übergab ihn der Strafe; so wichtig ist ihm dein Glück und deine Ruhe. Wider das Weib S. 480 des Gerechten war der heidnische König in Gefahr zu sündigen, und Gott sprach: ,,Ich habe deiner geschont, da du nicht sündigtest wider mich.“6 Die Apostel verfolgte Paulus, und der Herr sprach zu ihm: „Was verfolgst du mich?“ Andere hungern, und er sagt, daß er selbst hungere und nackt und fremd umhergehe, um dich heilsam zu beschämen und dir so die Gedanken des Almosens nahe zu legen.
Da wir nun die Liebe erwägen, die Gott uns in Allem erwiesen hat und erweist, indem er vorerst sich gewürdigt hat, sich uns zu erkennen zu geben, was eben der Güter größtes und höchstes ist und Licht des Geistes und Lehre der Tugend, dann indem er uns ein gottgefälliges Leben zur Vorschrift gemacht und Alles um unsertwillen gethan hat, auch den Sohn hingegeben und das Reich versprochen und zu den unaussprechlichen Gütern uns berufen und das glückseligste Leben uns bereitet hat, so wollen wir in Wort und That Alles thun, um auch seiner Liebe würdig zu erscheinen und der künftigen Güter theilhaftig zu werden. Mögen uns diese allen zu Theil werden durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater zugleich mit dem heiligen Geiste Ruhm, Macht und Ehre jetzt und immer und zu ewigen Zeiten. Amen.