II.
14. Ich hoffe aber, daß ihr auch bis an’s Ende erkennen werdet.
Siehst du wieder, wie der Apostel die Vergangenheit als Pfand für die Zukunft setzt, und nicht die Vergangenheit allein, sondern auch die Macht Gottes? Denn seine Versicherung ist keine unbedingte, sondern er verweist Alles auf Gott und seine Hoffnung zu Gott. — „Daß wir S. 55 euer Ruhm sind, sowie auch ihr der unsrige, am Tage unsers Herrn Jesus Christus.“ Hier will Paulus dem unlieben Eindrucke, den jenes Rühmen vielleicht gemacht hatte, begegnen, und zwar dadurch, daß er die Korinther zu Theilnehmern und Genossen des Ruhmes seines apostolischen Wirkens macht. Nicht auf mich allein, sagt er, beschränkt sich der Ruhm, sondern von mir geht er über auf euch und von euch wieder auf mich. Weil er nämlich sich selbst hervorgehoben, weil er auf seine Vergangenheit sich berufen und für die Zukunft sich verbürgt hat, so befürchtet er, es möchten etwa die Zuhörer ob des anscheinend hohen Rühmens ungehalten und gegen ihn eingenommen werden. Darum erklärt er ihnen, auch sie hatten Anlaß zum Rühmen und dürften gleiches Lob für sich in Anspruch nehmen. Denn wenn wir, sagt er, so rühmenswerth uns zeigen, so gereicht unser Lob auch euch zum Ruhme, gleichwie auch wir uns freuen, frohlocken und triumphiren, wenn ihr mit Ehren dastehet. — Hier erkennen wir wieder die tiefe Demuth des Apostels. Denn die ganze Rede ist so gehalten, als spräche nicht der Lehrer zu Schülern, sondern ein Schüler zu Seinesgleichen. Und wie weiß er die Korinther zu erheben und ihren Blick zu erweitern, indem er sie in Gedanken an jenen Tag versetzt! So redet mir denn nicht mehr, will er sagen, von der Gegenwart, das ist von Schimpf, Schmach und Spott des großen Haufens; denn Nichts ist groß hier auf Erden, weder Freude noch Leid, weder Spott noch Ehre vor den Menschen; sondern jenes Tages gedenket mir, des furchtbaren, schauerlichen, an dem Alles an’s Licht kommt! Da werden wir uns gegenseitig Anlaß zu freudigem Rühmen sein; denn da wird es zu Tage treten, daß ihr Lehrer gehabt, deren Lehre rein, deren Inneres lauter, deren Wandel untadelig gewesen, und wir Schüler, die ohne Schwäche und ohne Wanken, die unser Wort mit Freuden aufgenommen und gegen alle Verlockungen bewahrt haben. Jetzt freilich ist Das nur den Einsichtsvollen klar, dann aber allen Menschen. Leiden wir darum S. 56 gegenwärtig auch Bedrängniß, so haben wir doch einen zweifachen, nicht geringen Trost: den einen gewährt uns schon jetzt das eigene Bewußtsein, der andere ist uns aufbewahrt für den Tag der allgemeinen Offenbarung. Jetzt weiß es zwar nur unser eigenes Innere, daß die Gnade Gottes die Seele unseres ganzen Wirkens ist, und auch ihr wißt es, für Gegenwart und Zukunft; dann aber werden alle Menschen unser und euer Wollen und Streben klar erkennen, und Alle werden sehen, wie wir uns gegenseitig zur Verherrlichung dienen. Es sollte nämlich nicht scheinen, als wolle Paulus an jenem Tage allein im Glanze des Ruhmes ob solcher Schüler strahlen; darum räumt er gerne auch den Schülern das Recht ein, sich ihres Lehrers zu rühmen, und lenkt so ihr Auge weg von den Trübsalen der Zeit. Und wie er es beim Troste gemacht, indem er sprach: „Um euretwillen werden wir getröstet;“ so macht er es hier auch mit dem Ruhme, indem er sagt: „Ihr seid uns, und wir sind euch Anlaß zum Rühmen.“ Und so läßt er sie Theil nehmen an Allem, am Troste, an den Leiden, an seiner Rettung; denn auch seine Erhaltung schreibt er ihren Gebeten zu, wenn er sagt: „Da auch ihr mithalfet im Gebete für uns, hat Gott uns errettet.“ So macht er denn hier auch das Rühmen gemeinsam. Denn gleichwie er dort sagt: „Wir wissen, daß, wie ihr Gefährten der Leiden seid, so auch des Trostes,“ so auch hier: „Wir sind euer Ruhm, gleichwie ihr der unsrige.“
15. Und in diesem Vertrauen wollte ich früher zu euch kommen, damit ihr eine zweite Gnade hättet.
Was ist denn das für ein „Vertrauen?“ Es ist, meint er, meine feste Zuversicht zu euch, meine sichere Hoffnung, daß wir uns gegenseitig zum Ruhme gereichen; es ist meine innige Liebe zu euch, mein reines Bewußtsein, meine innerste Ueberzeugung, daß an mir Alles dem Geiste S. 57 gemäß ist, und daß ihr selbst mir Dieses bezeugen müßt. — „Ich beabsichtigte zu euch zu kommen und bei euch durchzureisen nach Macedonien.“ Aber wie? Im ersten Briefe hatte ja Paulus das Gegentheil versprochen, indem er schrieb: „Ich werde zu euch kommen, wenn ich Macedonien durchwandert habe; denn über Macedonien will ich gehen.“1 Und hier nun gerade umgekehrt; wie erklärt sich Das? Er sagt nicht das Gegentheil, durchaus nicht; denn was er hier sagt, steht wohl im Gegensatze zu Dem, was er geschrieben, aber nicht zu Dem, was er im Sinne hatte. Daher sagt er auch nicht: Ich habe geschrieben, bei euch durchzureisen nach Macedonien, sondern: Ich beabsichtigte es. Denn obgleich ich anders geschrieben, so war es doch mein Wunsch und Wille, sogar vor der Zeit zu euch zu kommen; so ferne lag mir die Absicht, später, als bestimmt war, einzutreffen, daß ich meinem Versprechen sogar voraneilen wollte. — „Damit ihr eine zweite Gnade hättet,“ das ist eine zweimalige Gnade, die eine aus meinem Schreiben, die andere in Folge meiner Anwesenheit. Denn unter „Gnade“ versteht er hier die Freude.
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I. Kor. 16, 5. ↩