II.
So war denn Timotheus wieder zu seinem Lehrer gekommen und hatte in Gemeinschaft mit ihm die Angelegen- S. 13 heiten in Asien geordnet: denn „ich werde in Ephesus bleiben bis Pfingsten“1 hatte Paulus geschrieben. Dann waren sie mit einander nach Macedonien gegangen, und so finden wir jetzt diese Zusammenstellung leicht begreiflich. Denn dieser zweite Brief ist aus Macedonien, während der erste aus Asien kam. Diese Gleichstellung ist eine hohe Ehre für den Jünger und zeigt die tiefe Demuth des Meisters. Wohl war zwischen Beiden ein großer Abstand, aber die Liebe verbindet Alles. Und so stellt er überall den Timotheus als sich ebenbürtig dar. Bald sagt er: „Wie dem Vater das Kind, so hat er mit mir gedient,“2 und bald: „Das Werk des Herrn wirkt er wie auch ich.“3 Hier nennt er ihn auch „Bruder“, um ihn auf alle Weise den Korinthern ehrwürdig zu machen. Denn derselbe war bereits, wie bemerkt, in Korinth gewesen und hatte Proben seiner Tüchtigkeit gegeben. — „An die Kirche Gottes in Korinth.“ Wiederum (wie im ersten Briefe) nennt er sie Kirche, gläubige Gemeinde, denn er will Alle zusammenschließen und zur Einheit verbinden. Denn wo Spaltung und Zwietracht unter den Gliedern herrscht, da kann nicht von einer Gemeinde die Rede sein. — „Sammt den Heiligen allen in ganz Achaja.“ Damit ehrt er zugleich die Korinther, indem er im Briefe an sie Alle grüßt, und umschließt das ganze Volk mit einem gemeinsamen Bande. „Heilige“ nennt er sie zum Zeichen, daß, wer etwa unrein ist, keinen Theil hat an diesem Gruße. Was mag ihn aber veranlassen, gegen die sonst übliche Weise den Brief an die Mutterkirche für Alle in Achaja gelten zu lassen? Es gilt ja der Brief an die Thessaloniker nicht auch für Macedonien, das Schreiben an die Ephesier schließt nicht das gesammte Asien ein, der Brief an die Römer ist nicht auch an die Bewohner Italiens gerichtet. Nur hier finden wir diese all- S. 14 gemeine Geltung und im Briefe an die Galater; denn auch der wendet sich nicht an die eine oder andere Stadt, sondern an die Gläubigen alle in jenem Lande. So lautet nämlich der Eingang: „Paulus, Apostel nicht von Menschen noch durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott den Vater, und die bei mir sind alle die Brüder, an die Kirchen Galatiens. Gnade euch und Friede!“4 Und auch an die Hebräer in ihrer Gesammtheit richtete er einen Brief, ohne sie nach Städten zu unterscheiden. Warum nun bei diesen eine Ausnahme? Ich glaube, der Grund liegt in der Allgemeinheit der Gebrechen; der Brief gilt darum für Alle, weil Alle der Belehrung bedurften. So zeigten sich bei allen Galatern die gleichen Schäden, so bei allen Hebräern, so wohl auch bei den Bewohnern Achajas. Darum wendet sich der Apostel an das ganze Volk und begrüßt sie alle mit dem üblichen Segenswunsche: „Gnade euch und Friede von Gott dem Vater und dem Herrn Jesus Christus!“ Und jetzt höre, wie prächtig zu dem Gegenstande, den er behandeln will, der Eingang paßt: „Gepriesen sei der Gott und Vater unsers Herrn Jesus Christus, der Vater der Erbarmungen und Gott alles Trostes.“ Aber wie, sagst du, soll denn Das gar so gut passen? Ganz vortrefflich, sage ich. Erwäge nur! Es betrübte und beunruhigte die Korinther in hohem Grade das lange Fernbleiben des Apostels. Er hatte ja versprochen, zu kommen, und jetzt hatte er die ganze Zeit in Macedonien hingebracht. Andere, mußten sie glauben, gelten mehr als wir. Um nun dieser Unruhe zu begegnen, will er den Grund angeben, warum er nicht kommen konnte. Doch legt er den Grund nicht einfach dar, er sagt nicht etwa: Ich weiß, daß ich versprochen habe, zu kommen, aber schwere Drangsale haben mich gehindert; so seid denn nachsichtig und zeihet mich nicht eines S. 15 stolzen oder wandelbaren Sinnes! Die Weise, wie er es angeht, hat etwas mehr Feierliches und Überzeugendes. Denn der Hinweis auf den göttlichen Trost verlegt die Sache auf ein höheres Gebiet und schneidet jede weitere Frage nach der Ursache der Verspätung ab. Der Apostel macht es wie etwa ein Freund, der versprochen hat, zum Freunde zu kommen, und endlich nach einer Unzahl von Gefahren wirklich kommt und also anfängt: Dank sei dir, o Gott, daß ich das liebe Antlitz noch einmal schaue; gepriesen seist du, Gott, der aus solchen Gefahren mir herausgeholfen! Eine solche Lobpreisung wird zur Rechtfertigung und verschließt jedem Tadel über das lange Säumen den Mund. Denn schämen müßte sich ja der Freund, mit dem Freunde, der für die Rettung aus so großen Übeln Gott dankt, zu rechten und Antwort für das späte Kommen zu verlangen. Darum beginnt auch Paulus also: „Gepriesen sei der Gott der Erbarmungen,“ um mit diesen Worten die schweren Gefahren anzudeuten, in die er hineingerathen, und aus denen Gott ihm herausgeholfen. So wählt auch David für den Herrn nach der Verschiedenheit der Gnadenerweisungen verschiedene Benennungen. Spricht er von Kampf und Sieg, so sagt er: „Herzlich lieb’ ich dich, du meine Stärke; der Herr ist mein Schirmer.“5 Redet er von der Befreiung aus Drangsal und aus dem Dunkel, das ihn umfangen, so heißt es: „Der Herr ist mein Licht und mein Retter.“6 Und so wählt er die Bezeichnung bald von der Güte und Milde Gottes, bald von der Heiligkeit, bald von der unbestechlichen Gerechtigkeit, entsprechend der Lage, in der er eben betet. So nimmt denn auch Paulus hier die Benennung von der erbarmenden Güte. „Der Gott der Erbarmungen“ sagt er, der Gott, welcher gegen uns solches Erbarmen erwiesen, daß er hart von den Schwellen des Todes weg uns heraufgeführt hat zu neuem Leben.