IV.
Nachdem nun der Apostel die Juden hinlänglich angeklagt hat, so zeigt er ihnen auch den Weg der Besserung. Und welches ist dieser?
16. Wenn es sich aber hinwendet zum Herrn, was soviel heißt als sich lossagen vom Gesetze, so wird der Schleier hinweggenommen.
Siehst du, wie Jenes nicht etwa ein Schleier für das Angesicht des Moses war, sondern für das Auge der Juden? Denn nicht um den Glanz des Moses zu verhüllen, geschah Dieses, sondern um Jenen den Anblick zu entziehen; denn sie ertrugen ihn nicht. Daher hatten nur sie einen Entgang; denn nicht dem Moses verbarg der Schleier Etwas, sondern dem Volke. Und Paulus sagt zwar nicht ausdrücklich: Wenn Israel das Gesetz verläßt, hat aber Das im Auge bei den Worten: „Wenn es sich hinwendet zum Herrn, so wird der Schleier hinweggenommen.“ Er bleibt bis zu Ende bei der Geschichte. Denn so oft Moses zu den Juden redete, verhüllte er sein Angesicht; wenn er aber zu Gott sich wandte, so war sein Antlitz ohne Hülle. Das war eine Vorbedeutung der Zukunft. Wenn wir nämlich zum Herrn uns wenden, dann werden wir die Herrlichkeit des Gesetzes schauen und das unverhüllte Antlitz des Gesetzgebers; ja noch mehr, wir werden dann sogar auf einer Stufe mit Moses stehen. Siehst du, wie laut der Apostel den Juden zum Glauben ruft? wie er ihm zeigt, daß er, zur Gnade sich wendend, nicht bloß den Moses schauen kann, sondern sogar zu gleichem Range mit dem Gesetzgeber sich erhebt? Denn dann wirst du, sagt er, nicht bloß den Glanz schauen, S. 140 den du damals nicht sahest, sondern auch selbst in gleicher Herrlichkeit strahlen, ja in einer noch weit größeren, in einer Herrlichkeit, gegen welche der Glanz des Moses gar nicht mehr als Glanz erscheint. Und wie kann Das geschehen? Wenn du zum Herrn dich wendest und in das Reich der Gnade eintrittst; dann wirst du jenes Glanzes dich erfreuen, eines Glanzes, vor welchem der des Moses so weit zurücksteht, daß er sogar aufhört, ein Glanz zu sein. Aber so gering dieser letztere auch ist und so weit er jenem ersteren nachsteht, als Jude wirst du nicht einmal dessen gewürdigt werden; denn wie ihn damals die Juden nicht zu schauen vermochten, so auch jetzt nicht. Wenn du aber gläubig wirst, so wirst du den weit größeren Glanz zu schauen gewürdigt werden. Und als Paulus zu den Gläubigen redete, da sagte er: „Was verherrlicht war, hört auf, herrlich zu sein;“ aber ganz anders hier; und wie? „Wenn sich Israel hinwendet zum Herrn, so wird der Schleier hinweggenommen.“ So sucht er sie allmählig emporzuführen; er stellt sie zuerst in eine Reihe mit Moses, um sie dann noch größerer Auszeichnung theilhaftig zu machen. Denn wenn du erst einmal den Moses in seinem Glanze siehst, dann wirst du auch zu Gott dich hinwenden und diese größere Herrlichkeit genießen.
Sehen wir nun noch einmal von Anfang an, was Paulus Alles angeführt hat, um den Unterschied zu begründen und den Vorrang des neuen Bundes vor dem alten zu erweisen, den Vorrang, sage ich, nicht den Widerstreit oder Gegensatz. Jenes ist Buchstabe und Stein, Dienst des Todes und vergänglich; aber gleichwohl wurden nicht einmal dieses Glanzes die Juden für werth gehalten; dieser lebendige Tafel, Geist und Gerechtigkeit und unvergänglich; und dieser Herrlichkeit werden wir alle gewürdigt, nicht bloß ein Einziger, wie damals Moses beim geringeren Glanze. „Denn wir alle,“ heißt es, „spiegeln mit enthüll- S. 141 tem Angesichte die Herrlichkeit des Herrn wieder,“ nicht die des Moses.
Aber nachdem es nun Einige gibt, die im Widerspruche mit der sonst unbestrittenen Auslegung das Wort: „Wenn es sich aber hinwendet zum Herrn“ auf den Sohn beziehen wollen, so müssen wir genauer auf die Sache eingehen; und zwar wollen wir zuerst hören, was Jene zur Begründung ihrer Ansicht sagen. Und was ist Dieses? Sie sagen: Gleichwie die Schrift sagt: Gott ist Geist, so sagt sie auch hier: Der Herr ist Geist. Aber Paulus sagt nicht: Der Herr ist Geist, sondern: Der Herr ist der Geiste Es ist nun aber zwischen dieser und jener Verbindung ein großer Unterschied. Denn wenn Paulus so sagen will, wie du es meinst, so setzt er zum Prädikate nicht den Artikel. Und beachten wir überdieß, von wem die Rede gewesen ist bei Allem, was Paulus bisher gesagt hat; so, als er sprach: „Der Buchstabe tödtet, der Geist macht lebendig;“ und wiederum: „Beschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geiste des lebendigen Gottes.“ Ist nun hier vom Sohne oder vom Geiste die Rede? Offenbar vom Geiste; denn zu diesem rief der Apostel vom Buchstaben weg die Juden. Es könnte nämlich Jemand, wenn er vom Geiste hörte, so bei sich denken. Wenn Moses zum Herrn sich wandte, und ich mich zum Geiste wenden soll, so stehe ich hinter Moses zurück. Dieser Auffassung nun will Paulus begegnen, wenn er sagt:
17. Der Herr aber ist der Geist.
Auch der Geist ist „Herr“. Und zum deutlichen Beweise, daß hier vom Tröster die Rede ist, fährt Paulus fort: „Wo aber der Geist des Herrn, da ist Freiheit.“ Denn du wirst doch nicht behaupten, daß Paulus sagen wolle: Wo aber der Herr des Herrn ist. „Freiheit“ aber sagt er im Gegensatze zur früheren S. 142 Knechtschaft. Dann damit man nicht meine, als rede hier Paulus von der dereinstigen Zukunft, so sagt er:
18. Wir aber alle mit unverhülltem Angesichte die Herrlichkeit des Herrn wiederspiegelnd, nicht jene vergängliche, sondern die bleibende, werden in das gleiche Bild umgestaltet von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, gleichwie vom Herrn, dem Geiste.
Siehst du, wie Paulus wiederum den Geist als Gott bezeichnet und die Gläubigen auf die Stufe der Apostel erhebt? Denn sowohl früher hat er gesagt: „Ein Brief Christi seid ihr,“ als auch jetzt: „Wir aber alle spiegeln mit enthülltem Angesichte die Herrlichkeit des Herrn wieder.“ Nun aber waren sie es, die Apostel, allein, die nach dem Vorgange des Moses mit dem Gesetze gekommen waren. Aber wie wir, sagt er, keines Schleiers bedurften, so auch ihr nicht, die das Gesetz empfangen haben. Und doch ist hier der Glanz weit größer; es ist ja ein Glanz nicht unseres Angesichtes, sondern des Geistes; aber gleichwohl vermögt ihr gleich uns in diesen Glanz zu schauen. Die Juden vermochten es nicht einmal durch einen Mittler, ihr aber könnt selbst ohne Mittler diesen größeren Glanz ertragen; jene konnten nicht einmal in den Glanz des Moses schauen, ihr sogar in den des Geistes. Wäre nun aber der Geist von minderer Würde, so würde Paulus nicht diesen gegenwärtigen Glanz als größer denn jenen früheren bezeichnen.