IV.
Dieses thut Gott, um Die, welche nicht an die künftigen Dinge glauben, aufzuwecken, und Die, welche glauben und nachlässig sind, eifriger zu machen. Denn Gott ist ein gerechter, starker und langmütiger Richter, der nicht Zorn verhängt an jeglichem Tage. Mißbrauchen wir aber die Langmuth, so kommt eine Zeit, wo er weiter keinen Augenblick mehr langmüthig ist, sondern sofort die Strafe verhängt. So hüten wir uns denn, um der Lust eines Augenblickes willen — denn Das ist das gegenwärtige Leben — uns die Strafe unermeßlicher Ewigkeiten zuzuziehen; ja mühen wir uns lieber einen Augenblick, um eine immerwährende Krone zu erlangen. Seht ihr nicht, wie es auch in den Dingen des Lebens so die Mehrzahl der Menschen macht, wie sie gerne die kleine Mühe auf sich nehmen für die lange Ruhe, wenn ihnen auch gewöhnlich das Gegentheil widerfährt? Denn hier herrscht gleiches Verhältniß zwischen Mühe und Gewinn; oftmals aber wiederum ist die Mühe unendlich und die Frucht gering, ja oft nicht einmal gering; beim Reiche aber ist es umgekehrt; das Mühsame ist gering und das Süße viel und unendlich. Erwäge nur! Der Landmann plagt sich das ganze Jahr, und hart am Ziele der Hoffnung verliert er oftmals noch die Frucht der vielen Mühen. Der Steuermann wiederum und der Krieger leben bis zum höchsten Alter in Kriegen und Mühen, und doch gehen sie oftmals aus dem Leben, der eine, nachdem er die reiche Ladung, der andere, indem er mit dem Siege zugleich das Leben verliert. Was werden wir nun, sage mir, für eine Entschuldigung haben, wenn wir wohl in den irdischen Dingen das Mühsame wählen, um eine kurze Ruhe zu finden, ja nicht einmal eine kurze, denn ungewiß ist die Hoffnung; wenn wir aber in den geistigen Dingen es umgekehrt machen und unaussprechliche Strafe uns zuziehen um einer kurzen Annehmlichkeit willen?
Darum ermahne ich euch alle, endlich einmal, wenn auch spät, aus diesem Wahnsinn euch aufzuraffen. Denn S. 177 Niemand wird uns erretten zu jener Zeit, nicht Bruder, nicht Vater, nicht Sohn, nicht Freund, nicht Nachbar, noch sonst Jemand; sondern wenn die Werke wider uns zeugen, so ist Alles verloren und unabwendbar das Verderben. Was hat nicht jener Reiche gewehklagt und zum Patriarchen gefleht und um die Sendung des Lazarus gebeten! Aber höre, was zu ihm Abraham sprach: „Ein Abgrund ist zwischen euch und uns, so daß nicht einmal Die, welche wollten, dort hinüber kommen könnten.“1 Was haben nicht jene Jungfrauen zu ihren Gespielinen um ein wenig Öl gefleht! Aber höre, was auch jene sagen: „Es möchte etwa nicht ausreichen für euch und uns.“2 Und Niemand vermochte sie in’s Brautgemach zu führen.
Das wollen denn auch wir erwägen und Acht haben auf unser Leben. Denn welche Mühen du immer nennst und welche Qualen du anführst, Nichts ist all Dieses im Vergleich zu den künftigen Gütern. Setze z. B., wenn du willst, Feuer und Schwert und wilde Thiere, und wenn Etwas noch schlimmer ist als dieses; aber gleichwohl ist das nicht einmal ein Schatten im Vergleich zu jenen Folterqualen. Denn wenn diese Dinge zu gewaltsam angewendet werden, dann werden sie am meisten leicht; denn sie bewirken rasch die Befreiung, indem der Leib nicht ausreicht zugleich für Heftigkeit und für Länge der Marter aber dort nicht so, sondern Beides wirkt zusammen, wohl die Dauer als das Übermaß, und Das in der Seligkeit wie in der Qual. Solange es nun Zeit ist, laßt uns früh vor dem Angesichte des Herrn mit Lobpreis erscheinen, damit wir ihn dann milde und gnädig sehen, damit wir glücklich jenen drohenden Gewalten entrinnen. Siehst du nicht die Soldaten hier, die den Befehlshabern zu Diensten stehen, wie sie schleppen, wie sie fesseln, wie sie peitschen, wie sie die Seiten durchfurchen, wie sie mit S. 178 Fackeln brennen, wie sie Glieder abhauen? Aber all ist Scherz und Spiel im Vergleich zu jenen Martern. Denn die Qualen hier dauern nur kurze Zeit; dort aber stirbt weder jemals der Wurm noch erlischt das Feuer; denn auch der Leib ist unzerstörbar. Mögen wir nur diese furchtbaren Dinge nicht ans Erfahrung kennen lernen, möge es für uns bei der Rede bleiben. Mögen wir nur nicht jenen Quälern überantwortet, sondern lieber hier gezüchtigt werden. Was werden wir dann nicht Alles sagen, um uns selbst anzuklagen? Was werden wir jammern und wehklagen? Aber dann hilft es Nichts mehr. Wenn einmal das Fahrzeug zerschellt und versunken ist, so können die Schiffer Nichts mehr helfen, und ebenso wenig die Ärzte, wenn der Kranke gestorben ist; sie werden zwar oftmals sagen, Das und Das hatten man thun sollen, aber es ist umsonst und vergeblich. Solange aus der Besserung noch Hoffnnngen blühen, muß man Alles sagen und thun; wenn wir aber einmal über Nichts mehr verfügen können, wenn Alles verloren ist, dann ist Reden und Handeln gleichmäßig umsonst. Denn auch die Juden werden dann sagen: „Gepriesen, der da kommt im Namen des Herrn;“3 aber dieser Ruf kann ihnen Nichts mehr nützen, um der Strafe zu entgehen; denn als sie so hatten rufen sollen, da haben sie es nicht gethan. Damit es nun nicht auch uns hier im Leben so ergehe, so wollen wir gleich von jetzt an uns bekehren, damit wir vor den Richterstuhl Christi mit aller Zuversicht treten können; möge diese Zuversicht uns allen zu Theil werden durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater zugleich mit dem heiligen Geiste Ruhm — — Amen. S. 179