II.
So laßt uns denn hinzutreten und ein frommes Leben beginnen; es ist ja gar leicht! Denn wer in einer Zeit kämpft, in der ein so reiches Geschenk, in der so große Gnade ist ausgegossen, der gewinnt ohne Mühe den Preis. So ist es ja auch bei den irdischen Königen: wer sich zur Zeit ihrer Feste und wenn sie im königlichen Prunk sich zeigen, mit einer nur kleinen Gabe ihnen naht, der empfängt große Geschenke; an den Tagen aber, an denen sie zu Gericht sitzen, bedarf es großer Achtsamkeit und sorgfältiger Prüfung. So kämpfen denn auch wir in der Zeit dieses Geschenkes. Ein Tag der Gnade ist es, der göttlichen Gnade; darum werden wir auch leicht den Kranz gewinnen. Denn wenn uns Gott, da wir übervoll von Sünden waren, aufgenommen und frei gemacht hat, wird er dann nicht, nachdem wir von Allem befreit sind und auch das Unsrige beitragen, noch weit lieber uns aufnehmen? Dann verweist der Apostel, wie sonst immer, so auch hier auf sich selbst und stellt sich den Übrigen als Beispiel hin, wenn er weiter sagt:
S. 213 3. Indem wir in keiner Hinsicht irgend einen Anstoß geben, damit nicht getadelt werde unser Dienst.
So dient dem Apostel nicht bloß der Hinweis auf die günstige Zeit, sondern auch auf das eigene Beispiel zum Zwecke der Ermahnung. Und wie ferne steht er aller Überhebung! Er sagt nicht: Schauet auf uns, wir sind solche Muster; er redet vielmehr von sich nur in der Absicht, die Anklage abzuwehren. Und in zwei erschöpfenden Ausdrücken kennzeichnet er die Tadellosigkeit des Lebens. Denn einmal sagt er: „In keiner Hinsicht“; und dann gebraucht er nicht etwa das Wort Anklage, sondern das weit mindere: „Anstoß“, d. h. Anlaß zum Tadel. Wir geben Niemand Veranlassung, über uns abzusprechen. — „Damit nicht getadelt werde unser Dienst,“ d. h. damit Niemand gegen ihn einen Vorwurf erhebe. Und es heißt wiederum nicht: Damit unser Dienst nicht angeklagt werde, sondern: daß auch nicht der geringste Schatten auf ihn falle und Niemand in irgend einer Hinsicht an ihm Etwas zu tadeln habe.
4. Sondern in Allem uns darstellend als Diener Gottes.
Das sagt noch weit mehr. Denn es gilt nicht gleich, von Anklage frei zu sein und einen Wandel zu zeigen, der in jeder Beziehung den Diener Gottes erkennen läßt; es gilt nicht gleich, ob man keiner Anklage unterliegt oder des höchsten Lobes würdig ist. Doch sagt Paulus nicht: Wir erscheinen als Diener Gottes, sondern: „Wir stellen uns dar,“ d. h. wir erweisen uns als Diener Gottes. Und jetzt legt der Apostel den Weg dar, auf dem er Solches geworden. Welches ist nun dieser Weg? „In vieler Geduld,“ sagt er, und damit nennt er die Grundlage von allem Guten. Darum sagt er auch nicht einfach: „Geduld“, sondern: „viele Geduld“, um so ihre Größe S. 214 hervorzuheben. Denn Eines oder das Andere zu ertragen ist eben nichts Großes. Aber Paulus führt auch die Unzahl der Trübsale an, indem er sagt: „In Drangsalen, in Zwang.“ Das vermehrt noch die Drangsal, wenn man dem Unheil in keiner Weise entfliehen kann, wenn eine Art unvermeidlichen Zwangs besteht, das Schreckliche zu erdulden. — „In Nöthen.“ Entweder ist hier an den Hunger zu denken und den Mangel aller Bedürfnisse oder an die Bedrängnisse überhaupt.
5. In Schlägen, in Gefängnissen, in unstäten Wanderungen.
Von diesen Dingen erscheint jedes für sich schon unerträglich genug, sei es nun Geißlung oder Bande, oder daß die Verfolgung nicht gestattet, irgendwo festen Fuß zu fassen; denn das heißt: „In unstäten Wanderungen.“ Kommen sie aber alle mitsammen und zwar mit einem Male heran, so bedarf es wahrlich einer starken Seele. Dann gedenkt der Apostel nebst den Drangsalen von aussen auch der freiwilligen Werke. „In Mühen,“ sagt er, „in Nachtwachen, in Fasten.“
In Lauterkeit.
Damit deutet er die Mühsale an, die er auf seinen Wanderungen und bei seinen Arbeiten bestand, die Nächte, in denen er lehrte oder wohl auch mit den Händen arbeitete. Und bei all Dem vergaß er auch nicht des Fastens, obschon das Übrige für das strengste Fasten hätte gelten können. Unter „Lauterkeit“ ist hier entweder die Sittsamkeit zu verstehen oder die Unversehrtheit in Allem, oder des Apostels Uneigennützigkeit und seine unentgeltliche Verkündigung des Evangeliums. — „In Erkenntniß.“ Was heißt denn: „In Erkenntniß“? In der Weisheit, die Gott verliehen hat, die allein eine wahre Kenntniß ist; nicht gleich Jenen, die sich weise dünken und mit ihrer mensch- S. 215 lichen Wissenschaft prahlen, während sie der göttlichen entbehren. — „In Langmuth, in Güte.“ Auch Das ist ein sicherer Beweis einer edlen Seele, wenn sie von allen Seiten gereizt und gestachelt wird und dennoch Alles langmüthig erträgt. Und jetzt zeigt der Apostel die Kraft, die ihn zu Dem gemacht hat, indem er fortfährt: Im heiligen Geiste. Dieser ist es, in welchem wir all Das vollbringen, sagt er. Und beachten wir die Stelle, an der Paulus der Hilfe des heiligen Geistes gedenkt, dem er nämlich die eigenen Mühen vorher erwähnt hat. Indeß dünkt es mir, als wolle Paulus hiemit noch etwas Anderes sagen. Und was wäre Dieses? Daß er sagen wolle: Wir sind reichlich vom Geiste erfüllt und können auch daraus unsern apostolischen Beruf erweisen, daß wir geistiger Gnadengaben gewürdigt sind. Denn ist Dieses auch Gnade, so hat doch auch Der sein Verdienst, der durch seine Arbeiten und Mühen die Gnade auf sich herabgezogen. Und würde man sagen, Paulus wolle ausser dem Bemerkten noch Das hervorheben, er habe hinsichtlich der Gnade des Geistes keinen Anstoß gegeben, so würde man auch so wohl den Sinn nicht verfehlen. Denn es gab ja bei den Korinthern Manche, welche die Gabe der Sprachen empfangen hatten, dann sich überhoben und so dem Tadel anheimfielen; es ist ja möglich, eine geistige Gnadengabe zu empfangen und davon einen ungeziemenden Gebrauch zu machen. Aber anders wir, versichert der Apostel; denn auch im Geiste, d. h. was die Gnadengeschenke betrifft, sind wir untadelig gewesen.