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S. 462 Siehst du, wie er die Furcht bannt? Denn wenn es möglich ist, zu überwinden und festzustehen, so flößt die ausführliche Schilderung der Macht des Feindes nicht Feigheit und Furcht ein, sondern schüttelt die Fahrlässigkeit von uns ab. - „Damit ihr“, sagt er, „Widerstand leisten könnt am bösen Tage.“ Auch die Zeit nimmt er zum Anlaß, um uns zu ermuntern. Nur kurz, will er sagen, ist die gegönnte Frist, während der ihr gestehen müßt; ermattet nicht nach der gelieferten Schlacht! Wenn nun Kriegszustand herrscht, wenn die gegnerische Schlachtordnung aus unkörperlichen Fürstentümern, aus Weltbeherrschern, aus Geistern der Bosheit sich zusammensetzt: sage mir, wie kannst du da der Üppigkeit frönen? Wie magst du da ungebunden in den Tag hineinleben? Wie werden wir ohne Wehr und Waffen zu siegen imstande sein? Dieses möge jeder tagtäglich sich vorhalten, wenn der Zorn, wenn die Begierlichkeit ihn übermannen will, wenn er diesem weichlichen Leben so unbesonnen nachjagt. Er beherzige die Worte des heiligen Paulus: „Wir haben nicht zu kämpfen gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Fürstentümer, gegen die Gewalten.“ Dieser Krieg ist schwieriger, dieser Kampf heftiger als der gegen sichtbare Feinde. Bedenke, wie lange dieser Feind mit dir ringt! Jetzt, sagt der Apostel, obliegt es mir, zu ringen. - „Ja, der Teufel sollte eben abgeschafft werden, dann würden alle selig.“ Mit dieser Ausrede ist die leichtfertige Trägheit gleich bei der Hand. Du solltest dafür dankbar sein, mein Freund, daß du einen solchen Feind überwältigen kannst, wenn du nur willst, statt dessen zeigst du dich ungehalten und führst die Sprache eines verlotterten, schläfrigen Soldaten. Du kennst deine Blößen, wenn du sie kennen willst. Sieh dich nach allen Seiten gehörig vor, verschanze dich! -
Nicht nur mit dem Teufel haben wir zu kämpfen, sondern auch mit seinen Mächten. Wie sollen wir nun mit der S. 463 Finsternis ringen? Dadurch, daß wir Licht werden. Wie mit den Geistern der Bosheit? Dadurch, daß wir gut werden. Denn das Gute ist das Gegenteil des Bösen, und das Licht verscheucht die Finsternis. Wenn wir aber selbst Finsternis sind, so werden wir auf jeden Fall unterliegen. Wie können wir also jene Feinde besiegen? Wenn wir durch unseren freien Willen das werden, was wir von Natur aus sind: unabhängig von Fleisch und Blut; so werden wir sie bezwingen. - Da nämlich die damaligen Christen begreiflicherweise von vielen Seiten verfolgt wurden, so sagt der Apostel: „Glaubet nicht, daß die Menschen als solche uns befehden“! Die in ihnen und durch sie wirkenden bösen Geister sind es, welche mit uns Krieg führen; gegen die haben wir zu kämpfen. Damit erreicht er ein Doppeltes: auf der einen Seite macht er sie williger, die fortgesetzten Verfolgungen der Menschen zu ertragen, auf der anderen entfacht er ihren Zorn gegen die Dämonen als ihre wirklichen Feinde. - Und weshalb müssen wir mit diesen kämpfen? Weil wir auch einen unbesiegbaren Bundesgenossen haben: Die Gnade des Heiligen Geistes. Wir sind in der schwierigen Kunst unterwiesen worden, nicht mit Menschen, sondern mit Dämonen uns messen zu können. Wenn wir aber wollen, brauchen wir nicht einmal zu kämpfen; denn, nur wenn wir wollen, kommt es zum Kampfe, da der, der in uns wohnt, so große Macht besitzt, daß er sagen konnte: „Siehe, ich habe euch Gewalt gegeben, auf Schlangen und Skorpionen zu treten, und über alle Macht des Feindes“1 . Er hat uns die volle Möglichkeit gegeben, zu kämpfen und nicht zu kämpfen. Nur weil wir träge sind, kommt es zum Kampfe mit diesen Feinden. Denn daß Paulus nicht zu kämpfen brauchte, vernimm aus seinem eigenen Munde:
„Wer kann uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst? oder Hunger? oder Verfolgung? oder Blöße? oder Gefahr? oder Schwert?“2 . Und höre, was er weiterhin sagt: „Gott S. 464 wird den Satan in Bälde unter euren Füßen zermalmen“3 . Er hatte ihn vollständig in seiner Gewalt; daher konnte er auch sprechen: „Ich befehle dir im Namen Jesu Christi, von ihr auszufahren“4 . Das ist nicht die Sprache eines Ringenden; denn wer ringen muß, der hat noch nicht gesiegt; wer aber gesiegt hat, der braucht nicht mehr zu ringen. Paulus hatte eben den Satan unterjocht und zum Gefangenen gemacht. Auch Petrus kämpfte nicht mehr persönlich mit dem Teufel, sondern sie taten, was besser war als das: sie bezwangen ihn und seine Mächte der Reihe nach in den Herzen der Gläubigen, der Hörenden, der Katechumenen. Darum sagte auch der heilige Paulus; „Denn seine Anschläge sind uns nicht unbekannt“5 . Aus diesem Grunde vor allem gewann er über ihn die Oberhand. Höre ferner, was er anderswo sagt: „Es ist nicht zu verwundern, wenn auch seine Diener die Gestalt von Dienern der Gerechtigkeit annehmen“6 . So durch und durch kannte er die Kampfesart des Feindes, und nichts blieb ihm verborgen. Und abermals spricht er: „Denn das Geheimnis der Bosheit ist schon wirksam“7 . Der Kampf aber richtet sich gegen uns. Denn höre ein weiteres Wort von ihm: „Ich bin überzeugt, daß weder Engel noch Fürstentümer, noch Gewalten, noch Mächte, noch Gegenwärtiges, noch Zukünftiges, noch irgendein anderes Geschöpf imstande sein wird, uns von der Liebe Christi zu trennen“8 .
Er sagt nicht „von Christus“, sondern „von der Liebe Christi“. Denn viele befinden sich wohl in der Gemeinschaft mit Christus, ohne ihn aber zu lieben. Der Sinn seiner Worte ist: Du wirst mich nicht nur nicht dahin beringen, Christus zu verleugnen, sondern nicht einmal dahin, ihn weniger zu lieben. Wenn aber die himmlischen Mächte dies nicht vermochten, wer sonst hätte ihn umstimmen können? Nicht als ob die himmlischen Geister je so etwas versuchten, sagt er dies, S. 465 sondern rein bedingungsweise: darum bedient er sich des Ausdrucks: „Ich bin überzeugt“. - Er brauchte also nicht mit dem Teufel zu ringen, aber gleichwohl fürchtet er dessen Arglist. Höre nämlich seine Worte: „Ich fürchte, es möchten, wie die Schlange durch ihre Arglist Eva betrogen hat, so auch eure Herzen zum Abfall von der lauteren Anhänglichkeit an Christus verführt werden“9 . Ja, [so fürchte ich], spricht er. Aber auch bezüglich seiner eigenen Person führt er dieselbe Sprache: „Denn ich fürchte“, sagt er, „ich möchte, nachdem ich anderen gepredigt habe, selbst verworfen werden“10 . - Wie kannst du da überzeugt sein, daß niemand dich [von der Liebe Christi] zu trennen vermag?
