5.
Denn sage mir, was ist Verderbnis1 des Körpers? Ist das nicht eine Zerrüttung des ganzen Organismus? Dasselbe trifft auch bei der Seele ein, sobald die Sünde in sie Eingang gefunden hat. Denn die Schönheit der Seele besteht in Mäßigung und Gerechtigkeit; die Gesundheit der Seele in Starkmut und Klugheit. Häßlich ist der Unsittliche, der Habgierige, wer mit Schlechtigkeiten sich abgibt; der Feige und Unmännliche ist krank; der Unanständige befindet sich übel. Noch mehr aber bewirken die Sünden Verderbnis; denn sie machen häßlich und krank und verursachen Mattigkeit. Deshalb hauptsächlich gebrauchen wir die Redensart, eine Jungfrau sei verderbt worden2 , nicht allein, weil der Leib verderbt S. 492 wird3 , sondern weil eine Verletzung des göttlichen Gebotes vorliegt. Denn der äußere Vorgang an sich besteht in der geschlechtlichen Vermischung. Läge die Verderbnis darin, so müßte auch der Ehestand eine Verderbnis4 sein. Folglich ist nicht der Beischlaf an sich Verderbnis, sondern die Sünde; denn diese hat die Jungfrau geschändet. - Oder nimm ein anderes Beispiel her! Was sollte die Verderbnis des Hauses anderes sein als die Zerstörung desselben?
So ist die Verderbnis5 unter allen Umständen eine Veränderung zum Schlechteren, ein Verschwinden des früheren Zustandes und Übergehen in einen anderen. Denn höre, was die Schrift sagt: „Alles Fleisch hatte seinen Weg verderbt“6 ; und wiederum: „In unerträglicher Verderbnis“; und abermals: „Menschen verderbten Sinnes“7 . Verderblich8 ist unser Leib, aber unverderblich9 unsere Seele. Laßt uns denn nicht auch sie verderben! Jenes ist eine Folge der Erbsünde; die nach der Taufe begangene Sünde aber kann auch die Seele verderben und zur Beute jenes Wurmes werden lassen, der nie stirbt. Denn fände er die Seele nicht verderblich10 vor, so könnte er sie nicht angreifen. Den Diamant greift kein Wurm an, und selbst wenn er ihn angriffe, könnte er ihm nichts anhaben. - Verdirb also die Seele nicht; denn was in Verderbnis übergeht11 , ist voll üblen Geruches. Höre, was der Prophet sagt: „Es stinken und eitern meine Beulen angesichts meiner Torheit“12 . - Doch jenes Verderben des Leibes wird anziehen die Unverderblichkeit, dieses [der Seele] aber nicht; denn das Verderben ist da, wo Unverderblichkeit ist. Daher ist [dieses] Verderben unverderblich, ohne Ende, es ist ewig lebender Tod; das sollte auch beim Leibe geschehen, wenn er ewig lebend blieb. So werden wir, wenn wir mit verderbter Seele von hinnen scheiden, im Jenseits einem S. 493 unverderblichen und endlosen Verderben anheimfallen. Denn brennen und nicht verbrennen, von dem Wurme immer verzehrt werden, das ist unverderbliches Verderben. Wie es auch bei dem seligen Job der Fall war: Sein Leib ging in Verderbnis über, und dennoch starb er nicht, trotz der langen Zeit, sondern strich die Erdkrusten ab von seiner stets eiternden Wunden13 . Etwas Ähnliches wird dann die Seele erleiden, wenn die Würmer sie von allen Seiten zernagen, nicht zwei oder drei oder zehn oder hundert oder tausend Jahre, sondern die ganze Ewigkeit hindurch. Denn die Schrift sagt: „Ihr Wurm wird nicht sterben“14 .
Lassen wir uns daher, ich bitte euch, durch diese Worte mit Furcht und Schrecken erfüllen, damit wir ihre Wahrheit nicht an uns selbst erfahren müssen! Verderbnis ist der Geiz, die allerschlimmste Verderbnis, da er zum Götzendienste führt. Fliehen wir die Verderbnis, wählen wir das Unverderbliche! Hast du jemanden übervorteilt? Das Ergeizte verdirbt15 , der Geiz aber bleibt, die Verderbnis wird die Ursache des Unverderblichen: Der Vorteil geht vorüber, unvergänglich bleibt die Sünde. Es ist ein schreckliches Übel, wenn man nicht im gegenwärtigen Leben alles ablegt; ein großes Unglück, wenn man mit Sünden belastet ins Jenseits hinübergeht. „Denn im Totenreiche“, sagt die Schrift, „wer wird dich da lobpreisen?“16 . Drüben wird nur Gericht gehalten; zur Buße ist keine Zeit mehr. Wie sehr jammerte da der Reiche; aber dennoch richtete er damit nichts aus17 . Wie viel brachten jene zur Entschuldigung vor, welche Christus nicht gespeist hatten; aber dennoch wurden sie fortgeführt ins ewige Feuer18 Wie vieles entgegneten die Übeltäter! „Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt und in deinem Namen Teufel ausgetrieben?“; aber dennoch wurde ihnen keine Verzeihung zuteil19 .
S. 494 Alles dieses wird dann geschehen; aber es wird nutzlos sein, wenn es nicht jetzt geschieht. Fürchten wir uns also davor, drüben dereinst sagen zu müssen: „Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und nicht gespeist?“ Jetzt wollen wir ihn speisen, nicht einen Tag bloß oder zwei oder drei. Denn in der Schrift heißt es: „Almosen und Treue sollen dich nicht verlassen“20 . Es heißt nicht: einmal sollst du es tun oder ein zweites Mal; denn auch die törichten Jungfrauen hatten Öl, aber nicht hinreichend21 . Wir brauchen also viel Öl, wir sollen wie ein fruchtbarer Ölbaum sein im Hause Gottes22 . Bedenken wir daher die Größe der Sündenlast, die jeder von uns auf sich nimmt, und üben wir so viele Werke der Barmherzigkeit, daß sie ihr das Gleichgewicht halten, ja noch viel mehr, auf daß nicht bloß die Sünden dadurch getilgt, sondern die Werke der Gerechtigkeit uns auch zur Gerechtigkeit angerechnet werden. Denn wenn wir nicht so viele gute Werke haben, daß nach Löschung unserer Schuld noch ein Rest bleibt, der uns zur Gerechtigkeit angerechnet werden kann, so wird niemand uns von der Strafe befreien; von welcher wir alle verschont bleiben mögen durch die Gnade und Menschenfreundlichkeit unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater gleichwie dem Heiligen Geiste Herrlichkeit, Macht und Ehre sei jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit! Amen.
φθορά ↩
φταρῆναι = geschändet worden ↩
φτείρεται ↩
φθορά ↩
φθορά ↩
Gen 6,12 ↩
2 Tim 3,8 ↩
φθαρτόν = vergänglich ↩
ἄφθαρτος ↩
φταρτήν ↩
τὸ φθειρόμενον ↩
Ps 37,6 ↩
vgl. Job 7,5 LXX ↩
Mk 9,43.45 ↩
φτείρεται = vergeht ↩
Ps 6,6 ↩
vgl. Lk 16,24 ff ↩
vgl. Mt 25,41 ff. ↩
ebd 7,22 ff ↩
vgl. Spr 3,3 ↩
vgl. Mt 25,1 ff ↩
vgl. Ps 51,10 ↩
