2.
Sieh, auch Sabellius. „Er hielt es für keinen Raub,“ heißt es, „Gott gleich zu sein.“ Von „gleich sein“ kann man bei einer Person nicht reden; denn was „gleich“ ist, muß doch einem andern gleich sein. Siehst du, daß es sich um die wirkliche Existenz zweier Personen handelt, nicht um bloße Namen ohne Inhalt? Hast du den vorzeitlichen Ursprung des Eingeborenen gehört? — Was sollen wir nunmehr gegen Arius sagen, der die Wesensgleichheit des Sohnes leugnet? So erkläre mir doch, was heisst: „er nahm Knechtsgestalt an“? Er wurde Mensch, antwortest du. Also war er auch, da er in Gottes Gestalt war, Gott; denn der Ausdruck „Gestalt“ wird hier und wird dort gebraucht. Wenn das eine wahr ist, so auch das andere. „Knechtsgestalt“, — von Natur Mensch; also „Gottes Gestalt“, — S. 85 von Natur Gott. Und nicht dies allein, sondern Paulus bezeugt auch, ebenso wie Johannes, daß der Sohn „Gott gleich“ sei und daß er durchaus nicht tiefer stehe als der Vater, indem er sagt: „Er hielt es für keinen Raub, Gott gleich zu sein.“ — Wie lautet aber die sophistische Ausflucht der Häretiker? — Er will ja das gerade Gegenteil damit beweisen, entgegnen sie. Denn er schreibt: Als er in Gottes Gestalt war, maßte er es sich nicht als Raub an, Gott gleich zu sein. War er nun aber wirklich Gott, wie hätte er sich das als Raub anmaßen können? Und wie anders als unbegreiflich müßte man dies nennen? Denn wer wird wohl sagen: Der und der, da er ein Mensch war, hielt es für keinen Raub, ein Mensch zu sein? Wie sollte sich denn jemand das als Raub aneignen können, was er in Wirklichkeit ist? Nein, behauptet man; sondern weil er ein geringerer Gott war, darum maßte er es sich nicht als Raub an, dem erhabeneren und größeren Gott gleich zu sein, — Also gäbe es einen kleinen und einen großen Gott? Und ihr wollt die heidnischen Anschauungen in die Dogmen der Kirche einführen? Denn die Heiden machen einen Unterschied zwischen großen und kleinen Göttern; ob aber auch ihr (es dürft), weiß ich nicht. In den Schriften wenigstens wirst du vergeblich darnach suchen; da wirst du überall nur einen großen, nirgends einen kleinen Gott finden. Denn wenn klein, wie wäre er da noch Gott? Wenn es keinen großen und kleinen Menschen gibt, sondern nur die eine (menschliche) Natur, und wenn nichts, das diese eine Natur nicht hat, ein Mensch sein kann: wie könnte es dann einen großen und kleinen Gott geben? Wer nicht jene (göttliche) Natur besitzt, ist nicht Gott; denn in der Schrift ist überall nur von einem großen Gott die Rede, „Groß ist der Herr und sehr preiswürdig1.“ Sieh, das gilt auch vom Sohne; denn überall nennt er ihn den Herrn, „Groß bist du und tuest Wunder; du bist Gott allein2“, und wiederum: „Groß ist der Herr und groß seine Macht; und seiner Größe ist kein Ende3.“ — Ja, wirft man ein, (diese S. 86 Stellen beziehen sich auf den Vater;) aber der Sohn ist klein. Das behauptest du; denn die Schrift behauptet das Gegenteil. Wie sie vom Vater spricht, so spricht sie auch vom Sohne. Höre nämlich, was Paulus schreibt: „Indem wir erwarten die selige Hoffnung und die Ankunft der Herrlichkeit des großen Gottes4.“ Er hat doch nicht etwa von der Ankunft des Vaters gesprochen? Um euch aber noch mehr zu beschämen, setzte er zu dem Worte Ankunft ausdrücklich hinzu: „des großen Gottes“. Das ist doch nicht etwa vom Vater gesagt? — Keineswegs; denn die unmittelbar folgenden Worte gestatten eine solche Auffassung nicht; sie lauten: „Gemäß der Ankunft des großen Gottes und unseres Heilandes Jesu Christi.“ Sieh, auch der Sohn ist groß. Wie kannst du ihn nun zugleich klein und groß nennen? Höre, wie auch der Prophet ihn nennt: „den Engel des großen Rates“5“. Ist der „Engel des großen Rates“ nicht groß? Ist der „starke Gott6“ nicht groß, sondern klein? Wie können da diese unverschämten und frechen Menschen behaupten: Weil er ein kleiner Gott ist — ich wiederhole absichtlich ihre Worte so oft, damit ihr sie umso mehr fliehet —, ein kleiner Gott, sagen sie, darum maßte er es sich nicht als Raub an, dem großen Gott gleich zu sein? Denn wie, sag’ an! — Doch glaubet nicht, daß dies unsere Auffassung ist. Wenn nach der Ansicht jener (der Sohn) klein war und an Macht dem Vater weit nachstand, wie hätte er es sich als Raub anmaßen können, Gott gleich zu sein? Denn eine geringere Natur kann doch nicht das Existieren in einer höheren Natur an sich reißen. Der Mensch z. B. kann nie und nimmer die Wesensgleichheit mit dem Engel an sich reißen; das Pferd kann nie und nimmer, selbst wenn es wollte, die Wesensgleichheit mit dem Menschen an sich reißen. — Doch abgesehen davon muß ich noch einen Punkt zur Sprache bringen: Was will denn Paulus durch dieses Beispiel erreichen? — Jedenfalls die Philipper zur Demut anleiten. Warum nun, S. 87 sage mir, führte er gerade dieses Beispiel vor Augen? Denn niemand, der zu demütiger Gesinnung auffordern will, wird also sprechen: Sei demütig und halte dich für geringer als deinesgleichen; denn auch der und der Knecht hat sich nicht gegen seinen Herrn aufgelehnt; ahme denselben also nach! Man würde sagen: Das ist nicht Demut, sondern Hochmut. Lernet, was Demut ist, ihr, die ihr von teuflischem Eigendünkel besessen seid! Worin besteht also die Demut? Darin, daß man niedrig von sich selbst denkt7. Niedrig von sich selbst aber denkt nicht derjenige, welcher aus Zwang eine niedrige Stellung einnimmt, sondern derjenige, welcher (freiwillig) sich selbst erniedrigt. Ein Beispiel wird es klar machen. Gebt acht! Wenn jemand, obschon er hoch von sich denken kann, niedrig von sich denkt, dieser ist demütig. Wer aber nur darum niedrig von sich denkt, weil er nicht anders kann, der ist nicht mehr demütig. Wenn z. B. der Kaiser dem Konsul sich unterordnet, so ist er demütig, weil er von seiner Höhe herabsteigt; wenn dagegen der Konsul dies tut, so ist er deshalb nicht demütig. Warum das? Weil er sich nicht von einer Höhe erniedrigt hat. Demütige Gesinnung ist überhaupt nicht denkbar, wenn sie nicht im eigenen freien Ermessen liegt. Denn ist die Selbsterniedrigung eine auch wider Willen auferlegte Notwendigkeit, so ist sie nicht mehr das Verdienst der Gesinnung und des Willens, sondern lediglich ein Ausfluß des Zwanges. Die Demut aber heißt deshalb so, weil sie eine freiwillige Erniedrigung der Gesinnung ist8.