4.
Und schau nur, wie wunderbar! Er sandte die Engel zuerst herab, und dann führte er den Menschen zu ihnen hinauf. Die Erde wurde zum Himmel, weil der Himmel die Erde aufnehmen sollte. Deshalb beten wir bei der eucharistischen Feier: „Ehre sei Gott in der Höhe, und auf Erden Friede, an den Menschen Wohlgefallen1!“ Sieh, das ist der Sinn, von nun an erschienen auch Menschen, an denen (Gott) sein Wohlgefallen haben konnte. Was heißt „Wohlgefallen“? — Versöhnung. Der Himmel ist durch keine Zwischenwand mehr verschlossen. — Früher waren die Engel nach der Zahl der Völker verteilt, jetzt aber nicht mehr nach der Zahl der Völker, sondern nach der Zahl der Gläubigen. Woraus ergibt sich das? Höre den Ausspruch Christi: „Sehet zu, daß ihr nicht eines von diesen Kleinen verachtet! Denn ihre Engel schauen allezeit das Angesicht meines Vaters, der im Himmel ist2.“ Jeder Gläubige nämlich hat einen Schutzengel, da auch von Anfang an jeder Gott wohlgefällige Mensch einen Engel hatte, wie Jakob sagt: „Der Engel, der mich ernährt und der mich erlöst hat von meiner Jugend an3.“ Wenn wir also Schutzengel haben, so laßt uns nüchtern sein, gleich als wandelten wir stets unter den Augen von Erziehern! Denn auch der böse Geist ist uns stets zur Seite. — Deshalb bitten wir in unseren Gebeten um den Engel des Friedens und erflehen uns überall den Frieden; denn S. 280 nichts kommt diesem gleich. In den Kirchen, in den Gebeten, bei den Bittgängen, bei den Begrüßungen wird der Wunsch nach Frieden laut; einmal, zweimal, dreimal, ja noch öfter bietet der Vorsteher der Kirche4 Frieden mit den Worten: „Friede sei mit euch5!“ Warum? Weil er die Quelle alles Guten, die Vorbedingung (jeder) Freude ist. Deswegen befahl auch Christus den Aposteln, gleich beim Eintritt in ein Haus diesen Gruß zu bieten, gleichsam als Sinnbild alles Guten. Er spricht nämlich: „Wenn ihr in ein Haus kommt, so saget: Friede sei mit euch“6! Denn wo dieser fehlt, ist alles umsonst. Und wiederum sprach er zu seinen Jüngern: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch7.“ Der Friede bahnt der Liebe den Weg. — Der Vorsteher der Kirche sagt nicht bloß: „Friede sei mit euch!“, sondern: „Friede sei mit allen!“ Denn was hülfe es, wenn wir mit dem einen in Frieden, mit dem andern dagegen in Hader und Streit lebten? Was wäre damit gewonnen? Kann ja auch im Körper unmöglich je Gesundheit bestehen, wenn zwar die einen Elemente in Ruhe, die andern aber in Aufruhr sind, sondern nur durch gute Ordnung, Einklang und Frieden aller zusammen. Verhalten sie sich nicht alle ruhig und innerhalb der ihnen gesteckten Grenzen, so wird eine allgemeine Störung die Folge sein. Auch in unserer Seele kann kein Friede herrschen, wenn nicht Ruhe unser ganzes Denken durchdringt. Der Friede ist ein so großes Gut, daß die, welche Frieden stiften und herstellen, Kinder Gottes genannt werden8. Mit Recht, da auch der Sohn Gottes dazu auf die Erde gekommen ist, „zum Frieden bringend sowohl was auf Erden als was im Himmel ist“. Wenn aber die Friedensstifter Kinder Gottes sind, so sind die Unruhestifter Kinder des Teufels. — Was redest du? Du kommst mit Zank und Streit daher? Wer sollte so unselig sein, fragst du? — Ja, leider gibt es viele, die am Bösen ihre Freude haben und den Leib Christi ärger S. 281 zerfleischen als die Soldaten, die ihn mit der Lanze durchstachen, oder die Juden, die ihn mit den Nägeln durchbohrten. Dort war das Übel geringer als hier. Die zerrissenen Glieder jenes Leibes wurden wieder zusammengefügt; die von diesem Leibe losgerissenen Glieder aber können, wenn sie nicht hienieden sich wieder mit ihm vereinigen, nicht mehr damit verbunden werden, sondern bleiben außerhalb der Fülle9. — Wenn du deinen Bruder befeinden willst, so denke daran, daß du die Glieder Christi befeindest, und steh ab von solch wahnsinnigem Unterfangen! — Wie aber, wenn er ein verworfener, gemeiner Mensch ist? Wie, wenn ich ihn nur verachten kann? — Der Herr sagt: „So ist es nicht der Wille meines Vaters, daß eines von diesen Kleinen verloren gehe10.“ Und wiederum: „Ihre Engel schauen allezeit das Angesicht meines Vaters, der im Himmel ist11.“ Gott hat um seinet- und deinetwillen Knechtsgestalt angenommen und sich töten lassen; und du achtest ihn für nichts? Du lehnst dich also in diesem Punkte förmlich gegen Gott auf, indem du dein Urteil dem seinigen entgegensetzest? — Wenn der Vorsteher der Kirche hereintritt, spricht er sogleich: Friede sei mit allen; wenn er predigt: Friede sei mit allen; wenn er segnet: Friede sei mit allen; wenn er zum Friedenskusse auffordert: Friede sei mit allen; wenn das Opfer beendigt ist: Friede sei mit allen; und dazwischen wiederum: Gnade und Friede sei mit euch! Wie sollte es da nicht ungereimt sein, wenn wir, denen die Aufforderung zur Friedfertigkeit so oft ins Ohr dringt, uns gegenseitig bekriegen; wenn wir, die den Friedenskuß empfangen und erwidern, denjenigen anfeinden, der ihn uns gibt? — Du antwortest: Und mit deinem Geiste, und außerhalb der Kirche verleumdest du ihn? Ach, daß die erhabenen Gebräuche der Kirche zu bloßen Förmlichkeiten herabgesunken sind ohne jeden wahren Gehalt! Ach, daß die Parole dieses Heerlagers nur ein leeres Wort bleibt! Daher kommt es, daß ihr nicht einmal wißt, S. 282 warum gesagt wird: Friede sei mit allen! So höret denn im Folgenden, was Christus sagt: „Wo immer ihr in eine Stadt oder in einen Flecken kommt, da entbietet euren Gruß, sobald ihr in ein Haus eintretet. Und ist das Haus würdig, so soll euer Friede über dasselbe kommen; ist es aber nicht würdig, so soll euer Friede zu euch zurückkehren12.“ Deshalb geht uns jedes Verständnis dafür ab, weil wir es als eine bloße Formel betrachten, ohne uns dabei etwas zu denken. Bin ich es etwa, der den Frieden gibt? Nein, Christus ist es, der sich würdigt, durch unsern Mund zu sprechen. Wären wir aber auch sonst immer leer an Gnade, so sind wir es doch hier nicht, um euretwillen. Denn wenn Gottes Gnade auf einen Esel und auf einen Wahrsager einwirkte, um der Ausführung des Heilsplanes und um des Nutzens der Israeliten willen13, so wird er es ganz gewiß nicht verschmähen, auch auf uns einzuwirken, sondern sich auch dazu herablassen, um euretwillen ...
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Luk, 2, 14 (nach dem griechischen Texte). ↩
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Vgl. Matth. 18, 10. ↩
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Vgl. Gen. 48, 15. 16. ↩
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= der Bischof. ↩
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Luk. 24, 36; Joh. 20, 19. 21. 26. ↩
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Vgl. Luk. 10, 5; Matth. 10, 12. ↩
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Joh. 14, 27. ↩
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Vgl. Matth. 5, 9. ↩
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D. h. vom vollständigen Leibe Christi getrennt. ↩
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Vgl. Matth. 18, 14. ↩
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Ebd. 18, 10. ↩
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Vgl. Matth. 10, 11—18. ↩
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Vgl. Num. 22 ff. ↩