5.
III. Ist es schon beschämend, in einer großen Gemeinschaft allein Almosen zu empfangen, wie drückend ist es erst dann, wenn die Spender dem Empfänger noch Vorwürfe machen und Nichts mit ihm zu schaffen haben wollen! Wie muß eine solche Behandlung tief in die Seele schneiden! Wenn für die Dürftigen schon das Benehmen Derjenigen verletzend ist, welche ihre Gaben nur mit Zögern und Widerwillen spenden, (ich rede hier natürlich nicht von ausgeschämten Professionsbettlern, sondern von unterstützungsbedürftigen Gläubigen) wie muß es sie schmerzen, wenn sie von den Gebern auch noch gescholten werden! Welch ärgere Qual könnte es für sie geben! Wir beschränken uns aber oft nicht einmal darauf, sondern schmähen die Flehenden und stoßen sie zurück, wie wenn sie die ärgsten Verbrecher wären. Wenn du ihnen Nichts gibst, mußt du sie dann auch noch kränken? „Redet ihnen ins Gewissen,“ sagt Paulus, „als Brüdern, aber beschimpfet sie nicht als Feinde!“ Wer aber seinem Bruder ins Gewissen redet, der thut dieß nicht öffentlich, er posaunt es aus Schonung gegen denselben nicht aus, er thut es im Stillen mit Vorsicht und Bedacht, mit Bedauern und Betrübniß, mit Thränen und schmerzlicher Klage. Mit brüderlicher Gesinnung also wollen wir unsere Gaben spenden, mit brüderlicher Liebe wollen wir mahnen und warnen, nicht als schmerze uns die Gabe, sondern Schmerz sollen wir zu erkennen geben darüber, daß Jener das Gebot Gottes übertreten. Was sollte es dir auch nützen, so du anders handeln würdest? Wenn du als Beigabe zum Almosen den Flehenden schmähst, so verdirbst du ihm die ganze Freude über die empfangene Wohlthat. Gibst du ihm aber Nichts und schmähst ihn doch, wie wehe thust du dann erst dem armen, unglücklichen Menschen! Er kam zu dir, um Almosen zu empfangen; geschieden ist er von dir, tief im Herzen verwundet, mit schwerem Herzeleid. Ist er aber durch die Noth gezwungen, um Almosen zu bitten, und du mißhan- S. 804 delst ihn, so höre, welche Strafe dem Grausamen drohte „Wer den Armen verachtet,“ heißt es, „der erzürnt Denjenigen, der ihn gemacht hat.“1 Bedenke nur, Gott selbst hat ihn deinetwegen arm werden lassen, um dir Gelegenheit zu gehen, Etwas für deine Seele zu thun, und du verunglimpfst Denjenigen, der da um deinetwillen in Armuth versetzt ward! Welcher Unverstand, welcher Undank! „Redet ihnen ins Gewissen als Brüdern!“ Erst nachdem wir den Dürftigen Almosen gespendet, sollen wir sie nach dem Gebote des Apostels noch freundlich ermahnen. Wenn wir ihnen aber nicht nur nicht helfen, sondern sie sogar verunglimpfen, wie können wir das verantworten?
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Sprüchw. 14, 31. ↩