II.
Siehst du, wie diese Leute den Kunstgriff des alten Betrügers anwenden, die Waffe, die der Teufel gegen Adam gebrauchte? „Sie schleichen sich in die Häuser ein,“ sagt der Apostel. Man beachte, welche Unverschämtheit, Gemeinheit, Falschheit und Zudringlichkeit in dem Ausdruck „sich einschleichen“ liegt!
„Und fesseln die Weiblein an sich.“ Ein solches ist der Mann, der sich leicht betrügen läßt; das ist gar kein Mann. Weiberart ist es, sich betrügen zu lassen, oder vielmehr nicht Art der Weiber, sondern der „Weiblein“ (γυναικαρίων). „Mit Sünden beladen.“ Der Ausdruck ist prägnant, er malt die Masse der Sünden, den ungeordneten, verwirrten Seelenzustand.
„Getrieben von vielerlei Begierden.“ Der Apostel klagt damit nicht die weibliche Natur an; denn nicht von Weibern im Allgemeinen spricht er, sondern von bestimmten Weibern. Was heißt vielerlei“? Damit deutet er die Vielheit der Leidenschaften an, die Üppigkeit, Wollust, Geilheit. Von „vielerlei Begierden“, d. h. von Be- S. 358 gierde nach Geld, Ruhm, Wohlleben, von Hoffart und Ehrgeiz; vielleicht deutet er auch andere schändliche Begierden an.
„Immer lernend und nie im Stande, zur Erkenntniß der Wahrheit zu gelangen.“ Was will er damit? Das bedeutet keine Entschuldigung für die Frauen, sondern eine starke Anklage. Weil sie sich nämlich an jene Begierden und Sünden hingegeben haben, wurde ihr Erkenntnißvermögen verdunkelt.
8. Gleichwie Jannes und Mambres dem Moses widerstanden haben, so werden auch diese Menschen der Wahrheit widerstehen.
Wer sind denn diese Zauberer aus den Tagen des Moses? Warum werden denn ihre Namen anderwärts nirgends erwähnt? Entweder waren sie mündlich überliefert, oder man muß annehmen, daß Paulus sie durch den heiligen Geist wußte.
So werden auch diese Menschen der Wahrheit widerstehen, Menschen von verdorbenem Sinne und nicht bewährt im Glauben.
9. Aber sie werden es nicht weit bringen; denn ihre Thorheit wird Allen offenbar werden, wie es auch bei Jenen der Fall war.
„Sie werden es nicht weit bringen,“ sagt der Apostel. Warum sagt er aber nun an einer andern Stelle: „Sie werden es immer weiter bringen in der Gottlosigkeit“?1 Hier aber heißt es: „Sie werden es nicht weit bringen“? An jener meint er, daß, wenn sie ein- S. 359 mal anfangen mit Neuerungen und Irrlehren, sie damit nicht mehr innehalten, sondern stets neuen Trug und falsche Lehrsätze ausfindig machen werden. Denn der Irrthum hält nirgends still. Hier aber will der Apostel sagen, daß sie Niemand dauernd betrügen und verführen werden, wenn es auch anfangs den Schein hat, als ob sie Einige auf die Seite bringen würden; sie werden bald entlarvt sein. Daß es so gemeint ist, beweist das Folgende. „Ihre Thorheit wird Allen offenbar werden.“ Wie denn? Auf alle mögliche Weise. „Wie es auch bei Jenen der Fall war.“ Wenn auch anfangs die Irrlehre blüht, lange hält Das nicht an; sie ist nicht innerlich schön, sie sieht nur schön aus. Eine Zeit lang steht sie in Blüthe, dann wird sie erkannt, und aus ist’s damit. Aber anders steht es mit unserem Glauben. Und dafür bist du selber Zeuge (sagt Paulus zu Timotheus). Unser Glaube ruht nicht auf Betrug. Wer möchte sich entschließen, für einen Betrug sein Leben zu opfern?
10. Du aber bist mir nachgefolgt in der Lehre.
Also sei stark! Du hast dich nicht bloß genähert, nein, du bist mir nachgefolgt. Die Worte: „Du bist mir in der Lehre nachgefolgt“ beweisen, daß schon viele Zeit darüber hingegangen ist. Das also wäre die Nachfolge im Lehrwort.
„Im Wandel.“ Das bezieht sich auf das Leben.
„Im Streben.“ Der bereitwillige Sinn ist gemeint, womit er sich zur Verfügung stellt. Ich habe nicht bloß gesprochen und dann nicht gehandelt; meine Weisheit bestand nicht in bloßen Worten.
„Im Glauben, in der Langmuth.“ Warum hat mich all Das nicht irre gemacht? will er sagen.
S. 360 „In der Liebe.“ Diese ist jenen Menschen unbekannt.
„In der Geduld.“ Auch davon wissen sie Nichts.
„In der Langmuth,“ — gegen die Irrlehrer habe ich viel Langmuth bewiesen, — „in der Geduld“ — bei Verfolgungen.
11. In Verfolgungen, in Leiden.
Diese zwei Punkte beunruhigen ja den Lehrer, die vielen Häretiker und die Furcht, der Schüler möchte in Leiden nicht ausharren. Aber was die Häretiker betrifft, so wurde schon viel darüber gesprochen, daß sie ehedem da waren und in Zukunft da sein werden, daß kein Zeitalter von ihnen rein ist, daß sie uns nicht schaden können, und daß es in der Welt goldene und silberne Geräthe gibt.
Merkst du, wie der Apostel im Folgenden von seinen Bedrängnissen spricht?
„Dergleichen mir zu Antiochien, Ikonium und Lystra widerfahren sind.“ Warum nennt er nur diese Orte von den vielen? Weil die übrigen dem Timotheus ohnehin bekannt waren, oder vielleicht nennt er diese Verfolgungen deßhalb, weil sie nicht der älteren Zeit angehörten, sondern neuesten Datums waren. Auch will er nicht Alles einzeln aufführen; denn er ist nicht eitel und rühmsüchtig. Er will dem Jünger Trost zusprechen und nicht prahlen. Unter Antiochien meint er übrigens das in Pisidien, und Lystra war die Heimath des Timotheus.
„Welche Verfolgungen ich ausgestanden habe.“ Ein doppelter Trost liegt darin: erstens habe ich geduldig ausgeharrt, und zweitens bin ich nicht verlassen worden, und man kann nicht sagen, daß Gott mich preis- S. 361 gegeben hat, sondern er hat mir eine herrliche Krone bereitet. „Welche Verfolgungen ich ausgestanden habe, und der Herr hat mich aus allen befreit.“
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II. Tim. 2, 16. ↩