II.
Euere Verhältnisse sind aber anderer Art; denn wie wäre das möglich, da ihr Propheten und Beispiele und unzählige Tröstungen, und Zeichen und Wunder, die geschehen sind, habt? Dort war also in Wahrheit Glauben. Denn was für Wunder sah Jener, woraus er den Glauben hätte gewinnen können, das Gute werde irgend eine Vergeltung finden? Entnahm er seine Tugend nicht ganz allein dem Glauben?
Was heißen die Worten „und mittelst desselben redet der Verstorbene jetzt noch“? Damit er sie nicht in große Verzweiflung stürze, zeigt er, daß Derselbe zum Theil die Vergeltung empfangen habe. Wie denn? Das Ansehen, das er genießt, sagt er, ist ein hohes; denn Dieß hat er angedeutet in den Worten: „er redet jetzt noch,“ d. h. er hat ihn weggenommen, aber er hat nicht zugleich mit ihm seinen Ruhm und seine Ehre weggenommen, Jener ist nicht gestorben, darum werdet auch ihr nicht sterben, denn je Schwereres Jemand erduldet, S. 332 desto größer ist sein Ruhm. Wie nun „redet er jetzt noch“? Dieses zeigt an, daß er sowohl noch lebt, als auch von Allen verehrt, bewundert und glücklich gepriesen wird; denn wer Andere ermuntert, gerecht zu sein, der spricht; denn Das vermögen Worte nicht, was die Leiden Jenes bewirken. Wie nun der sichtbare Himmel allein spricht, so auch Jener, wenn seiner Erwähnung geschieht. Wenn er sich selbst laut gerühmt, wenn er tausend Zungen besessen und gelebt hätte, würde er nicht so bewundert wie jetzt, d. h. Solches kommt nicht ohne Mühe und ohne Weiteres zu Stande, noch ist es vorübergehend.
5. Durch den Glauben ward Henoch hinweggenommen, damit er den Tod nicht sähe und man fand ihn nicht, denn Gott hatte ihn hinweggenommen, und vor der Hinwegnahme hatte er das Zeugniß, Gott gefallen zu haben. Ohne Glauben aber ist es unmöglich, Gott zu gefallen; denn wer zu Gott kommen will, muß glauben, daß er ist und daß er Die, welche ihn suchen, belohnt.
Dieser zeigte einen größeren Glauben als Abel. Warum? Obgleich er nach diesem geboren wurde, so war Dasjenige, was diesem begegnet war, doch nicht im Stande, ihn abwendig zu machen. Wie denn? Gott wußte vorher, daß er (Abel) umkommen werde; denn er sagte zu Kain: Du hast gesündigt, füge nicht noch mehr hinzu. Er (Abel) wurde von ihm geehrt, aber er half ihm nicht. Und auch Das überlieferte ihn (Henoch) nicht der Verkommenheit; er sagte nicht zu sich selbst: Wozu Arbeiten und Gefahren, da ja Abel Gott ehrte und doch keine Hilfe fand? Was nützt dem Hingeschiedenen die Strafe des Bruders? Welcher Vortheil kann ihm daraus entspringen? Wir wollen annehmen, er soll schwere Strafen verbüßen; was hilft Das dem Gemordeten? Aber Nichts der Art sprach noch dachte er, sondern über Dies S. 333 alles erhob er sich und erkannte, daß, wenn ein Gott ist, er auch ein Vergelter sein werde, wiewohl sie noch Nichts von der Auferstehung wußten. Wenn nun Diejenigen, welche von der Auferstehung noch gar keine Kenntniß besaßen, sondern auch hier noch Gegentheiliges wahrnahmen, so gottgefällig lebten: um wie vielmehr müssen wir Das thun? Denn Jene wußten weder von der Auferstehung Etwas, noch hatten sie solche Beispiele vor Augen. Eben Dieses also verschaffte ihm das Wohlgefallen Gottes, weil Jener keine Vergeltung empfangen hatte. Wie so? Abel war ja auch noch nicht belohnt worden, so daß also die Vernunft Anderes, der Glaube aber das Gegentheil von Dem unterstellte, was gesehen wird. Also sollet auch ihr, will er sagen, den Muth nicht verlieren, wenn ihr wahrnehmet, daß ihr Nichts empfanget. Wie ist aber Henoch durch den Glauben hinweggenommen worden? Weil die Ursache seiner Hinwegnahme das Wohlgefallen Gottes war, das göttliche Wohlgefallen aber seinen Grund im Glauben hatte. Denn wie hätte er wohlgefällig sein können, wenn er nicht gewußt hätte, daß er Vergeltung empfangen werde? „Ohne Glauben aber ist es unmöglich, Gott zu gefallen.“ Wie? Denn wenn Jemand glaubt, daß es einen Gott und eine Vergeltung gibt, der wird den Lohn empfangen. Von daher stammt also das Gottgefallen, „denn wer zu Gott kommen will, muß glauben, daß er ist,“ nicht was er ist. Wenn aber, „daß er ist,“ Glauben erheischt und nicht Vernunftgründe; wird dann, was er ist, die Vernunft erfassen können? Wenn dazu, daß er ein Vergelter ist, Glaube gefordert wird, - wie wird man dann mit der Vernunft sein Wesen begreifen können? Welche Vernunft wird im Stande sein, dahin zu gelangen? Denn Einige sagen, Alles sei aus sich selbst da (αὐπόματα). Siehst du, daß uns, wenn wir nicht in Bezug auf Alles, nicht allein in Betreff der Vergeltung, sondern auch bezüglich des Daseins Gottes, Glauben haben, Alles verloren geht? Viele aber fragen, wie Henoch S. 334 hinweggenommen worden sei, und warum er hinweggenommen worden und weßhalb er nicht gestorben sei, weder dieser noch Elias, und wenn sie noch leben, wie sie leben und in welchem Zustande sie sich befinden? Aber es ist ganz überflüssig, Dieß zu erforschen; denn daß Jener hinweg- und Dieser aufgenommen wurde, sagt die heilige Schrift; wo sie aber sind und wie sie sich befinden, hat sie nicht beigefügt; denn sie sagt nicht mehr, als nothwendig ist. Dieß aber, ich meine die Hinwegnahme, geschah gleich im Anfange, damit die menschliche Natur Hoffnung fasse, daß der Tod vernichtet und die Tyrannei des Teufels überwältigt sei und der Tod nicht mehr herrschen werde; denn er wurde nicht todt hinweggenommen, sondern damit er den Tod nicht sähe. Darum fügt er hinzu, daß er lebendig hinweggenommen worden, weil er Gott wohlgefällig war. Denn wie ein Vater, der seinem Sohne eine Drohung ertheilt hat, diese, wenn sie stattgefunden, bald wieder aufhören lassen möchte, sie aber aufrecht erhält und fortbestehen läßt, damit er ihm unterdessen eine Lehre und Warnung ertheile, indem er die Drohung in Geltung erhält: so schob es auch Gott nicht auf, um mich menschlicher Weise auszudrücken, sondern zeigte alsbald, daß der Tod vernichtet sei. Und zuerst läßt er zu, daß der Tod den Gerechten treffe, indem er durch den Sohn den Vater schrecken wollte. Denn weil er die Absicht hatte, zu zeigen, daß der Spruch wirklich feststehe, so unterwarf er nicht sogleich die Bösen, sondern Den, welcher ihm wohlgefällig war, der Strafe, ich meine nämlich jenen seligen Abel; und gar bald nach diesem nahm er den Henoch lebend hinweg. Und er erweckte Jenen nicht, damit sie nicht schnell zu getrosten Muthes würden; diesen aber nahm er lebendig hinweg; durch Abel wollte er ihnen Furcht einflössen, durch Henoch aber ihnen Eifer verleihen, sein Wohlgefallen zu erwerben. Es sind also Diejenigen, die da sagen, daß Alles von sich selbst geschehe und getragen werde, und die keine Vergeltung erwarten, so wie die Heiden Gott durchaus nicht wohlgefällig; denn für Diejenigen, die ihn S. 335 suchen durch die Werke und die Erkenntniß, wird er ein Belohner sein.