II.
Fremdlinge und Pilger waren die Heiligen. Wie und in welcher Weise? Wo aber hat Abraham bekannt, daß er ein Fremdling und Pilger sei? Vielleicht hat er es selbst ausgesprochen, daß aber David es bekannt hat, weiß wohl Jeder; und höre ihn selbst reden: „Denn ein Fremdling bin ich und ein Pilger wie alle meine Väter.“1 Denn die in Zelten wohnten und für Geld sich Gräber kauften, waren auf diese Weise offenbar Fremdlinge, so daß sie nicht einmal hatten, wo sie ihre Todten begraben konnten. Wie nun? Nannten sie sich Fremdlinge nur in jenem Lande, in Palästina nämlich? Gewiß nicht, sondern auf dem ganzen Erdkreise, und natürlich; denn sie gewahrten daselbst Nichts, wornach sie verlangten, sondern Alles war ihnen fremd und unangehörig. Sie nun wollten die Tugend üben. Hier aber, wo das Böse so mächtig war und ihnen alle Dinge fremd waren, hatten sie ausser einigen wenigen keine Freunde, keine Genossen. Wie aber waren sie Fremdlinge? Sie kümmerten sich nicht um das Weltliche und zeigten Dieß nicht nur durch Worte, sondern auch durch ihre Werke. Wie und auf welche Weise? Gott sprach zu Abraham: „Verlaß das Land,“2 welches du als dein Vaterland betrachtest, und komm in ein fremdes; und ohne an die Heimath gefesselt zu sein, verließ er dasselbe so frei von Trennungsschmerz, als sollte er aus der Fremde wandern. Er sprach zu ihm: „Opfere deinen Sohn;“3 und er brachte, als hätte er keinen Sohn, ihn zum Opfer; und er brachte ihn dar, als hätte er kein natürliches Gefühl. S. 359 Sein Vermögen besaß er als Gemeingut für Alle, die zu ihm kamen, und er legte keinen Werth darauf; den Vorrang trat er an Andere ab; sich selbst setzte er Gefahren aus; er duldete tausenderlei Ungemach. Er baute keine prächtigen Häuser, noch führte er ein weichliches Lebens weder auf Kleider noch auf sonst etwas Zeitliches verwendete er seine Sorge, sondern er lebte und handelte ganz als Bürger der jenseitigen Stadt und übte Gastfreundschaft, Bruderliebe, Barmherzigkeit, Geduld und Verachtung des gegenwärtigen Ruhmes und der Reichthümer und aller andern Dinge. Gerade so war auch sein Sohn. Verfolgt und bekriegt wich er und machte Platz, als halte er sich in der Fremde auf; denn die Fremden ertragen ihre Bedrückung wie Solche, die nicht im Vaterlande wohnen. Und als er sein Weib verlor, ertrug er auch Dieß wie ein Fremdling; aber nach Oben war sein ganzes Streben gerichtet, indem er in Allem Enthaltsamkeit und Ehrbarkeit an den Tag legte. Denn nachdem er einen Sohn bekommen hatte, pflegte er mit seinem Weibe keinen weitern Umgang, und er hatte sie zur Frau genommen, nachdem bei ihm die Blüthe der Jugend schon vorüber war, um zu zeigen, daß er sich nicht von der Sinnlichkeit habe leiten lassen, sondern ein Diener der Verheissung Gottes sei. Wie verhält es sich aber mit Jakob? Suchte er nicht Brod nur und Kleidung, um welche Dinge Fremdlinge, die in die äusserste Armuth geriethen, in der That bitten? Wurde er nicht vertrieben und ging fort wie ein Fremdling? Diente er nicht um Lohn? Erduldete er nicht unzählige Mühsale und wanderte allenthalben umher wie ein Fremdling? Dieses aber ertrugen sie zum Beweise, daß sie ein anderes Vaterland suchten. Ha, welche ein Unterschied. Jene litten jeden Tag Geburtsschmerzen und wünschten, sich von hier zu entfernen und nach ihrem Vaterlande zurückzukehren; wir aber thun das Gegentheil. Denn befällt uns ein Fieber, so lassen wir Alles fahren und winseln wie kleine Kinder und sind voll Todesfurcht. Und mit Recht erfahren wir Das; denn weil wir hienieden nicht S. 360 wie Fremdlinge weilen noch als solche mit Verlangen nach dem Vaterlande streben, sondern uns verhalten, als gingen wir nach dem Bestimmungsort unserer Strafe, darum werden wir von Schmerz gefoltert, weil wir uns der Dinge nicht, wie es Pflicht ist, bedienen, sondern die Ordnung umgekehrt haben. Daher weinen wir, wo wir uns freuen sollten; daher sind wir starr vor Angst wie Mörder und Räuberanführer, die vor dem Richterstuhle erscheinen sollen und nun alle ihre Gräuelthaten im Geiste erwägen und darob in Furcht und Schrecken versetzt sind. Jene aber waren nicht also, sondern zeigten Eile (in’s Vaterland zu gelangen). Aber auch Paulus seufzte. Höre, was er sagt: „Aber auch wir selbst, die wir in dieser Hütte wohnen, seufzen belastet.“4 So waren Diejenigen, welche dem Abraham nahe standen. Fremdlinge, sagt er, waren sie auf der ganzen Erde und suchten ihr Vaterland. Welches aber war dieses? Etwa das sie verlassen hatten? Keineswegs; denn was hinderte sie, wenn sie gewollt hätten, dorthin zurückzukehren und daselbst Bürger zu werden? Sie suchten das himmlische Vaterland. So strebten sie also nach der Abwesenheit von hier, und so gefielen sie Gott; darum schämt sich Gott nicht, ihr Gott zu heissen. Ha, welche Würde! Ihr Gott will er heissen. Was sagst du? Er wird Gott der Erde und Gott des Himmels genannt, und du stellst es als etwas Großes hin, daß er sich nicht schäme, ihr Gott zu heissen? Ja, etwas Großes und in der That etwas Großes ist Dieses und das Zeugniß eines hohen Glückes? Wie denn? Gott des Himmels und der Erde wird er auf gleiche Art genannt, wie er auch Gott der Heiden heißt; und zwar Gott des Himmels und der Erde, weil er dieselben erschaffen und gegründet hat; aber Gott jener Heiligen wird er nicht auf dieselbe Weise genannt, sondern wie als ihr wirklicher Freund. Ich will euch Dies S. 361 an einem Beispiele klar machen. Es werden ja von den Bewohnern großer Häuser diejenigen Vorsteher des Hauses, die ein ganz besonderes Ansehen haben und Alles verwalten und bei den Herrschaften großes Vertrauen genießen, auch „Herren“ genannt; und man kann Viele, die so genannt werden, finden. Was aber spreche ich? Wie gesagt werden konnte: der Gott nicht allein der Völker, sondern des ganzen Erdkreises, so konnte auch gesagt werden: der Gott Abrahams. Aber ihr wisset nicht, wie groß diese Würde ist, da wir dieselbe nicht erlangen; denn wie jetzt Gott der Herr aller Christen genannt wird, und dieser Name dennoch unsern Werth übersteigt, so bedenke, welche Größe darin liegt, wenn er Eines Gott genannt wird. Der Gott des Erdkreises schämt sich nicht, der Gott Dreier5 zu heissen, und mit Recht; denn nicht mit dem Erdkreise, sondern mit unzähligen solchen stehen in gleichem Werthe die Heiligen: „Denn Einer, der den Willen des Herrn thut, ist besser als tausend Gottlose.“6 Daß sie aber auf diese Weise sich selbst Fremdlinge nannten, ist klar. Gesetzt aber, sie hatten sich diese Benennung wegen des fremden Landes gegeben, verhält es sich denn aber auch also mit David? War er nicht König? nicht Prophet? Lebte er nicht in seinem eigenen Vaterlande? Weßhalb sagt er nun: „Ich bin ein Fremdling und ein Pilger?“7 Wie bist du ein Fremdling? „Wie alle meine Väter,“ sagt er. Siehst du, daß auch jene Fremdlinge waren? Wir haben ein Vaterland, will er sagen, aber nicht das wahre Vaterland. Wie aber bist du ein Fremdling? Insoferne ich auf der Erde weile. Also sind auch Jene Fremdlinge; denn wie Jene es sind, so ist es auch Dieser, und umgekehrt. S. 362