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Works John Chrysostom (344-407) In epistulam ad hebraeos argumentum et homiliae 1-34 Homilien über den Brief an die Hebräer (BKV)
Dritte Homilie.

VI.

Wenn ich dir nun zeige, daß es noch eine andere, größere Gnadengabe gibt, und daß es dir gegönnt ist, dieselbe zu empfangen, und wenn du derselben nicht theilhaftig wirst, du mit Recht ihrer beraubt bist, was wirst du dazu sagen? Zudem ist diese Gnadengabe nicht für den Einen oder den Andern, sondern Alle können dieselbe erlangen. Ich weiß, daß ihr staunt und die Fassung verliert, wenn ihr hören sollt, daß ihr eine noch größere Gnadengabe haben könnt, als Todte zu erwecken und Blinde sehend zu machen, und daß es euch möglich ist, jene Dinge zu vollbringen, die zur Zeit der Apostel geschahen. Und vielleicht kommt euch Das unglaublich vor. Was ist denn das für eine Gnadengabe? Die Liebe. Glaubet mir nur; denn es ist nicht mein, sondern Christi Wort, der durch Paulus spricht. Was sagt er denn? „Strebet an die besseren Gnadengaben; und einen noch vortrefflicheren Weg zeige ich euch.“1 Was heißt Das: „einen noch vortrefflicheren Weg“? Es will Dieß sagen: Die Korinther waren stolz auf die damaligen Gnadengaben, und welche die Sprachengabe, die doch die geringste ist, besaßen, sahen hochmüthig auf die Andern herab. Er sagt nun: Wollt ihr überhaupt Gnadengaben? Ich zeig’ euch den Weg zu denselben, nicht nur einen hervorragenden, sondern einen ganz vortrefflichen. Sodann sagt er: „Wenn ich in den Zungen der Engel rede, Liebe aber nicht habe, bin ich Nichts; und wenn ich einen Glauben habe, daß ich Berge versetze, Liebe aber nicht habe, bin ich Nichts.“2 Siehst du da eine Gnadengabe? Um diese bewirb dich; diese ist größer als die Auferweckung der Todten; diese ist weit vorzüglicher als alle anderen. Und daß sich Dieß also verhalte, höre, was Christus sagt, da er zu den Jüngern spricht: „Daran werden Alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr euch einander liebet.“3 Also nicht S. 64 Wunder gibt er als Kennzeichen an, sondern was? Wenn ihr euch einander liebet. Und wieder spricht er zum Vater: „Hierin werden sie erkennen, daß du mich gesandt hast, wenn sie Eins sind.“4 Auch zu den Jüngern sprach er: „Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander liebet.“5 Ein Solcher hat eine höhere Würde und einen größeren Glanz als Todtenerwecker, und mit Recht; denn Dieses ist ganz das Werk der göttlichen Gnade, Jenes aber eine Frucht des eigenen Eifers; Dieß ist in Wahrheit das Werk eines Christen; Dieß läßt den Jünger Christi erkennen, welcher der Welt gekreuziget ist und mit ihr Nichts gemein hat; ohne Dieses kann auch das Blutzeugniß Nichts nützen. Und damit du dich davon überzeugest, erwäge das Folgende wohl. Der heilige Paulus nimmt zwei oder vielmehr drei Tugendhöhen an, nämlich die der Wunderzeichen, die der Erkenntniß und die des Wandels, und erklärt, daß die ersteren ohne den letzteren keinen Werth haben. Wie diese aber ohne Werth sind, will ich sagen. „Wenn ich all meine Habe,“ heißt es, „zur Speise (der Armen) vertheile, die Liebe aber nicht habe, so frommt es mir Nichts.“6 Denn es kann ja sein, daß auch Jemand, der sein Vermögen zur Speisung (der Armen) vertheilt, der Liebe entbehrt und seine Güter verschwendet. Das ist hinlänglich besprochen worden, wo von der Liebe die Rede ging, und wir verweisen darauf zurück. Beeifern wir uns indeß, wie ich schon sagte, um diese Gnadengabe; lieben wir einander, und wir werden eines Weiteren gar nicht bedürfen, um in der Tugend voranzuschreiten, sondern Alles wird uns leicht, ohne Schweißverlust, von Statten gehen, und wir werden Alles mit vielem Eifer glücklich vollbringen. Aber siehe, heißt es, wir lieben uns ja schon einander; denn Dieser hat zwei oder drei Freunde, S. 65 Jener aber vier. Das heißt aber nicht (Jemanden) wegen Gott lieben, sondern um Gegenliebe zu finden: die Liebe wegen Gott hat nicht diesen Ursprung; wer aber diese besitzt, liebt alle Glaubensgenossen wie wirkliche Brüder, die Irrgläubigen aber und die Heiden und die Juden wie natürliche Brüder, und insoferne dieselben böse und verkommen sind, wird er ihretwegen von Mitleid, von Schmerz und Thränen verzehrt. Dadurch werden wir Gott ähnlich werden, wenn wir Alle, auch die Feinde, lieben, nicht wenn wir Wunderzeichen vollbringen. Denn wir staunen zwar über Gott ob seiner Wunderwerke, aber vielmehr noch, weil er menschenfreundlich und langmüthig ist. Wenn also Das auch in Bezug auf Gott so staunenswerth ist, so leuchtet es in Bezug auf die Menschen noch mehr ein, daß Dieß uns der Bewunderung werth macht. Das sei also das Ziel unseres Eifers, und Petrus und Paulus und Jene, die zahllose Todte zum Leben erweckten, werden nicht größer sein als wir, wenn wir auch kein Fieber zu vertreiben vermögen; ohne jene Liebe aber, wenn wir größere Wunder als selbst die Apostel gewirkt, und wenn wir uns zahllosen Gefahren des Glaubens wegen ausgesetzt hätten, würden wir keinen Nutzen haben. Und Dieses sage nicht ich, sondern er selbst, der Spender der Liebe,7 weiß Dieses; ihm also wollen wir folgen. Auf diese Weise werden wir die verheissenen Güter erlangen, deren wir alle theilhaftig werden mögen durch die Gnade und Menschenfreundlichkeit unseres Herrn Jesus Christus, welchem mit dem Vater und dem heiligen Geiste sei Ruhm, Macht und Ehre jetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.


  1. 1 Kor 12,31 ↩

  2. 1 Kor 13,1-2 ↩

  3. Joh 13,35 ↩

  4. Joh 17,21 ↩

  5. Joh 13,34 ↩

  6. 1 Kor 13,13. Chrysostomus setzt: οἰδέν εἰμι = so bin ich Nichts, statt: οἰδέν ὀϕελοῦμαι. ↩

  7. Τῆς ἀγάπης τρόϕιμος · τρόϕιμος = Nahrung spendend, hier also: Liebespender. Montfaucon übersetzt es mit: caritatis alumnus, Mutianus mit: caritatis dominus. ↩

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Translations of this Work
Commentaire de Saint Jean Chrysostome sur l'épître de Saint Paul aux Hébreux Compare
Homilien über den Brief an die Hebräer (BKV)
Commentaries for this Work
Einleitung: Homilien über den Brief an die Hebräer

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