II.
Nichts ist so angemessen wie ein reines Leben, Nichts so passend wie ein musterhafter Wandel, Nichts so in der Ordnung wie die Tugend: „Und dienliche Gewächse für Diejenigen trägt, die es bebauen, empfängt Segen von Gott.“ Hier sagt er, daß Gott die Ursache von Allem sei, und versetzt den Heiden so leichthin einen Schlag, welche der Kraft der Erde die Erzeugung der Früchte zuschreiben. Denn nicht die Hände des Landmannes, will er sagen, sind es, welche die Erde zur Fruchtbarkeit wecken, sondern Gottes Anordnung ist es. Deßwegen sagt er: „empfängt Segen von Gott.“ Siehe aber, wie er bezüglich der Dornen nicht sagt: Dornen erzeugt und sich nicht dieses sonst gebräuchlichen Ausdruckes bedient, sondern - wie drückt er sich aus? „Dornen trägt,“ als wollte er sagen: hervorsprießt, heraustreibt. - „So ist es verwerflich und dem Fluche nahe.“ Ha, welch ein Trost liegt in diesen Worten! Denn er sagt nicht: verflucht, sondern: „dem Fluche nahe.“ Wer aber dem Fluche noch nicht verfallen, sondern nur nahe gekommen ist, kann sich davon auch wieder S. 173 entfernen. Aber nicht nur diese Worte, sondern auch die folgenden sind tröstlich; denn er sagt nicht: verwerflich und dem Fluche nahe, es wird verbrannt werden, sondern was? „Sein Ende ist Verbrennung,“ wodurch er zeigt, daß Denjenigen, welcher bis zum Ende (im Bösen) verharret, dieses Loos treffen wird. Demnach können wir, wenn wir die Dornen ausbauen und verbrennen, unzählige Güter genießen, zur Bewährung gelangen und des Segens theilhaftig werden. Treffend hat er die Sünde „Distel“ genannt, indem er sagte: „Wenn es aber Dornen und Disteln tragt;“ denn wenn du dieselbe irgendwo anfassest, verletzt sie und sticht und ist auch häßlich anzusehen. Nachdem er ihnen nun hinlänglich nahe gekommen, sie erschreckt und verwundet hat, heilt er sie wieder, um sie nicht gar zu niedergeschlagen und traurig zu machen; denn wer einen Trägen schlägt, macht ihn noch träger. Er schmeichelt ihnen also nicht allseitig, um sie nicht stolz zu machen, noch verletzt er sie hart, um sie nicht zu entmuthigen; sondern er versetzt ihnen einige Hiebe, um dann so reichlicher zu trösten und zu heilen, welchen Zweck er durch den Beisatz vollkommen erreicht. Denn was sagt er?
9. Von euch aber, Geliebte, versehen wir uns Besseres, und daß ihr nahe dem Heile seid, obgleich wir so reden.
Das heißt: nicht um gegen euch Klage zu führen, sagen wir Dieses, noch auch, als wären wir der Ansicht, daß ihr voll von Dornen seid, sondern nur in der Besorgniß, es könnte etwas Derartiges eintreten. Denn es ist besser, euch durch Worte zu schrecken, als daß euch die Wirklichkeit Schmerzen bereite. Hier zeigt sich ganz besonders die Klugheit des Paulus. Er sagt nicht: Wir glauben oder: Wir machen den Schluß, noch auch: Wir erwarten, sondern S. 174 was? „Wir versehen uns,“1 was er auch an die Galater schreibt: „Ich habe das Vertrauen zu euch im Herrn, daß ihr nicht anders gesinnt sein werdet.“2 Er sagt nicht: gesinnt seid, sondern: gesinnt sein werdet. Denn weil er dort eine scharfe Sprache geführt hatte und die Gegenwart keinen Stoss zu ihrem Lobe darbot, so nimmt er die Zukunft zu Hilfe, indem er sagt: „Daß ihr nicht anders gesinnt sein werdet.“ Hier aber spricht er von der Gegenwart: „Von euch aber, Geliebte, versehen wir uns eines Besseren, und daß ihr nahe dem Heile seid, obgleich wir so reden.“ Und da er von der Gegenwart nichts Besonderes sagen konnte, so schöpft er seine Trostgründe aus der Vergangenheit und sagt:
10. Denn Gott ist nicht ungerecht, daß er vergessen sollte eueres Thuns und der Liebe, die ihr gegen seinen Namen bewiesen habt, da ihr den Heiligen dientet und dienet.
Ha! wie er ihre Seele neu belebt und kräftigt, indem er sie daran erinnert, was sie früher gethan, und sie nöthigt, aller Furcht, als hätte Gott Solches vergeben, zu entsagen! Denn nothwendig muß Derjenige sündigen, welcher nicht überzeugt ist von Gottes gerechtem Gerichte und dessen Vergeltung, die er einem Jeden nach Wandel und Verdienst angedeihen läßt, und er muß sagen, daß Gott ungerecht ist. Darum zwingt er sie, auf jene Dinge zu hoffen, die da zukünftig sind. Denn Jemand, der an der Gegenwart verzweifelt und dieselbe aufgibt, kann neue Stärke gewinnen aus Dem, was die Zukunft verheißt; wie S. 175 er auch selbst im Briefe an die Galater sagt: „Ihr liefet gut; wer hat euch aufgehalten?“3 Und wieder: „Habt ihr umsonst so viel gelitten? wenn anders umsonst!“4 Wie er aber hier mit einem Verweise Lob verbindet, indem er spricht: „Da ihr Lehrer sein solltet der Zeit nach,“ so auch dort: „Mich wundert, daß ihr euch sobald abwenden lasset.“5 Da ist Verwunderung und Lob; denn über gefallene Größen wundern wir uns. Siehst du, wie zwischen Vorwurf und Tadel das Lob verborgen ist? Er spricht aber nicht nur von sich, sondern auch von allen Andern; denn er sagt nicht: Ich versehe mich, sondern: Wir versehen uns von euch Besseres, d. h. Gutes. Dieses sagt er entweder in Bezug auf den Wandel oder bezüglich der Vergeltung. Nachdem er oben gesagt: „Verwerflich und dem Fluche nahe, sein Ende ist Verbrennung,“ - damit er nicht in Hinsicht auf sie Dieß zu sagen scheine, fügt er gleich die Worte hinzu: „Denn Gott ist nicht ungerecht, daß er vergessen sollte eueres Thuns und der Liebe,“ als wollte er sagen: Wenn wir auch so sprechen, so sollen diese Worte keineswegs auf euch ihre Anwendung finden. Wenn du aber nicht von uns sprichst, warum tadelst du denn, indem du von Solchen redest, die lässiger sind, und flößest durch Erinnerung an Dornen Furcht ein?
11. 12. Wir wünschen aber, daß ein Jeder von euch denselben Eifer beweise, um volle Hoffnung zu haben bis ans Ende; daß ihr nicht träge werdet, sondern Nachahmer Derer, welche durch Glauben und Geduld Erben der Verheissungen geworden sind.