24. Zebinas und Polychronius
Den Zebinas preisen laut noch heute, die seines Anblicks sich erfreuen durften. Sie erzählen, er habe ein hohes Alter erreicht und habe bis an sein Ende die gleichen Arbeiten geleistet und trotz der Bürde des Greisenalters keine der Jugendmühen aufgegeben. Er übertraf, wie sie sagen, alle Menschen seiner Zeit in der Ausdauer im Gebete. Darin beharrte er Tag und Nacht und wurde nicht gesättigt, und immer heißer entzündete sich sein Verlangen. Mit Leuten, die zu ihm kamen, sprach er nur wenig. Er konnte seine Gedanken nicht vom Himmel wenden, und sobald er wieder loskam, kehrte er zum Gebete zurück, um auch nicht kurze Zeit von Gott getrennt zu sein. Und weil ihm das Alter das beständige Stehen nicht gestattete, nahm er als Stütze einen Stab zur Hand, und auf ihn gelehnt, sang und betete er zum Herrn.
Neben andern Tugenden zierte ihn die Gastfreundschaft. Da hieß er vielfach Ankömmlinge den Abend abwarten. Diese fürchteten, er möchte sein Stehen die S. 151 ganze Nacht hindurch fortsetzen, gaben vor, sie hätten keine Zeit und entzogen sich so den Übungen.
Auch der große Maron bewunderte ihn und empfahl allen, die zu ihm kamen, zu dem Greise zu eilen und seinen Segen zu erholen. Er nannte ihn Vater und Lehrer und pries ihn als Urbild aller Tugend. Er bat auch, das Grab mit ihm teilen zu dürfen. Das ließen aber die Frommen, welche seines heiligen Leibes sich bemächtigt, nicht zu, sondern verbrachten ihn an den obengenannten Ort.
Der gottselige Zebinas, der schon vor ihm gestorben war, fand seine Ruhestätte in dem ihm benachbarten Dorfe Kitta, und sie erbauten über seinem Grabe ein mächtiges Heiligtum. Dort spendet er mannigfache Heilung den Pilgern, welche mit Glauben zu ihm kommen. Er hat nun auch Martyrer zu Hausgenossen, die bei den Persern gestritten haben, aber bei uns durch jährliche Feste geehrt werden.
Seiner Lehren erfreute sich der große Polychronius. Auch der gottseligste Jakobus sagte, er habe von ihm den ersten härenen Mantel erhalten. Ich habe Zebinas selbst nie gesehen. Er hatte bereits vor meiner Ankunft das Ziel seines Lebens erreicht. In diesem großen Polychronius schaue ich aber die Tugendweisheit des göttlichen Zebinas. Denn nicht drückt sich im Wachse des Siegelringes Bild so scharf ab, wie hier der eine die Sitten des andern in sich trägt. Das sehe ich genau, wenn ich das Tun des einen vergleiche mit dem, was man vom andern sich erzählt. Auch Polychronius brannte von göttlicher Liebe und war über alles Irdische erhaben. Und obgleich an den Körper gebunden, hatte er eine beflügelte Seele, welche die Luft und den Äther durchdringt und über den Himmel sich erhebt und beständig in die Betrachtung Gottes sich versenkt. Nichts vermag seinen Sinn von dorten abzuwenden. Auch wenn er mit den Besuchern spricht, sind seine Gedanken bei Gott.
Daß er die ganze Nacht stehend durchwacht, habe ich folgenderweise in Erfahrung gebracht. Da ich sah, wie er unter Alter und Körperschwäche litt und dabei S. 152 nicht die geringste Pflege genoß, überredete ich ihn, zwei Hausgenossen anzunehmen, um einige Erleichterung von ihnen zu erfahren. Er erbat sich durch Tugend ausgezeichnete Männer, die für sich in einer anderen Behausung wohnten. Diesen Wundervollen legte ich ans Herz, die Pflege des göttlichen Mannes allen Beschäftigungen vorzuziehen. Nachdem sie nun kurze Zeit bei ihm verbracht hatten, versuchten sie zu fliehen, da sie das Stehen die ganze Nacht hindurch nicht aushalten konnten. Wenn sie den göttlichen Mann baten, er möge doch die Arbeiten nach der Schwachheit des Körpers bemessen, so erwiderte er: „Ich nötige euch ja nicht, die ganze Zeit mit mir zu stehen, und fordere wiederholt, daß ihr euch leget.” Sie aber entgegneten: „Wie könnten wir, gesunde Männer in den besten Jahren, uns legen, wenn der, welcher in Arbeiten alt geworden ist, in Mißachtung der körperlichen Schwäche steht?” So lernte ich die nächtlichen Anstrengungen des ehrwürdigen Hauptes kennen. Die beiden Männer aber erwarben sich mit der Zeit eine so große Tugend, daß sie dieselbe schwere Lebensweise wie er erwählten. Der eine, Moses, leistet ihm auch jetzt noch wie einem Vater und Herrn seine Dienste und spiegelt in sich die strahlende Tugend jener heiligen Seele wider. Der andere, Damian mit Namen, begab sich in eine nahe Stadt, die Niara heißt. Dort fand er bei den Getreidetennen eine Hütte, und in ihr wohnt er, dieselbe Lebensordnung innehaltend wie der Alte. Wenn Leute, die die beiden genau kennen, ihn sehen, vermeinen sie die Seele des großen Polychronius in einem zweiten Leibe zu schauen. Dieselbe Einfalt und Sanftmut und Demut und Lieblichkeit der Rede und Süßigkeit des Umgangs und Wachsamkeit der Seele und Betrachtung Gottes und Stehen und Arbeit und Nachtwachen und Nahrung und Armut nach dem göttlichen Gesetze. Außer einem Körbchen, das aufgeweichte Linsen enthält, findet sich nichts in der Wohnung. Solche Förderung hatte er aus dem Umgange mit dem großen Polychronius erfahren. Doch ich verlasse den Schüler und kehre zum Lehrer zurück. Denn von der Quelle erhält der Fluß sein Wasser.
S. 153 Dieser nun verbannte mit den anderen Leidenschaften auch den Ehrgeiz aus der Seele und trat die Tyrannei des eitlen Ruhmes mit Füßen. So suchte er immer sorgfältig seine beschwerlichen Übungen geheim zu halten. Eisen wollte er nicht tragen aus Furcht, er möchte davon Schaden nehmen, sofern Gedanken des Hochmuts sich einstellen könnten. Er ließ sich aber eine sehr schwere Eichenwurzel bringen, scheinbar für irgendeinen häuslichen Zweck sie benötigend. Diese legte er des Nachts auf seine Schultern, wenn er betete, und am Tage, wenn er der Ruhe pflog. Wenn aber jemand kam und an die Tür klopfte, versteckte er sie an einem verborgenen Orte. Jemand, der sie gesehen hatte, zeigte sie mir. Ich wollte ihr Gewicht kennen lernen, konnte sie aber kaum mit beiden Händen heben. Als er dies sah, befahl er mir, davon abzulassen. Ich bat ihn, sie mir zu geben, damit ich ihm so die Möglichkeit zu dieser Peinigung benähme. Da ich aber gewahren mußte, daß ihm das wehe tue, stellte ich mich dem Streben nach solchem Siege weiter nicht in den Weg.
Aus diesen Mühen erblühte ihm Gottes Gnade, und viele Wunder geschahen auf seine Gebete hin. Denn als jene schwere Trockenheit die Menschen ängstigte und zum Gebete trieb, kam zu ihm eine Schar Priester. Darunter war ein Geistlicher aus der Gegend von Antiochien, der mehreren Dörfern als Hirte vorstand. Dieser bat die Älteren unter den Anwesenden, sie möchten den Mann bewegen, daß er die Rechte auf ein Fläschchen lege. Da sie sagten, daß er sich nicht dazu verstehen werde, fing man zu beten an. Da reichte das ehrwürdige Haupt, im Hintergrunde stehend und mitbetend, mit beiden Händen das Fläschchen her. Dieses floß über, und zwei oder drei der Anwesenden, die ihre Hände darnach ausstreckten, zogen sie öltriefend zurück.
Aber obgleich er so die Strahlen der göttlichen Gnade aussendet und herrliche Werke aller Art verrichtet und täglich neuen Reichtum an Vollkommenheit anhäuft, ist er doch von so demütiger Gesinnung, daß er jedem, der zu ihm kommt, die beiden Füße umfaßt, seine Stirn bis zur Erde neigt, mag er Soldat oder Handwerker oder Bauer sein.
S. 154 Ich will ein Begebnis erzählen, das seine Einfalt und Demut beleuchten mag. Ein braver Mann, Präfekt dieses Volkes, kam nach Cyrus und wollte mit mir den Anblick jener großen Kämpfer genießen. Nachdem wir alle ringsum besucht, kamen wir auch zu dem Streiter, dessen Tugend wir eben behandeln. Als ich ihm nun sagte, daß der Mann, welcher mit mir gekommen, ein Präfekt sei, der sich um die Gerechtigkeit bemühe und die Frommen liebe, streckte er sogleich beide Hände aus, umfaßte seine beiden Füße und sagte: „Ich will dir eine Bitte vortragen.” Da dieser ihm wehrte und ihn aufstehen hieß und zu tun versprach, was immer er befehle (er vermutete nämlich, er werde für einen Untergebenen Fürsprache einlegen), sagte der gottselige Mann: „Nun, da du mir versprochen und das Versprechen mit einem Eid bekräftigt hast, so bete für mich fleißig zu Gott!” Dieser schlug sich auf die Stirne und bat, ihn von dem Schwur zu entbinden, da er nicht einmal für sich Gott würdige Gebete darbringen könne. Welche Worte wären imstande, würdig das Lob eines Mannes zu künden, der auf solcher Höhe der Vollkommenheit eine so demütige Gesinnung sich bewahrte!
Seine Anstrengungen und Mühen vermochten auch mannigfache Leiden nicht hintanzuhalten. Obgleich von vielen Krankheiten heimgesucht, übte er unentwegt dieselben Werke. Oft redeten wir ihm zu. Aber nur mit Mühe setzten wir den Bau der Hütte durch, die dem völlig erstarrten Körper etwas Wärme geben sollte.
Viele überbrachten ihm zu Lebzeiten oder überwiesen ihm letztwillig ihr Gold. Er aber verweigerte jedwede Annahme und empfahl den Bringern, selbst die Verteilung der Gaben vorzunehmen. Der große Jakobus übersandte ihm einen Mantel, den er von einem Gönner zum Geschenke bekommen. Da er aber sah, daß er gar dicht und sorglich gearbeitet sei, schickte er ihn zurück. Denn stetig trug er nur ärmliche und billige Kleidung. Lieber denn ein Königreich war ihm die Armut. So besaß er oft nicht einmal die nötige Nahrung. Häufig, wenn ich zu ihm kam und seinen Segen mir erbat, fand ich nichts vor als zwei einzige Feigen.
S. 155 Seinen Honig lieben, die ihn sehen, und begehren, die ihn hören. Ich kenne keinen Menschen, und wäre er noch so sehr Spötter, der ihm je eine Makel angedichtet hätte. Alle loben und preisen ihn, und die zu ihm kommen, wollen sich nicht von ihm trennen.
