§ 2.
*1) Verweisung auf das frühere Werk des Dionysius über die „Himmlische Hierarchie“, welchem die vorliegende Abhandlung als Gegenstück und Ergänzung zur Seite tritt. 2) Das beiden Hierarchien Gemeinsame:
- a) Dasselbe Grundgesetz der Mitteilung, daß die höheren Ordnungen den tieferstehenden die Erleuchtungen vermitteln;
- b) das gleiche Ziel, nämlich Annäherung an Gott und Verähnlichung nach seinem Bilde. 3) Das Unterscheidende der beiden Hierarchien: Die Engel vollziehen den bezeichneten Prozeß der Vergöttlichung auf reingeistige Weise, wie es ihrer geistigen Natur entspricht; wir Menschen dagegen müssen uns als sinnlichgeistige Wesen der sinnlich wahrnehmbaren Dinge der Körperwelt bedienen und von ihnen ausgehend zum Geistigen aufsteigen. Daher umfaßt unsere Hierarchie einen weiten Kreis mannigfaltiger Erscheinungen der Sinnenwelt. *
Was die Hierarchie der Engel und Erzengel, der überweltlichen Fürstentümer, Gewalten, Mächte, Herrschaften, der göttlichen Throne, oder der zur gleichen Ordnung mit den Thronen gehörenden Geister betrifft, welche, wie die Gottesoffenbarung überliefert, beständig und immerdar Gott umstehen und bei Gott sind, — die Schrift nennt sie mit dem hebräischen Worte „Cherubim“ und „Seraphim“ — so wirst du darüber in dem Buche über die heiligen Rangstufen und Abteilungen ihrer Ordnungen und Hierarchien1, wenn du es zu Händen nimmst, Aufschluß finden. Wir haben darin zwar nicht gebührend aber doch so gut als möglich, indem wir der Offenbarung der hochheiligen Schriften als Führerin folgten, die „Hierarchie der Engel“ geschildert.
Soviel muß jedoch wieder gesagt werden, daß sowohl jene himmlische wie die ganze nunmehr von uns beschriebene Hierarchie durch ihr ganzes hierarchisches Walten hindurch ein und dasselbe Grundvermögen besitzt und daß die Person des Hierarchen einerseits selbst, entsprechend seiner Natur und seiner analogen hohen Stellung, in den göttlichen Dingen vollendet und S. 94 vergöttlicht zu werden vermag, andrerseits die Untergebenen, je nach Würdigkeit der einzelnen, an der heiligen Vergottung, die ihm selbst von Seiten Gottes geworden, Anteil nehmen zu lassen im Stande ist. Die Untergebenen ferner, so müssen wir wieder erinnern, folgen ihrerseits den Höherstehenden und führen hinwieder die Tieferstehenden nach oben. Diese desgleichen schreiten selbst voran und werden ebenso nach Möglichkeit Wegweiser für andere2. Und vermöge dieser gotterfüllten und auf die hierarchischen Gesetze gegründeten Harmonie nimmt ein jeder, soweit es tunlich ist, an dem wahrhaft Schönen, Weisen und Guten Anteil.
Die uns überragenden Wesen und Ordnungen, die ich mit heiliger Ehrfurcht erwähnte, sind körperlos, ihre Hierarchie ist geistig und überweltlich. Unsere Hierarchie dagegen sehen wir, in entsprechender Anpassung an unsere Natur, durch die bunte Fülle der sinnlich wahrnehmbaren Symbole in eine ausgedehnte Vielheit erweitert. Durch diese Symbole werden wir auf hierarchischem Wege, in dem uns entsprechenden Maße, zur eingestaltigen Vergottung, zu Gott und zu göttlicher Tugend, emporgeführt. Jene (himmlischen Wesen) erkennen als reine Geister auf die ihnen zuständige Weise; wir dagegen werden durch sinnfällige Bilder, soweit es (für uns) möglich ist, zum göttlichen Schauen erhoben. In Wahrheit ist es Eines, das alle begehren, die Gottes Bild in sich tragen, aber nicht auf eine Weise nehmen sie an eben diesem Einen Anteil, sondern so, wie es einem jeden die Wage des göttlichen Gerichtes3 gemäß dem verdienten Lose zuerteilt.
Indessen ist das alles von uns in dem Werke über „die geistigen und sinnlichen Dinge“4 ausführlich besprochen worden. Jetzt also werde ich S. 95 unter Anrufung Jesu versuchen, unsere Hierarchie, ihren Ursprung und ihr Wesen nach Möglichkeit zu beschreiben.
Direkte Verweisung auf die „caelestis hierarchia“; es ist kein anderes Werk neben dieser gemeint. ↩
Vgl. die ständige Wiederholung dieses Satzes in der "Himmlischen Hierarchie“. Das gleiche Gesetz von der Rezeptivität und Mitteilung des Lichtes, das unter den Engelchören herrscht, hat auch seine Geltung in der „Kirchlichen Hierarchie“. S. unten e. h. III, 3, 14. ↩
Vgl. Apoc. 6, 5, woher Dion. den bildlichen Ausdruck der Wage entnommen hat. ↩
Vgl. hierüber Einleitung S. VII. ↩
