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Von den göttlichen Namen (Edith Stein)
1. Die Weisheit Gottes als Schöpferin aller Weisheit und über alle Weisheit
Nun laß uns denn, wenn es beliebt, das wahre und ewige Leben auch als weise und als die Weisheit selbst preisen, ja als Schöpferin aller Weisheit, über alle Weisheit und alles Verständnis erhaben. Denn Gott ist nicht nur übervoll von der Weisheit, und für sein Verstehen gibt es keine Zahl, sondern er thront über aller Vernunft, allem Verstand, aller Weisheit. Dies erkannte auf übernatürliche Weise der wahrhaft göttliche Mann, unser und unseres Lehrers gemeinsame Sonne, und darum sagte er: Was in Gott töricht ist, ist weiser als die Menschen. Nicht nur weil alles menschliche Denken ein Umherirren ist im Vergleich zur Stetigkeit und Beharrlichkeit des göttlichen, ganz vollkommenen Wissens; sondern auch, weil die Theologen die verneinenden (beraubenden) Ausdrücke in entgegengesetzem Sinn zu brauchen pflegen. So nennt die Schrift das leuchtendste Licht unsichtbar, und den Vielgepriesenen und Vielnamigen bezeichnet sie als unaussprechlich und unnennbar; den in allem Gegenwärtigen, der von allem her auffindbar ist, nennt sie unfaßlich und unerforschlich. In diesem Sinn also wird von dem göttlichen Apostel gesagt, daß er die Torheit Gottes rühme, indem er das, was darin der Vernunft widersprechend und ungereimt scheint, auf die unaussprechliche und über alle Vernunft erhabene Wahrheit zurückführt. Aber (wie ich schon anderswo gesagt habe): Wenn wir auf unsere Weise das, was über uns ist, auffassen und an den uns vertrauten Sinneseindrükken haften bleiben und Göttliches mit Dingen aus unserer Welt zusammenstellen, geraten wir in Irrtum, indem wir im Anschluß an das sinnlich Erscheinende dem Göttlichen und dem unaussprechlichen Wort nachjagen. Wir müssen wissen, daß unser Geist wohl die Kraft hat, geistig zu erkennen, und dadurch Geistiges schaut, daß aber jene Vereinigung, wodurch er mit dem verbunden wird, was über ihm ist, die Natur des Geistes übersteigt. Danach ist das Göttliche nicht auf unsere Weise zu erkennen, sondern sofern wir uns ganz von uns in unserer Ganzheit loslösen und ganz Gottes werden. Denn es ist besser für uns, Gott anzugehören als uns selbst. So nämlich können die göttlichen Gaben denen zuteilwerden, die Gottes geworden sind. Diese unvernünftige, ungeistige und törichte Weisheit nun wollen wir im Übermaß loben und sagen, daß sie alles Verstandes, aller Vernunft, aller Weisheit und alles Verstehens Ursache ist. Ihr ist jeder Rat eigen, und von ihr kommt alles Erkennen und Verstehen, in ihr sind alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft verborgen.
Denn nach dem schon Gesagten ist sie die überweise und allweise Ursache, die die Weisheit an sich und die gesamte Weisheit und jede einzelne hervorbringt.
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Schriften über "Göttliche Namen" (BKV)
§ 1.
Wohlan denn, laßt uns das gütige und ewige Leben auch feiern als weise und als Weisheit-an-sich oder vielmehr als jegliche Weisheit begründend und über alle Weisheit und Einsicht erhaben. Denn Gott ist nicht bloß der Weisheit übervoll, so daß es für sein Erkennen kein Maß gibt, sondern er ist auch über jeden Gedanken, Verstand und alle Weisheit erhaben. Das hat auch der wahrhaft göttliche Mann, die uns und unserem Meister gemeinsame Sonne, auf übernatürliche Weise erkannt und deshalb gesagt: „Was Torheit Gottes ist, das ist weiser als die Menschen“,1 nicht bloß insofern, als alles menschliche Denken, an der Stetigkeit und Dauer der göttlichen vollkommensten Erkenntnisse gemessen, gewissermaßen Irrtum ist, sondern auch insofern, als es den Hagiographen eigentümlich ist, die privativen Prädikate von Gott im entgegengesetzten Sinne auszusagen.2 So nennen die heiligen Schriften das ganz und gar helle Licht unsichtbar und den Vielgefeierten und Vielnamigen unaussprechlich und namenlos und den allem Gegenwärtigen und aus allem Erkennbaren den Unerfaßbaren und Unaufspürbaren. Auf diese Weise nun, sagt S. 115 man, will auch der göttliche Apostel die „Torheit“ Gottes preisen, indem er das, was an ihr unvernünftig und unpassend scheint, zur unaussprechlichen und über alles Denken hinausgerückten Wahrheit erhebt. Aber schon andernorts habe ich es gesagt: Während wir das über uns Liegende in der uns entsprechenden Weise auffassen und, in die uns vertrauten Sinneswahrnehmungen verstrickt, auch die göttlichen Dinge mit denen aus unserm Bereiche vergleichen, verfallen wir in Irrtum, indem wir mit dem Maßstabe des Sichtbaren das göttliche und unaussprechliche Verhältnis zu erkennen suchen. Man muß ja wissen, daß unser Verstand zwar jene Kraft zu erkennen hat, durch welche er das Erkennbare schaut, daß dagegen jene Einigung die Natur des Verstandes überragt,3 durch welche er mit dem, was über ihm liegt, verbunden wird. Dieser Einigung gemäß ist das Göttliche zu erkennen, nicht unserer Kraft entsprechend, sondern nur möglich, insoweit wir mit unserem ganzen Ich ganz und gar aus uns heraustreten und ganz Gottes werden.4 Denn besser ist es, Gottes und nicht unser zu sein. Nur auf diesem Wege nämlich wird das Göttliche denen gegeben sein, die mit Gott vereinigt sind. Laßt uns also diese unverständige, unvernünftige und törichte Weisheit überschwenglich feiern und erklären, daß sie jeglichen Verstandes und jeder Vernunft und aller Weisheit und Einsicht Ursache ist. Ihr eigen ist aller Rat, und von ihr stammt alle Erkenntnis und Einsicht, und in ihr sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen. Denn entsprechend dem früher Gesagten ist es die überweise und allweise Ursache, welche auch der Weisheit-an-sich und der ge- S. 116 samten und der individuellen Weisheit Subsistenz verleiht.5
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1 Kor. 1, 25. ↩
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Vgl. CH. II 3 und unten DN. VII 3. Weitläufiger noch MTh. IV und V. Siehe Koch 208 ff. über kataphatische und apophatische Theologie bei Proklus. ↩
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Vgl. DN. VII 3 ἡ ὑπὲρ νοῦν ἕνωσις. ↩
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wieder spricht Dionysius von dem mystischen ἐξίστασθαι (vgl. oben III 2), der Entrückung des Geistes in Gott, und bezeichnet es hier noch ausdrucksvoller: ὅλους ἑαυτοὺς ὅλων ἑαυτῶν ἐξισταμένους καὶ ὅλους θεοῦ γιγνομένους· κρεῖττον γὰρ εἶναι θεοῦ καὶ μὴ ἑαυτῶν. ↩
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Das alte Schema: σοφία θεοῦ (= θεός) — αὐτοσοφία —ἡ πᾶσα σοφία — ἡ καθ’ἕκαστον σοφία. ↩