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Von den göttlichen Namen (Edith Stein)
2. Aus der göttlichen Weisheit haben die Engel ihr geistiges Sein
Aus ihr haben die geistig faßbaren und geistig erfassenden Kräfte der englischen Geister ihre einfachen und seligen Erkenntnisse; denn nicht in Geteiltem oder aufgrund von Geteiltem, aus Sinneseindrücken oder weitläufigen Überlegungen tragen sie das göttliche Wissen zusammen, und nicht an etwas Allgemeines halten sie sich deswegen, sondern ganz frei von Stoff und Vielheit, auf geistige, unstoffliche und einförmige Weise erkennen sie, was vom Göttlichen erkennbar ist. Und sie besitzen die geistige Kraft und Tätigkeit, die in unvermischter und unbefleckter Reinheit erstrahlt und göttliche Erkenntnisse erschaut; sie wird in Ungeteiltheit und Unstofflichkeit und gottähnlicher Einheit durch die göttliche Weisheit, so weit möglich, nach dem göttlichen und überweisen Verstand und der (göttlichen und überweisen) Vernunft geformt. Und die Seelen haben die Vernunftbegabung, die auf Umwegen die wahre Erkenntnis des Seienden umkreist und durch ihre bunte Vielgestaltigkeit und Geteiltheit hinter den einheitlichen Geistern zurückbleibt; wenn sie sich aber aus der Vielheit zur Einheit sammeln, werden sie engelgleicher Erkenntnisse für wert geachtet, so weit es für Seelen angemessen und erreichbar ist. Aber auch wenn jemand die Sinneswahrnehmungen einen Nachhall der Weisheit nennen wollte, würde er das Ziel nicht verfehlen: Es stammt ja selbst der Verstand der bösen Geister, sofern er Verstand ist, aus ihr; sofern er aber Unverstand ist und nicht erkennt, wonach er strebt, und weder Wissen hat noch haben will, wird er richtiger Abfall von der Weisheit genannt. Da aber die göttliche Weisheit der Weisheit selbst und aller Weisheit, alles Verstandes und aller Vernunft und aller sinnlichen Erkenntnis Urgrund, Ursache, Erzeugerin, Vollendung, Bewahrung und Ziel genannt wurde, wie kann Gott als überweise, als die Weisheit, der Verstand, die Vernunft, die Erkenntnis gepriesen werden? Wie erkennt Er etwas von dem geistig Erkennbaren, wenn Er keine Geistestätigkeit hat? Oder wie erkennt Er das Sinnenfällige, wenn Er über alle Sinnlichkeit erhaben ist? Indessen, die Heilige Schrift sagt, daß Er alles wisse und daß nichts der göttlichen Erkenntnis entgehe. Doch, wie ich schon oft gesagt habe, Göttliches muß auf Gott geziemende Weise verstanden werden. Denn die Ungeistigkeit und Unsinnlichkeit wird Gott im Sinn des Übermaßes, nicht des Mangels zugeschrieben, so wie wir das Übervernünftige unvernünftig nennen und unvollendet das Übervollendete und von vornherein Vollendete. Und ungreifbare und unsichtbare Dunkelheit das unzugängliche Licht wegen seines Vorranges vor dem sichtbaren Licht. So begreift der göttliche Geist alles in sich durch eine überragende Erkenntnis, die entsprechend der Ursache alles Seienden in sich die Erkenntnis von allem vorwegnimmt, da sie die Engel vor ihrem Entstehen erkennt und sie hervorbringt, und alles andere kennt sie sozusagen vom ersten Ursprung an und setzt es ins Dasein. Und das glaube ich, meint die Schrift, wenn sie sagt: Der alles vor seiner Entstehung kennt. Denn nicht, weil Er das Seiende aus dem Seienden erkennt, weiß der göttliche Geist, sondern aus sich selbst und in sich selbst, als Ursache aller Dinge hat Er alles Wissen, alle Erkenntnis, alles Wesen voraus und begreift alles voraus, nicht jedes in seiner eigenen Art aufgreifend, sondern vermöge der einen, umfassenden Ursache alles wissend und umfassend: Wie auch das Licht der Ursache nach den Begriff der Finsternis in sich vorwegnimmt, da Er der göttliche Geist sie nirgends anders als vom Licht her kennt. Wenn also die göttliche Weisheit sich selbst kennt, wird sie alles kennen; das stoffliche auf unstoffliche Weise, das Geteilte ungeteilt, das Viele einheitlich, da sie durch das Eine selbst alles erkennt und hervorbringt; wenn nämlich Gott gemäß einer Ursache allem Seienden das Sein mitteilt, wird Er gemäß derselben einzigen Ursache alles kennen als aus Ihm selbst seiend und in Ihm vorausbestehend, und nicht vom Seienden her wird Er dessen begriffliche Erkenntnis gewinnen, sondern Er wird ihnen allen, einem jeden die Erkenntnis seiner selbst und den einen die Erkenntnis der andern spenden. Gott hat also nicht eine besondere Erkenntnis Seiner selbst und eine andere, allgemeine, worin Er alles andere Seiende zusammenfassen würde: Denn indem die Ursache aller Dinge sich selbst erkennt, kann sie unmöglich ohne Erkenntnis dessen sein, was von ihr ausgeht und dessen Ursache sie ist. Dadurch also erkennt Gott das Seiende, nicht durch Erkenntnis des Seienden, sondern durch Erkenntnis Seiner selbst; denn auch von den Engeln bezeugt die Schrift, daß sie das, was auf Erden ist, nicht durch sinnliche Erkenntnis des Sinnenfälligen wissen, sondern der Kraft und der Natur des gottähnlichen Geistes entsprechend.
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Schriften über "Göttliche Namen" (BKV)
§ 2.
Aus ihr haben die intellegiblen und die intellektuellen Mächte der Engelgeister ihre einfachen und seligen Erkenntnisse. Nicht in geteilten oder aus geteilten Momenten oder aus Sinneswahrnehmungen oder aus diskursivem Ratiozinium bilden sie ihre göttliche Erkenntnis, noch werden sie von irgendeinem allgemeinen Grundsatz bestimmt, sondern von aller Materie und Vielheit gereinigt erkennen sie auf geistige, immaterielle, eingestaltige Weise das Erkennbare des Göttlichen. Ihnen ist die Kraft und Energie des Erkennens von der unvermischten und makellosen Reinheit durchstrahlt und die göttlichen Erkenntnisse zusammenschauend zu fassen befähigt, weil sie auf Grund des unteilbaren, immateriellen und gottähnlichen Einen der Engelnatur durch die Wirkung der göttlichen Weisheit dem göttlichen, überweisen Verstandes- und Vernunftvermögen nach Möglichkeit nachgebildet ist.
Die Seelen ferner haben das vernunftgemäße Erkennen, indem sie diskursiv und in Kreisbewegung um die Wahrheit der Dinge sich bemühen (in konklusiven Folgerungen).1 Allerdings stehen sie infolge des partikulären und mannigfachen Charakters ihrer verschieden sich spiegelnden Erkenntnis hinter den eingestaltigen Geistern zurück, aber durch den Zusammenschluß des Vielen zum Einen werden sie doch, soweit es den Seelen entsprechend und möglich ist, der engelgleichen Erkenntnisse gewürdigt. Aber selbst in Hinsicht auf die Sinneswahrnehmungen dürfte einer nicht fehlgehen, wenn er sie als einen Widerhall der Weisheit bezeichnete.2 Ist ja S. 117 auch der Intellekt des Dämon, sofern er Geist ist, aus ihr. Insoweit er aber ein unvernünftiger Geist ist, der das Ziel seines natürlichen Strebens weder kennt noch begehrt, muß man ihn mit größerem Rechte einen Abfall von der Weisheit nennen. Aber wenn nun die göttliche Weisheit Anfang, Ursache, Begründung, Vollendung, Bewahrung und Abschluß der Weisheit-an-sich und aller Weisheit und jeglichen Verstandes und jeglicher Vernunft und aller Sinneswahrnehmung genannt worden ist, wie wird dann Gott selbst, der Überweise, als Weisheit und Verstand und Vernunft und Erkenntnis gefeiert? Denn wie wird er etwas vom Intelligiblen erkennen, da er keine Akte des Erkennens vollzieht? Oder wie wird er das sinnlich Wahrnehmbare erkennen, da er über jegliche Sinneswahrnehmung erhaben ist? Und es sagen doch die Schriften, daß er alles wisse und daß nichts der göttlichen Erkenntnis entgehe. Aber, wie ich schon oft gesagt habe, das Göttliche muß man auf eine Gott geziemende Weise verstehen. Denn die Negation des Intellektes und des Sinnes müssen wir bei Gott nach dem Exzessus, nicht nach Ermangelung (secundum excessum, non secundum defectum) statuieren. Gleichwie wir nämlich das Verstandlose dem Überverständigen und die Unvollkommenheit dem Übervollkommenen und ehevor Vollkommenen zuschreiben, so legen wir auch das unberührbare und unsichtbare Dunkel gemäß dem Übermaß des Lichtes dem unzugänglichen Lichte bei. Demnach umfaßt der göttliche Intellekt alles durch seine alles überragende Erkenntnis und besitzt ehevor in sich die Kenntnis von allen Dingen gemäß der ihnen allen zugrunde liegenden Ursache.3 Bevor Engel wurden, kannte er Engel und rief sie ins Dasein,4 und so kennt er auch alles andere von innen heraus und sozusagen unmittelbar aus dem Urbild und bringt es wesenhaft S. 118 hervor.5 Diese Wahrheit, denke ich, überliefert uns das Schriftwort, wenn es sagt: „Er, der alles kennt vor seinem Entstehen.“6 Denn der göttliche Intellekt weiß nicht dadurch, daß er von den Dingen die Dinge kennen lernt, sondern aus sich und in sich hat er ursächlich das Wissen und die Kenntnis und das Wesen von allem im vorhinein und hat es ehevor allzumal erfaßt. Denn nicht auf dem Wege, daß er alle einzelnen Dinge in ihrer Idee inne wird,7 sondern gemäß einer Umfassung weiß und umfaßt er alles in der Ursache. So hat auch das Licht ursächlich die Kenntnis der Dunkelheit ehevor in sich und kennt die Dunkelheit von keiner andern Seite als vom Lichte. Weil also die göttliche Weisheit sich selbst erkennt, deshalb erkennt sie alles, auf immaterielle Weise das Materielle, auf ungeteilte Weise das Geteilte und die Vielheit auf eingestaltige Weise, indem sie unmittelbar im Einen alles erkennt und ins Dasein ruft.8 Denn wenn Gott gemäß einer Ursache allem Seienden Anteil am Sein gibt, so wird er auch gemäß der gleichen einzigen Ursache alles wissen, da es aus ihm ist und in ihm ehevor schon besteht, und er wird nicht von den existierenden Dingen die Kenntnis derselben schöpfen, sondern jeglichen von ihnen die Kenntnis von sich selbst und andern die Kenntnis von andern verleihen. Gott hat also nicht eine eigene Kenntnis von sich selbst und eine andere wieder, welche alles Seiende auf gemeinsame Weise zusammenfaßt. Denn da die Allursache sich selbst erkennt, so wird sie doch wohl schwerlich über das, was von ihr stammt und dessen Ursache sie ist, in Unwissenheit sein. Auf diese Weise also erkennt Gott das Seiende, nicht durch die von den Dingen vermittelte Wissenschaft, sondern durch die S. 119 Kenntnis seiner selbst. Denn die Schrift sagt ja auch von den Engeln, daß sie die Dinge auf der Erde nicht deshalb wissen, weil sie dieselben etwa als sinnlich wahrnehmbare durch Sinneswahrnehmungen erkennten, sondern gemäß der eigentümlichen Kraft und Natur ihres Geistes.9
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Vgl. oben DN. IV 9. ↩
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τῆς σοφίας ἀπήχημα, die „obscura resonantia“ nach den Scholastikern. ↩
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Vgl. Prokl. in Plat. theol. IV 5 τῷ τὰς αἰτίας … ἐν ἑαυτοῖς ἔχειν (γιγνώσκουσιν οἱ θεοί). ↩
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πρὶν ἀγγέλους γενέσθαι εἰδὼς καὶ παράγων ἀγγέλους. ↩
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ἀπ’αὐτῆς … τῆς ἀρχῆς εἰδὼς καὶ οὐσίαν ἄγων (τὰ πάντα) ↩
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Dan. 13, 42. ↩
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οὐ κατ’ἰδέαν ἑκάστοις ἐπιβάλλων. ↩
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τὰ πάντα γιγνώσκουσα καὶ παράγουσα. ↩
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Vgl. Thom. v. Aq. p. I qu. 55 a. 2; Lessius de perfect. div. cap. 1. Man vermeint in diesen Ausführungen des Dionysius die mittelalterlichen Scholastiker zu hören, „Das göttliche Erkennen ist wesenhaft, unabhängig, unmittelbar und intuitiv“ (Specht-Bauer I 81). ↩