§ 1.
Von den (heiligen) Schriften wird die urgöttliche Güte gepriesen, daß sie bestimmt und erklärt hat, was die ganze urgöttliche Wesenheit ist. Denn was anders als dies ist aus der Offenbarung zu ersehen, wenn sie sagt: „Was fragst du mich über das Gute? Niemand ist gut als Gott allein.“1 Das nun ist schon an anderer Stelle von uns untersucht und erwiesen worden, daß alle gottgeziemenden göttlichen Namen nicht in geteiltem Sinne, sondern von der ganzen und vollen Gottheit nach ihrem ganzen und vollen Wesen durch die (heiligen) Schriften ausgesagt und daß sie alle ohne Teilung, absolut, ohne Vorbehalt im ganzen Umfang der vollen Totalität der Gottheit nach ihrem ganzen und vollen Wesen beigelegt werden. Und wenn nun, wie wir in den „Theologischen Grundlinien“ erinnert haben, einer behaupten wollte, das sei nicht von der ganzen Gottheit ausgesagt, so begeht er eine Blasphemie und wagt frevelhaft die übergeeinte Einheit zu zerspalten.2 Wir müssen also zeigen, daß das von der ganzen Gottheit zu verstehen ist. Denn der von Natur gute Logos selbst ist es, der sagte: „Ich bin gut",3 und einer der gottbegeisterten Propheten feiert den Heiligen Geist (Pneuma) als den „Guten“.4 Und wiederum, wenn man sagen wollte, das Wort: „Ich bin S. 33 der Seiende“5 werde nicht von der ganzen Gottheit ausgesagt, und man versuchen wollte, es auf eine Beziehung einzuschränken, wie wird man folgende Worte anhören: „Dieses spricht, der da ist, der war, der kommen wird, der Allmächtige“,6 und jene anderen: „Du aber bist ebenderselbe“7 und: „Der Geist der Wahrheit, der da ist, der vom Vater ausgeht?“8 Und wenn man nicht zugeben will, daß die ganze Urgottheit Leben ist, wie bleibt dann das heilige Wort wahr, das sagt: „Gleichwie der Vater die Toten auferweckt und lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, welche er will“9 und: „Der Geist ist es, der lebendig macht“?10 Und weil ja die ganze Gottheit auch die Herrschaft über das All innehat, so kann doch, wie ich glaube, in Hinsicht auf die gottzeugende Gottheit oder die Gottheit des Sohnes gar nicht gesagt werden, an wie vielen Stellen der Offenbarung vom Vater und vom Sohne der Name Herr ganz gemeiniglich gebraucht wird. Aber auch der (Heilige) Geist (Pneuma) ist Herr. Weiterhin wird das Wort „schön“ und „weise“ von der ganzen Gottheit ausgesagt, ferner die Worte „Licht“ und „Vergöttlichung“ und „Ursache“, und überhaupt alles, was der ganzen Urgottheit zugehört, wird von den heiligen Schriften zu jeglichem Lobpreis der einen Urgottheit ausgesagt. In zusammenfassender Form geschieht das, wenn sie z. B. sagen: „Alles ist aus Gott“,11 in ausführlicher Rede dagegen, wenn sie z. B. sprechen: „Alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen“,12 und: „Alles hat in ihm Bestand“,13 und: „Du wirst deinen Geist aussenden, und sie S. 34 werden geschaffen werden.“14 Und um abschließend zu sprechen, so sagt der urgöttliche Logos selbst: „Ich und der Vater sind eins“,15 und: „Alles, was der Vater hat, ist mein“16 und: „All das Meine ist dein, und das Deinige ist mein.“17 Alles hinwieder, was dem Vater und ihm (dem Logos) gehört, das schreibt die Schrift auch dem urgöttlichen Geiste nach gemeinschaftlicher und geeinter Weise zu: die göttlichen Wirkungen, die Verehrung, die quellenhafte und unversiegbare Ursache und die Verteilung der guten Gaben. Und ich denke, keiner von den Männern, welche in den heiligen Schriften mit unverfälschten Anschauungen aufgenährt worden sind, wird dagegen Widerspruch erheben, daß alles, was gottgeziemend ist, auch gemäß dem göttlich vollkommenen Worte der ganzen Urgottheit zukommt. Nachdem wir nun dieses hier kurz und teilweise, anderen Ortes aber ausgiebig aus den heiligen Schriften erwiesen und unterschieden haben, so halten wir daran fest, daß jeglicher Gottesname, welchen immer wir zu erklären unternehmen wollen, von der ganzen Gottheit zu verstehen ist.18
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Matth. 19, 17 εἷς ἐστιν ὁ ἀγαθός. ↩
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τὴν ὑπερηνωμένην ἑνάδα ἀποσχίζειν. ↩
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Matth. 20, 15. ↩
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Ps. 142, 10. ↩
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Exod. 3, 14. ↩
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Offenb. 1, 4. ↩
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Ps. 101, 28. ↩
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Joh. 15, 26. ↩
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Joh. 15, 21. ↩
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Ebd. 6, 64. ↩
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1 Kor. 11, 12. ↩
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Joh. 1, 3. ↩
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Röm. 11, 36. ↩
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Ps. 103, 30. ↩
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Joh. 10, 30. ↩
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Ebd. 16, 15. ↩
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Ebd. 17, 10. ↩
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Dionysius hat hier und in den folgenden Paragraphen der Sache nach die Attribute des göttlichen Seins und der göttlichen Wirksamkeit korrekt als attributa essentialia allen drei Personen gemeinsam zugeschrieben und unterscheidet dann von ihnen die attributa relativa. ↩