§ 3.
An jene urgöttliche Waage1 uns haltend, welche auch die gesamten heiligen Ordnungen der überhimmlischen Chöre durchwegs regelt, wollen wir das über Verstand und Wesen erhabene Verborgene der Urgottheit mit heiligen, auf volle Erforschung verzichtenden Akten der Ehrfurcht des Geistes, das Unaussprechliche mit bescheidenem Schweigen ehren, und so erheben wir uns zu den aus den heiligen Schriften uns niederleuchtenden Strahlen. Von ihnen werden wir zum Verständnis der urgöttlichen Hymnen2 lichtvoll geleitet, indem wir durch sie auf überweltliche Weise mit Licht erfüllt und nach den heiligen Hymnologien umgeformt werden, damit wir die uns durch dieselben in entsprechendem Maße vermittelten urgöttlichen Lichter schauen und den Gutes spendenden Urgrund jeglicher heiliger Lichterscheinung preisen, so wie er selbst es über sich in den heiligen Schriften überliefert hat. Er ist nämlich aller S. 23 Dinge Ursache, Anfang, Wesen und Leben. Er ist Rückberufung und Aufrichtung für alles von ihm Abgefallene; er ist Wiedererneuerung und Wiedergestaltung alles dessen, was unter die das göttliche Ebenbild verdunkelnde Macht gesunken ist; er ist die heilige, feste Einstellung von allem, was von irgendeiner unheiligen Erschütterung ins Wanken gebracht wird; er ist die sichere Haltung des Stehenden (Ruhenden). Er ist die emporleitende Handführung für alle, die zu ihm emporgeführt werden, die Einstrahlung für alle, die erleuchtet werden, die Urweihe für alle, die Weihevollendung erlangen, die Urgottheit für alle, die vergöttlicht werden, die Vereinheitlichung für alle, die vereinfacht werden, die Einheit aller, die in das Eine gestaltet werden, der überursprüngliche, überwesentliche Ursprung jeglichen Ursprungs, die gütige Mitteilung des Verborgenen nach zulässigem Maße, endlich, um es kurz zu sagen, das Leben der Lebenden, das Wesen der Wesenbegabten, jeglichen Lebens und Wesens Ursprung und Ursache infolge seiner Güte, weil er das Seiende ins Dasein ruft und zusammenhält.3
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Das Bild von der Waage ist Sprichw. 16, 11 und sonst häufig verwendet. ↩
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θεαρχικοὶ ὕμνοι kann hier nur die Gottesnamen bedeuten, die Dionysius erklären will. ↩
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διὰ τὴν εἰς εἶναι τὰ ὄντα παρακτικὴν καὶ συνοχικὴν ἀγαθότητα — eine lehrreiche Stelle, welche Dionysius vom Vorwurfe des Pantheismus reinigt; ähnlich ist § 5. παραγωγή von einem schöpferischen Akt Gottes zu verstehen und darnach die Bedeutung von πρόοδοι, ἐλλάμψεις u. a. zu bestimmen. Vgl. CH. IV 1 ἡ ὑπερούσιος θεαρχία τὰς τῶν ὄντων οὐσίας ὑποστήσασα πρὸς τὸ εἶναι παρήγαγεν. DN. II 11 δωρεῖται τὸ εἶναι τοῖς οὖσι καὶ παράγει τὰς ὅλας οὐσίας, πολλαπλασιάζεσθαι λέγεται τὸ ἕν ὂν ἐκεῖνο τῇ ἐξ αὐτοῦ παραγωγῇ τῶν πολλῶν ὄντων κτλ. Hier wird zugleich hervorgehoben, daß Gott beim Hervorbringen (Schöpfungsakt) der Dinge in seiner Einheit immerdar verbleibt: καὶ πλῆθος ἀμερὲς … πᾶν ἓν καὶ πλῆθος παράγον. Vgl. DN. IV 18 ἐκ τοῦ ἀγαθοῦ παραχθὲν τὸ δαιμόνιον φῦλον; ferner IV 21; VII 2, 3. ↩