12. ἔρως und ἀγάπη (amor und dilectio)
Manchen unserer heiligen Schriftsteller erschien der Name Liebe (ἔρως) göttlicher als der Name Wertschätzung (ἀγάπη). Denn der heilige Ignatius schreibt: »Meine Liebe ist gekreuzigt.« Und in der Einleitung zur Heiligen Schrift wirst Du finden, daß jemand sagt: Ich bin ein Liebhaber ihrer Schönheit geworden. Fürchten wir darum den Namen »Liebe« nicht; und kein Gerede über diesen Namen soll uns Eindruck machen oder erschrecken. Mir scheint es, daß die Theologen die Namen ἔρως und ἀγάπη gleichgeachtet haben, daß sie aber lieber für das Göttliche den Namen der wahren Liebe vermieden haben wegen der schlimmen Vorurteile solcher Menschen. Während nämlich nicht nur wir, sondern auch die Heilige Schrift in Gott geziemender Weise die wahre Liebe preisen, begreift die Menge jenes Einheitliche nicht, das der göttliche Name »Liebe« bezeichnet, sondern wie es ihr entspricht, sinkt sie zu der geteilten, körperlichen Liebe hinab, die keine wahre Liebe ist, sondern ein Abbild oder vielmehr ein Abfall von der wahren Liebe; denn der Menge ist jenes Einzigartige der göttlichen, einen Liebe unzugänglich, darum erscheint es der Menge als ein zu harter Name, wenn er der Göttlichen Weisheit beigelegt wird; damit das Volk zur Erkenntnis der wahren Liebe emporgeführt und erhoben werde und befreit von dem, was ihm peinlich ist, wird auch bei uns, wo häufig die Menschen, die an der Erde haften, etwas Verkehrtes denken könnten, ein Name geehrt, der angemessen scheint. Es sagt jemand: Deine Wertschätzung ist mir zugefallen wie die Wertschätzung von Frauen. Denn die heiligen Theologen verwenden die Namen »Liebe« und »Wertschätzung« gemäß den göttlichen Aussprüchen so, daß sie bei denen, die das Göttliche richtig hören, dieselbe Kraft haben. Und dieser Name ist von einer gewissen einheitwirkenden, sammelnden und vorzüglich im rechten Maß mischenden Kraft, die im Schönen und Guten durch das Schöne und Gute voraus besteht und aus dem Schönen und Guten durch das Schöne und Gute ausgespendet wird, die Gleichartiges durch wechselseitigen Zusammenhang zusammenhält, Höheres zur Vorsorge für das Niedere bewegt und dem Niederen durch Hinwendung einen Platz beim Höheren gibt.