15. Von der Gefangenschaft des Attalus
1 Theuderich aber und Childebert schlossen einen Bund und schworen einander, es wolle nicht einer gegen den andern zu Felde ziehen. Und sie gaben sich gegenseitig Geißeln, damit um so fester bestände, was sie abgemacht hatten. Viele Söhne von vornehmen Römern2 wurden als Geißeln gegeben. Als S. 151 aber wiederum sich Hader zwischen den Königen erhob, verfielen diese Geißeln als Leibeigene dem Staate, und die, welche die Aufsicht über dieselben erhalten hatten, gebrauchten sie nun als Knechte Viele jedoch von ihnen entkamen durch die Flucht und kehrten in die Heimat zurück, einige aber blieben in der Knechtschaft
Unter diesen war auch Attalus, ein Neffe des heiligen Gregorius, Bischoss von Langres3, in die Leibeigenschaft des Staats verfallen, und man hatte ihn zum Pferdeknecht bestimmt. So diente er einem Franken in dem Gebiet von Trier4. Danach schickte der heilige Gregorius Diener aus, um jenen zu suchen Sie fanden ihn auch und boten dem Franken Geschenke. Dieser aber wies sie zurück und sprach: »Wer von so vornehmer Abkunft ist, muß mit zehn Pfunden Goldes gelöst werden.« Als jene Diener nun unverrichteter Sache nach Hause kamen, sprach ein gewisser Leo, der als Koch dem Gregorius diente, zu ihm:
»Möchtest du es mir nur erlauben, vielleicht kann ich ihn aus der Gefangenschaft befreien« Da freute sich fein Herr, und stracks eilte Leo zur Stelle. Er gedachte den Jüngling heimlich zu entführen, aber dies gelang ihm nicht. Da nahm er einen Nienschen zu sich und sprach: »Komm mit mir und verkaufe mich im Hause jenes Franken, und was du bekommst, soll dein sein; nur daß ich freie Hand gewinne, ins Werk zu setzen, was ich vorhabe« Als er ihm dies geschworen, ging jener mit ihm fort, verkaufte ihn für zwölf Goldgulden und verschwand. Der Täufer aber befragte den neuen Diener, was er verstünde, und jener antwortete: »Jch verstehe sehr gut, alles zu bereiten, was an den Tafeln der Herrn ißt, und gewiß wird meinesgleichen S. 152 in dieser Kunst nirgends gefunden. Denn fürwahr, ich sage dir, auch wenn du dem Könige ein Mahl zurichten wolltest, ich kann dir kömgliche Gerichte machen, und keiner besser, als ich.« Da sagte der Herr: »Siehe, Sonntag ist vor der Tür — denn so pflegen die Franken den Tag des Herrn zu nennen — an diesem Tage werde ich meine Nachbarn und Verwandten einladen in mein Haus; mache mir also ein Mahl, daß sie sich wundern und sprechen: in des Königs Hause haben wir es nicht besser gesehen« Und jener sprach: »Mein Herr lasse mir nur eine Menge von jungen Hühnern herbeischasfen, und ich werde tun, wie er befiehlt« Als nun der Koch alles zugerichtet, was er befohlen hatte, brach der Tag des Herrn an, nnd ein großes Mahl wurde angerichtet mit den herrlichsten Leckerbissen. Und da sie alle gespeist und das Mahl gelobt hatten, gingen die Verwandten des Herrn von dannen. Da wandte der Herr seine Gnade diesem Diener zu, und derselbe erhielt Macht über alles, was sein Herr besaß. Denn er liebte ihn sehr, und allen, die bei ihm waren, teilte derselbe das Brot und Fleisch zu. Nach Verlauf eines Jahres jedoch, als der Herr seinetwegen schon ohne alle Vesorgnis war, ging jener einst auf eine Wiese, die nahe dem Hause war, mit dem jungen Attalus, dem Pferdeknechte, hinaus; er legte sich zu ihm auf den Boden, indem sie einander den Rücken zuwandten, damit man nicht bemerken sollte, daß sie sich miteinander besprächen, und sagte aus der Entfernung zu dem Jüngling: »Es ist jetzt Zeit, daß wir der Heimat gedenken. Laß dich also in dieser Nacht, wenn du die Pferde in den Stall geführt hast, nicht vom Schlaf übermannen, sondern, wenn ich dich rufe, so komm, und wir wollen uns auf den Weg machen« Es hatte gerade jener Franke viele seiner Verwandten zu einem Mahle geladen und unter diesen auch seinen Eidam, der seine Tochter zur Ehe genommen hatte. Als sie nun um Mitternacht sich vom Mahle erhoben und sich zur Ruhe legten, di! folgte S. 153 Leo mit dem Schlaftrunk dem Eidam seines Herrn in sein Gemach. Als nun Leo ihm zu trinken reichte, sprach er zu ihm: »Mein Schwäher überläßt dir alle-J, so sag mir doch und hole dich dieser und jener: wann willst du ihm seine Pferde nehmen und dich auf den Weg in die Heimat machen?« So sprach er in guter Laune zum Scherze. Aber auch jener sagte ihm in scherzendem Tone die Wahrheit, und sprach: »Jch denke, noch in dieser Nacht, wenn es Gott gefällt.« Da sagte jener: »Dann mögen meine Diener nur auf der Hut sein, daß du mir nichts von meinen Sachen mitnimms .« So gingen sie lachend auseinander. Als aber alle schliefen, rief Leo den Attalus, und als sie die Pferde gesattelt, fragte er ihn, ob er auch ein Schwert habe. Er antwortete: »Nein, ich brauche nur einen kleinen Speer« Aber jener ging wieder in das Gemach seines Herrn und nahm dessen Schild und Schwert. Als der Herr fragte, wer es wäre nnd was er wolle, antwortete er: »Jch bin Leo, dein Knecht, und wecke den Attalus, daß er schnell aufstehe und die Pferde auf die Weide treibe. Denn er schläft so fest, als sei er betrunken« »Gut«, sagte jener, und schlief ein. Leo aber ging hinaus, waffnete den Jüngling und fand die Hoftüre durch göttlichen Beistand geöffnet. Denn beim Einbrechen der Nacht hatte man mit dem Hammer Keile eingetrieben und sie geschlossen, daß die Pferde nicht fortliefen. Da dankten sie Gott und machten sich auf den Weg, nahmen auch die andern Pferde mit sich und ein Bündel mit Kleidern. Als sie aber an die Mosel5 kamen und übersetzen wollten, wurden sie von Leuten aufgehalten. Sie ließen deshalb die Pferde und Kleider im Stich, legteu sich uuf deu Schikd uud schwummeu über deu Fluß. Eliachdem sie auf das jenseitige Ufer gekommen waren, eilten sie m einen Wald und verbargen sich daselbst im Dunkel der Xltacht
S. 154 Und schon war es die dritte Nacht, daß sie ohne einen Bissen zu essen auf dem Wege waren. Da fanden sie nach Gottes Willen einen Pflaumenbaum, voll von Früchten, sie aßen davon, stärkten sich nnd machten sich weiter auf den Weg nach d» Champagne Unterwegs aber hörten sie plötzlich das Getrappel eilender Pferde und riefen: »Wir wollen uns zu Boden werfen, daß uns die Menschen nicht sehen, die da kommen« Und siehe, in der Nähe war gerade ein großer Brombeerbusch hinter den gingen sie und warfen sich auf die Erde mit gezogenen Schwertern, daß sie, wenn sie bemerkt würden, sogleich sich wie gegen Räuber verteidigen könnten. Da aber jene zur Stelle kamen, machten sie Halt bei dem Brombeerbusch, und der eine sprach, während die Pferde stallten: »Verdammt, daß diese Schelme mir entflohen, und wir sie nicht finden können! Aber bei meinem Leben, wenn sie gefaßt werden, so lasse ich den einen am Galgen hängen und den andern mit Schwertern in Stücke zerhauen6. «« Es war nämlich der Franke selbst, der dieses sprach, ihr Herr, und er kam von Reims her und spürte ihnen nach. Und gewiß hätte er sie auf dem Wege gefunden, wenn es nicht Nacht gewesen wäre. Darauf gaben jene den Pferden die Sporen und eilten weiter. Jn derselben Nacht erreichten die Flüchtlinge aber noch die Stadt7, gingen hinein und fanden einen Mann, den fragten sie, wo das Haus des Priesters Paulellus sei, und er zeigte es ihnen. Als sie aber über die Straße gingen, läutete es eben zur Frühmette, denn es war gerade Sonntag. Sie klopften an die Türe des Priesters und traten ein, und der Jüngling erzählte ihm von seinem Herrn. Da sprach zu ihm S. 155 der Priester: »So wird also mein Traum zur Wahrheit; denn mir träumte in dieser Nacht, daß zwei Tauben zu mir flogen und sich auf meine Hand setzten, und die eine von ihnen war weiß, die andere schwarz.« Darauf sprach der Jüngling zum Priester: »Der Herr möge es uns vergeben, heute an seinem heiligen Tage8; aber wir bitten dich, daß du uns einige Speise reichst, denn es ist der vierte Tag, daß wir nicht Brot oder Fleisch genossen haben« Hierauf verbarg der Priester die Jünglinge, gab ihnen ein Gericht mit Brot und Wein und ging zur Frühmette Es war ihnen aber auch der Franke wieder auf die Spur gekommen und. suchte sie abermals daselbst, doch der Priester wußte ihn irrezuleiten, und so kehrte jener wieder heim. Dieser Priester war nämlich von alters her mit dem heiligen Gregorius befreundet. Und als die Jünglinge sich durch Speise und Trank gestärkt hatten und noch zwei Tage im Hause des Priesters geblieben waren, zogen sie von dannen und gelangten endlich zum heiligen Gregorius zurück. Da freute sich der Bischof, als er die Jünglinge sah, und er weinte am Halse seines Neffen Attalus9 dem Leo aber gab er mit seiner ganzen Nachkommenschaft die Freiheit und ein Eigengutz auf dem lebte er mit seinem Weibe und seinen Kindern als ein freier Mann bis an sein Ende.
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Die folgende Erzählung hat Grillparzer den Stoff zu seinem Lustspiel »W2h dem der lügt« geliefert. ↩
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»Senatoren.« ↩
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Er war der Urgroßvater Gregors von Tours, vgl. untenV, 5; die Erzählung folgt also wohl einer Familientraditiom ↩
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»Einem Barbaren,« sagt der lateinische Text. Aber das Wort geht nur noch auf den nationalen Gegensatz, die geringschätzige Nebenbedeutung, die es früher hatte. lst geschwunden. (Vgl. auch S. XXXlXJ Immerhin ist es bezeichnend, daß Cassiodor es oermeidet, die Gothen so zu nennen (vgl. Mommsen im Judex zu Cassiodorx « " ↩
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So erzählt Gregor, aber wohl irrtümlich, da man eher an die Alkuas denken muß. ↩
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Weil der eine, Lea, ein Unfreier, der andere, Attalus, aus vornehmen: Geschlechte war; die Strafe des Hängens galt als schimpflicher und scheint mit Botliebe auf Unfreie angewendet worden zu sein; vgl. J. Grimm. DOUtschE ROTHE-FAMItiituer, IV. Aufl., 1I. 265. ↩
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Reims. ↩
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Altkirchlichem Brauch entsprach es, daß nicht nur der das Meßopfer darbringende Priester, sondern auch der daran teilnehmende Laie nüchtern zum Altar trat. Einen Verstoß gegen das« kirchliche Verbot, am Sonntag zu fasten, beging man damit nicht. Vgl. Martånh De antiquis ecclesjue rttlbus I, 34U. ↩
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Vgl. Tob. 7, 6. ↩