14. Wie Merovech die Tonsur erhielt und nach der Kirche d. hl. Martinus floh
Hiernach erhielt Merovech, der noch vom Vater in Haft gehalten wurde(2), die Tonsur, bekam das Gewand angelegt, in dem die Geistlichen zu gehen Pflegen, wurde zum Priester geweiht und in das Kloster zu Le Mans, das Anninsola genannt wird(3), geschickt, daß er dort in der Regel der Priester unterwiesen werde. Als dies Gunthramn Boso hörte, der sich damals, wie wir erzählt haben, in der Kirche des heiligen Martinus befand(4) schickte er den Subdiakon Rikulf(5) an jenen ab, daß er ihm heimlich den Rat erteilen sollte, sich nach der Kirche des heiligen Martinus zu flüchten. Und als jener schon auf dem Wege war (6), stieß von einer ändern Seite sein Gefolgsmann Gailen zu ihm, und da, die Merovech geleiteten, nicht stark genug waren, wurde er von Gailen auf der Landstraße befreit. Er verhüllte(7) sein Haupt, nahm weltliche Tracht an und eilte so nach der Kirche des heiligen Martinus. Als wir eben die Messe hielten, trat er in die heilige Kirche, da er die Türen offen fand. Und nach der Messe verlangte er, daß S. 24 wir ihm das geweihte Brot reichen sollten(1). Es war aber damals der Bischof von Paris Ragnemod bei uns, der dem Helligen Germanus gefolgt war. Und da wir ihm das Brot verweigerten(2), Hub er an zu schelten und zu sagen, es geschehe zu Unrecht, daß wir ihn ohne die Zustimmung unsrer geistlichen Brüder von der Kirchengemeinschaft ausschlössen. Da er so sprach, empfing er unter Zustimmung unsers einzigen Bruders, der gegenwärtig war, nachdem die Sache den kirchlichen Vorschriften gemäß behandelt worden war, wirklich das Brot. Ich fürchtete aber, ich möchte, während ich Einen von der Gemeinschaft ausschlösse, an Vielen zum Mörder werden. Denn er drohte, manchen von unserm Volke zu töten, wenn wir ihn nicht zur Gemeinschaft zuließen. Viele Leiden erduldete jedoch die Gegend um Tours um dieser Sache willen. Denn in diesen Tagen begab sich Nicetius(3), der Mann meiner Nichte, da er eine besondere Angelegenheit auszurichten hatte, zu König Chilperich mit einem unserer Diakonen, der dem Könige die Flucht Merovechs melden sollte. Die Königin Fredegunde rief, als sie diese erblickte, aus: „Es sind Kundschafter, und sie kommen nur um zu horchen, was unser König vorhat, auf daß sie Merovech es zutragen können." Und sie ließ ihnen sogleich ihre ehrliche Gewandung abnehmen(4) und sie in Haft S. 25 bringen, aus der sie erst im siebenten Monate wieder befreit wurden. Chilperich aber sandte Boten zu uns und sprach: „Werfet jenen Abtrünnigen aus eurer Kirche; wo nicht, werde ich eure ganze Gegend mit Feuer und Schwert verheeren." Und als wir ihm dagegen schrieben, es sei unmöglich, daß noch jetzt zu der Christen Zeit geschehe, was in den Zeiten der Irrgläubigen nicht geschehen sei, bot er sein Heer auf und sandte es gegen uns.
Im zweiten Jahre der Regierung König Childeberts wollte Merovech, als er sah, was sein Vater gegen ihn im Sinne führte, mit Herzog Gunthramn zu Brunichilde ziehen und sprach: „Es sei ferne, daß meiner Person wegen die Kirche des Herrn Martinus Gewalt leide oder sein Gebiet durch mich in die Hand seiner Feinde falle." Und er kam einst während des nächtlichen Gottesdienstes in die Kirche, S. 26 und V. 14. legte alle seine Habe, die er bei sich hatte, am Grabe des heiligen Martinus nieder und bat, der Heilige möge ihm beistehen und ihm seine Gnade angedeihen lassen, auf daß er das Reich gewinne. Leudast aber, der damals Graf war, bereitete ihm, Fredegunde zuliebe, überall Nachstellungen und überlistete und tötete zuletzt einige von seinen Leuten, die in die Um-gegend ausgezogen waren; auch ihn selbst hätte er gern getötet, wenn er ihn an einem gelegenen Orte hätte treffen können. Darauf ließ Merovech auf Anraten Gunthramns, und um sich zu rächen, den Oberarzt Marileif(1), als er vom Könige zurückkehrte, ergreifen; Marileif wurde schwer mißhandelt, verlor sein Gold, Silber und alles, was er sonst bei sich führte, und behielt nur das nackte Leben. Und er wäre getötet worden, wenn er nicht den Händen seiner Peiniger entkommen wäre und die Hauptkirche erreicht hätte. Nachher gaben wir ihm Kleider, erwirkten ihm Sicherheit für sein Leben und sandten ihn nach Poitiers heim. Merovech aber sprach damals viel Böses von seinem Vater und seiner Stiefmutter, und obschon dies zum Teil zutraf, meine ich doch, Gott sei es nicht genehm gewesen, daß gerade der Sohn es kund tat. Dies ist mir in der Folgezeit deutlich geworden. Ich wurde eines Tages zu ihm zu Gast gebeten, und da wir zusammensaßen, bat er mich dringend, ihm etwas zur Unterweisung seiner Seele vorzulesen. Ich schlug das Buch Salomonis auf und blieb bei dem Verse stehen, der mir zuerst aufstieß. Er enthielt aber dies: „Ein Auge, das den Vater verspottet, das müssen die Raben am Bach aushacken(2)." Er verstand dies nicht, ich aber sah, daß dieser Vers von dem Herrn zur Vorbedeutung gegeben sei(3).
Damals sandte Gunthramn einen seiner Leute zu einem S. 27 Weibe, die ihm schon von der Zeit König Chariberts her bekannt war; die hatte den Geist der Wahrsagung, und sollte ihm Vorhersagen, was da geschehen sollte. Auch behauptete er, sie habe ihm die Zeit vorausgesagt, in der König Charibert sterben sollte, und zwar nicht nur das Jahr, sondern auch Tag und Stunde. Sie ließ ihm aber folgendes durch seine Leute zurücksagen: „Es wird geschehen, daß König Chilperich noch in diesem Jahre stirbt und Merovech allein mit Ausschluß seiner Brüder das Reich gewinnt, du aber wirst das Herzogtum in seinem ganzen Reiche fünf Jahre lang bekleiden, im sechsten Jahre aber in einer Stadt, die an der Loire, auf ihrem rechten Ufer, liegt(1), durch des Volkes Stimme die bischöfliche Würde erlangen und alt und des Lebens satt erst von der Welt abscheiden." Die Leute kehrten heim und hinterbrachten dies ihrem Herrn. Der aber, von Hochmut gebläht, als säße er schon auf dem Bischofsstuhl von Tours, ließ mich sogleich diese Worte wissen. Ich verlachte seine Torheit und sagte: „Bei Gott will das erbeten sein, und man soll dem nicht glauben, was der Teufel verspricht. Denn er ist ein Lügner von Anbeginn und hat niemals in der Wahrheit bestanden(2)." Da ging er verwirrt von dannen, und ich lachte sehr über ihn, daß er meinte, man müsse solchen Dingen Glauben schenken. Darauf sah ich in einer Nacht, als ich die Vigilien in der Kirche des heiligen Bischofs gehalten Hatte und auf mein Bett hingesunken und eingeschlummert war, einen Engel durch die Luft fliegen, und da er über der heiligen Kirche hinflog, rief er mit lauter Stimme: „Wehe! Wehe! Gott hat Chilperich und seine Söhne getroffen, und keiner wird ihn überleben von denen, die aus seinen Lenden entsprungen sind, daß er S. 28 sein Reich regiere, in Ewigkeit." Er hatte aber damals von seinen verschiedenen Frauen vier Söhne(1) der Töchter nicht zu gedenken. Als nun dies sich später erfüllte, erkannte ich recht deutlich, Lug Und Trug war es, was die Wahrsager jenem versprochen hatten.
Als sie beide(2) sich noch in der Kirche des Helligen Martinus aufhielten, schickte die Königin Fredegunde zu Gunthramn Boso, dem sie schon um Theudeberts(3) Tod willen im füllen günstig gestimmt war, und sagte: „Wenn du Merovech aus der Kirche herausschaffen wirst, so daß man ihn töten kann, sollst du ein großes Geschenk von mir erhalten." Jener meinte, die Mörder ständen schon vor der Tür, und sagte zu Merovech: „Was sitzen wir hier so trägeund furchtsam und verkriechen uns wie Feiglinge in der Kirche? wir wollen unsre Pferde kommen lassen, die Falken nehmen, mit unsren Hunden auf die Jagd ziehen und uns der weiten Welt freuen." Solches sprach er voll arger List, um ihn aus der Kirche herauszulocken. Denn Gunthramn war ein sonst tüchtiger Mann(4), aber wohlgeübt in Meineiden, und er schwor keinem seiner Freunde einen Eid, den er nicht sofort gebrochen hätte(5). Als sie nun, wie wir erzählt haben, aus der Kirche auszogen, kamen sie bis nach Jocundiacus(6), einem Hause ganz nahe der Stadt, ohne daß jemand Merovech ein Leid antat. Da man aber Gunthramn damals, wie wir erzählt haben(7), S. 29 Theudeberts Ende zur Last legte, schickte König Chilperich an das Grab des heiligen Martinus einen Brief, in dem stand, der heilige Martinus möge ihm Antwort schreiben, ob es ihm frei stehe, Gunthramn aus seiner Kirche herauszuschafsen oder nicht. Der Diakon Baudigisil, der diesen Brief überbrachte, legte auch mit demselben ein weißes Blatt, das er ebenfalls bei sich führte, bei dem heiligen Grabe nieder. Als er aber drei Tage gewartet hatte und keine Antwort erhielt, kehrte er zu Chilperich zurück. Jener schickte darauf andere Boten und ließ von Gunthramn einen Eid fordern, er werde niemals ohne des Königs Wissen die Kirche verlassen. Jener war gleich bei der Hand und schwor, die Decke des Altars ergreifend und zum Zeugen nehmend, er werde niemals ohne des Königs Geheiß von dannen ziehen.
Merovech aber glaubte doch nicht jener Wahrsagerin und legte deshalb drei Bücher auf das Grab des Heiligen, den Psalter nämlich, die Bücher der Könige und die Evangelien, und die ganze Nacht wachend, bat er, der heilige Bekenner möge ihm die Zukunft enthüllen und er durch einen Wink des Herrn erfahren, ob er das Reich gewinnen könne oder nicht. Als er darauf drei Tage ganz in Fasten, Wachen und Beten zugebracht hatte, ging er wiederum zum heiligen Grabe und schlug das Buch der Könige auf. Der erste Vers der Seite, welche er aufschlug, war aber folgender: „Darum, daß sie den Herrn, ihren Gott, verlassen haben und haben angenommen andre Götter und sie angebetet und ihnen gedienet, deshalb hat auch der Herr alles dieses Übel über sie gebracht(1)" Im Psalter aber fand er diesen Vers: „Aber du setzest sie auf das Schlüpfrige und stürzest sie zu Boden. Wie werden sie so Plötzlich zunichte! Sie gehen unter und nehmen ein Ende S. 30 mit Schrecken(1)." In den Evangelien endlich fand er dies: „Ihr wisset, daß nach zween Tagen Ostern wird, und des Menschen Sohn wird überantwortet werden, daß er gekreuzigt werde(2)." über diese Losungen(3) wurde er sehr bestürzt und weinte lange am Grabe des heiligen Bischofs, dann nahm er Herzog Gunthramn und etwa fünfhundert Mann mit sich und zog von dannen. Als er aber die heilige Kirche verlassen hatte und seinen Weg durch das Gebiet von Auxerre nahm, wurde er von Erpo, König Gunthramns Herzog, gefangen genommen, entwischte aber der Haft desselben durch irgendeinen Zufall und entkam nach der Kirche des heiligen Germanus(4) Als König Gunthramn dies hörte, wurde er sehr erzürnt, verdammte Erpo zu einer Strafe von siebenhundert Goldgulden und entsetzte ihn seines Amtes. „Du hast," sprach er zu ihm, „wie mein Bruder sagt, seinen Feind in deine Gewalt gebracht. Wenn du dies mit Vorbedacht tatest, so hättest du ihn erst zu mir bringen müssen; wo nicht, hättest du ihn gar nicht anrühren sollen, da du ihu doch nicht festhalten wolltest."
Das Heer König Chilperichs(5) rückte darauf gegen Tours an, plünderte die Umgegend, verbrannte und verwüstete alles. Auch verschonte es nicht das Eigentum des heiligen Martinus, sondern was ihm in die Hände fiel, raubte es ohne alle Scheu und Furcht vor Gott(6). Merovech aber hatte fast zwei Monate in der gedachten Kirche gewohnt, ehe er sich auf die Flucht begab. Er entkam glücklich zur Königin Brunichilde, S. 31 aber die Australier(1) wollten ihn nicht aufnehmen. Sein Vater führte darauf das Heer gegen die in der Champagne, denn dort, meinte er, sei er verborgen(2), aber er konnte ihm nichts antun und auch seiner nicht habhaft werden.