5. Kontroverse mit einem Juden
König Chilperich verweilte damals noch auf dem oben erwähnten Hofe, ließ aber sein Gepäck fortschaffen und wollte nach Paris gehen. Und da ich zu ihm kam, um mich zu verabschieden, trat gerade ein Jude mit Namen Priscus ein, mit dem er viel verkehrte, weil er kostbare Sachen von ihm zu kaufen pflegte. Der König aber ließ seine Hand in den Haaren des Juden spielen und sprach zu mir: „Komm, Priester des Herrn, und lege ihm deine Hand auf." Der Jude aber S. 113 sträubte sich. Da sprach der König(1) : „O, über diesen starren Sinn und dies allezeit ungläubige Geschlecht, das nicht begreifen will, daß der Sohn Gottes ihm verheißen ist durch die Stimme seiner Propheten, nicht begreifen will, daß die Geheimnisse der Kirche Ln seinen Opfern ihm vorgebildet sind." Ws er solches sprach, sagte der Jude: „Gott hat kein Weib heimgeführt und auch keine Kinder bekommen, noch duldet er einen, der die Herrschaft mit chm teile, wie er durch Moses spricht: .Sehet ihr nun, daß Ich es allein bin und ist kein Gott neben mir? Ich kann töten und lebendig machen, ich kann schlagen und kann heilen(2)" Hierauf sagte der König: „Gott hat aus seinem Schöße geistigerweise den ewigen Sohn gezeugt, der der Zeit nach nicht jünger, der Macht nach nicht minder ist denn er, von dem er selbst spricht: .Aus meinem Schöße habe ich dich gezeugt vor dem Morgenstern(3) Diesen nun, der vor der Zeit geboren, sandte er am Ende der Zeit als Heiland der Welt, wie dein Prophet spricht: .Er sandte sein Wort und machte sie gesund(4).' Wenn du aber meinst, daß er selbst nicht zeuge, so höre deinen Propheten, der da spricht aus dem Munde des Herrn: .Sollte ich ändern lassen S. 114 die Mutter brechen und selbst nicht auch gebären(1) ?' Dies sagt er von dem Volke, das durch den Glauben zu ihm neu geboren wird." Darauf erwiderte der Jude: „Konnte wohl Gott Mensch, konnte er vom Weibe geboren werden, konnte er Schläge leiden und zum Tode verurteilt werden?" Als der König schwieg, trat ich hervor und sprach: „Daß der Herr, der Sohn Gottes, Mensch wurde, geschah nicht, weil es für ihn, sondern weil es für uns notwendig war. Denn den von der Sünde gefesselten und der Gewalt des Teufels unterworfenen Menschen konnte er nicht erlösen, wenn er nicht die menschliche Gestalt annahm. Jedoch will ich mich nicht berufen auf die Evangelien und den Apostel, denen du nicht glaubst, sondern auf deine heiligen Schriften, daß ich dich mit deinen eigenen Waffen schlage, wie man liest, daß einst David den Goliath tötete. Daß Gott also Mensch werden sollte, darüber höre deinen Propheten, der da spricht: -Er ist Gott und Mensch und wer hat ihn erkannt(2)?' und an einem ändern Orte: -Das ist unser Gott und keiner ist ihm zu vergleichen. Der hat die Weisheit gefunden und hat sie gegeben Jacob, seinem Diener, und Israel, seinem Geliebten. Darnach ist er erschienen auf Erden und hat bei den Leuten gewöhnet(3)' Über seine Geburt von der Jungfrau höre aber gleichfalls deinen Propheten, da da spricht: -Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden seinen Namen heißen Emanuel(4), das ist ver-dolmetscht: Gott mit uns.' Daß er aber Streiche empfangen, S. 115 von Nägeln durchbohrt und ändern Mißhandlungen unterworfen und ausgesetzt sein sollte, sagt ein andrer Prophet: ,Sie haben Meine Hände und Füße durchgraben; sie teilen meine Kleider unter sich usw. (1) Und wiederum: >Sie gaben mir Galle zu essen und Essig zu trinken in meinem großen Durst(2).' Und daß er durch den Kreuzestod die verfallende und der Herrschaft des Teufels geweihte Welt für sein Reich wieder gewinnen sollte, sagt ebenfalls David: >Der Herr ist König vom Holze herab(3) Nicht daß er nicht schon zuvor beim Vater geherrscht hätte, aber über das Volk, das er von der Knechtschaft des Teufels befreit hatte, empfing er nun erst die Herrschaft." Darauf erwiderte der Jude: „Was für eine Notwendigkeit gab es für Gott, solches zu leiden?" Ich antwortete ihm: „Ich habe dir schon gesagt, Gott schuf den Menschen ohne Sünde, aber durch die List der Schlange ward er verführt und übertrat Gottes Gebot. Deshalb ward er aus dem Paradiese Vertrieben und ihm die Mühen der Welt auferlegt. Aber , durch den Tod Christi, des eingeborenen Gottes, ist er mit Gott dem Vater wiederum versöhnt worden." Der Jude sagte: „Hätte Gott denn nicht Propheten oder Apostel senden können, die den Menschen auf den Pfad des Heiles zurückführten, ohne daß er sich selbst zum Fleische herabließ?" Darauf sagte ich: „Von Anfang an hat das Menschengeschlecht unaufhörlich gesündigt, und nicht die Vertilgung S. 116 durch die Sündflut, nicht der Brand Sodoms, nicht die Landplagen Ägyptens, nicht die wunderbare Teilung der Fluten des Meeres und des Jordans schreckten es ab. Immer widerstrebte es Gottes Gesetz und nimmer glaubte es den Propheten; und nicht nur glaubte es nicht, es tötete auch die, so Buße predigten. Deshalb, wäre er selbst nicht herabgestiegen, dies Geschlecht zu erlösen, ein anderer hätte es nicht vermocht. Durch seine Geburt sind wir wiedergeboren, durch seine Taufe sind wir gereinigt, durch seine Wunden geheilt, durch seine Auferstehung auferstanden, durch seine Himmelfahrt verherrlicht. Und daß er kommen werde zu heilen unsere Gebrechen, sagt dein Prophet: -Durch seine Wunden sind wir geheilet(1) Und dann: ,Er hat vieler Sünden getragen und für die Übeltäter gebetet(2) -Er tat seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und wie ein Schaf, das verstummet vor seinem Scherer. Er ist aber aus der Angst und Gericht genommen: wer will seines Lebens Länge ausreden(3)?' Herr Zebaoth heißt sein Name(4).' Und von diesem spricht auch Jacob, von dessen Stamm entsprossen zu sein du dich rühmst, in dem Segen über seinen Sohn Juda, indem er gleichsam Christus, den Sohn Gottes, selbst anredet: ,Bor dir werden deines Vaters Kinder sich neigen. Juda ist ein junger Löwe. Du bist hoch gekommen, mein Sohn, durch große Siege. Du bist niedergekniet und hast dich gelagert wie ein Löwe und wie eine Löwin, wer wird ihn erwecken? Seine Augen sind rötlicher denn Wein, und seine Zähne weißer denn Milch(5) Mer wird ihn erwecken?' sagt er, und obgleich S. 117 der Heiland selbst spricht: ,Jch habe Macht mein Leben zu lassen und habe Macht es wiederzunchmen(1)', sagt doch der Apostel Paulus: >So du nicht glaubst in deinem Herzen, daß ihn Gott von den Toten auferwecket hat, so wirst du nicht selig werden(2)'"
Dies und anderes der Art sprachen wir miteinander, aber der Unglückliche wurde nicht zum Glauben bewogen(3). Da er aber endlich schwieg und der König sah, daß dies Gespräch jenem doch nicht das Herz erweicht hatte, wandte er sich zu mir und verlangte, ich sollte ihn zum Abschiede segnen. „Ich werde zu dir, Bischof, sprechen," sagte er, „was Jakob zum Engel des Herrn sprach, der mit ihm redete: ,Jch lasse dich nicht, du segnest mich denn,(4).'" Und bei diesen Worten befahl er, mir Wasser zu reichen. Ich wusch meine Hände, sprach das Gebet, nahm das Brot, dankte Gott, genoß es selbst und reichte es dem König. Nach dem Genüsse des Kelchs sagte ich ihm Lebewohl und schied. Der König bestieg sein Pferd und kehrte mit seiner Gemahlin, seiner Tochter und seinem ganzen Hause nach Paris zurück.