1. Vom Tode des heiligen Bischofs Salvius
S. 187 Obgleich es mich drängt, die Erzählung da fottzü-' führen, wo sie in den vorhergehenden Büchern abgebrochen worden ist, muH ich doch zuvor einiges von dem Heimgange des seligen Bischofs Salvius bvrichten, aüs Verehrung für diesen heiligen Mann, der in diesent Jahre1 starb. Er lebte länge Zeit, wie'er selbst zü erzählen pflegte, in weltlichen Geschäften und erledigte mit den weltlichen Beamten zeitliche Geschäfte2 niemals aber verlor er sich in den Lüsten, in welche jugendliche Gemüter sich zu verstricken pflegen. Danach aber, als der Hauch des göttlichen Geistes ihm in das Innere der Seele gedrungen war, verließ er den Weltdienst und ging in ein Kloster. Denn als ein Mann, der schon damals der Gottheit sein Herz zü eigen gegeben hatte, sah er ein, es sei besser Armut zu leiden in der Furcht Gottes^ als den Reichtümern der vergänglichen Welt nachzujagen. In diesem Kloster lebte er lange nach der von den Vätern bestimmten Regel. Hierauf übernahm er, als er bereits zu größerer Reife der Einsicht wie des Alters gelangt war, da der Abt, der dem Kloster Vorstand, starb, die Pflicht für die Herde zu sorgen. Wer er, dev den Brüdern zur Hand- S. 188 habung der Zucht hätte mehr Zugang gewähren sollen als früher, zog sich, nachdem er dies Amt erlangt hatte, vielmehr zurück. Alsbald suchte er sich eine noch abgelegenere Zelle, und doch hatte er in seiner früheren schon aus übergroßer Enthaltsamkeit, wie er selbst erzählte, mehr als neunmal die Haut gewechselt3. Als er nun als Abt in solcher Enthaltsamkeit dem Gebet und dem Lesen der heiligen Schriften oblag, kam es ihm doch unablässig in den Sinn, daß es besser für ihn wäre, verborgen unter den Mönchen zu leben, als den Namen des Abts vor den Leuten zu tragen. Mit kurzen Worten, er sagte den Brüdern und sie ihm Lebewohl und schloß sich in eine Klause ein. In dieser Abgeschiedenheit lebte er in noch größerer Enthaltsamkeit als früher, nur darauf bedacht, daß er im Dienst der Liebe, so oft ein Fremder zu ihm kam, ihm sein Gebet zuteil werden ließ und ihm das geweihte Brot4 mit aller Bereitwilligkeit spendete. Dadurch gab er vielen Kranken völlige Gesundheit wieder.
Einst lag er, von heftigem Fieber völlig erschöpft, keuchend auf seinem Lager: siehe, da wurde plötzlich die Zelle von einem Hellen Lichte verklärt und erbebte. Und er hob seine Hände zum Himmel auf und hauchte unter Danksagung seinen Geist aus. Da vereinten die Mönche ihr Jammergeschrei mit dem seiner Mutter, brachten den Leichnam heraus5, wuschen ihn, taten ihm Kleider an und legten ihn auf eine Bahre, und unter Psalmengesang und Tränen brachten sie die ganze Nacht zu. Da es aber Morgen wurde und sie sich zur feierlichen Bestattung des Leichnams rüsteten, fing der Leib sich auf der Bahre zu regen an. Und siehe! die Wangen röteten S. 189 sich, und er fuhr empor, gleich wie aus einem tiefen Schlafe erwacht, öffnete die Augen, erhob die Hände und sprach: „O barmherziger Herr, warum hast du mir das getan, daß du mich in diese umnachtete Stätte unsres irdischen Aufenthaltes zurückkehren ließest? Deine Barmherzigkeit im Himmel wäre mir besser gewesen, als das jammervolle Leben in dieser Welt/' Es staunten aber alle und fragten ihn, was solches Wunder bedeuten solle, er antwortete jedoch nichts auf ihre Fragen. Er erhob sich darauf von der Bahre und fühlte nichts mehr von jener Krankheit, an der er gelitten hatte, blieb aber drei Tage lang ohne alle Nahrung von Speise und Trank. Am dritten Tage rief er die Mönche und seine Mutter zusammen und sprach : „Höret mich an, Hochgeliebte, und werdet es inne, daß alles nichtig ist, was ihr sehet, denn es ist alles, nach dem was der Prophet Salomo sagt, eitel6. Glücklich ist, wer in dieser Zeitlichkeit schon es dahin bringt, die Herrlichkeit Gottes im Himmel zu schauen." Und als er solches sprach, fing er an in Zweifel zu geraten, ob er weiter reden oder schweigen sollte. Da er aber inne hielt, ließ er sich von den Bitten der Brüder rühren, er möchte ihnen doch eröffnen, was er gesehen habe, und sprach also: „Als ihr mich jetzt vor vier Tagen, da die Zelle erbebte, tot daliegen saht, wurde ich von zwei Engeln aufgehoben und zu den Höhen des Himmels geführt, so daß ich nicht nur diese traurige Erde, sondern auch Sonne und Mond, Wolken und Sterne unter meinen Füßen zu haben meinte. Danach wurde ich durch ein Tor geführt, das Heller strahlte als dieses Sonnenlicht, und trat in ein Haus ein, in welchem der ganze Boden glänzte, gleichwie Gold und Silber. Eine unbeschreibliche Helle war darin und seine Ausdehnung läßt sich nicht beschreiben. Es war ganz gefüllt von einer solchen Menge beiderlei Geschlechts, daß sich die S. 190 Länge und Breite der Schar durchaus nicht übersehen ließ. Und da wir durch die dichtgedrängten Reihen von den Engeln, die mir vorangingen, Bahn gemacht wurde, kamen wir an eine Stelle, die mir schon aus der Ferne in die Augen gefallen war. Denn über dieser hing eine Wolke, Heller strahlend, als alles Licht; hier sah man nicht Sonne, nicht Mond noch ein Gestirn, sondern mehr als dieses alles glänzte sie, jedes natürliche Licht überstrahlend. Und aus der Wolke kam eine Stimme, wie die Stimme eines großen Wassers7 Da begrüßten mich, den Sünder, ehrfurchtsvoll Männer in geistlicher und weltlicher Kleidung, und die mir vorangingen, sagten mir, dies seien die Märtyrer und Hekenner, die wir hier auf Erden in der tiefsten Demut verehren. Als ich nun an der Stelle, wo mir geboten war, stehen blieb, kam über mich ein Duft von der größten Süßigkeit, so daß ich nicht , mehr nach Speise und Trank verlange, seitdem ich von dieser Süße gekostet. Und ich Hörte eine Stimme, die sprach: „Dieser kehre zurück in die Welt, denn uysere Kirchen bedürfen seiner." Man hörte nur die Stimme, denn den, der sprach, konnte man auf keine Weise erblicken. Und ich warf mich auf den Boden und sprach unter Tränen: „Ach Herr, warum hast du mir dies alles gezeigt, wmn es mir wiederum entzogen werden sollte! Siehe, Heute verwirfst du mich vor deinem Angesicht, so daß ich zu der hinfälligen Welt wieder zurückkehren muß und hierher nimmer wieder zu gelangen vermag. Herr, ich bitte, dich, wende dein Mitleid nicht von mir, sondern laß mich hier wohnen, auf daß ich nicht dorthin wieder hinabsteigen muß und verloren gehe." Und die Stimme, welche zu mir sprach, sagte: ,-Gehe in Friedep, ich bin dein Hüter, bis ich dich zurückführe an diesen Ort." Darauf wurde ich von meinen Begleitern verlassen; ich schied unter Thränen, und durch das Tor, durch S. 191 welches ich eingetreten war, kehrte ich hierher zurück." Da er aber so sprach und alle Anwesenden staunten, begann der Heilige Gottes abermals unter Tränen zu reden: „Wehe mir," sagte er, „daß ich ein so großes Geheimnis zu enthüllen mich erdreistet habe. Denn siehe, jener süße Wohlgeruch, den ich an heiliger Stätte genossen und der mich diese drei Tage hindurch ohne alle Speise und Trank erhaltm hat, ist von mir gewichen. Und meine Zunge ist bedeckt ?mit schmerzlichen Schwären und so geschwollen, daß sie meinen ganzen Mund zu füllen scheint. Ich sehe nun, daß es dem Herrn, meinem Gott, nicht wohlgefällig war, daß ich diese Geheimnisse kund tat. Aber du weißt, o Herr, daß ich dies getan habe mit einfältigem Herzen8, nicht aus übermütigem Sinne. Verzeihe mir also, ich bitte dich, und verlasse mich nicht nach deiner Verheißung." Und als er dieses gesagt hatte, schwieg er und nahm Speise und Trank zu sich. Ich meinesteils besorge, da ich dies schreibe, daß es manchem Leser unglaublich scheinen wird, wie Sallustius, der Geschichtsschreiber, sagt: „Wenn man von der Tapferkeit und dem Ruhme trefflicher Männer spricht, hört ein jeder ruhig mit an, was er meint auch wohl selbst leicht aussühren zu können; was aber darüber hinausgeht, hält er für unwahr und erlogen9." Mer ich rufe Gott den Allmächtigen zum Zeugen an, daß ich alles, was ich erzählt, aus Salvius eigenem Mund gehört und erfahren habe.
Geraume Zeit nachher wurde der heilige Mann aus seiner Zelle geholt, zum Bischof erwählt und Wider seinen Willen geweiht. Im zehnten Jahr seiner Amtsführung, wie ich denke, war es, daß in der Stadt Albi die Drüsenpest überhand nahm10; der größte Teil des Volks starb daran, und nur wenige S. 192 Bürger blieben noch übrig; aber doch wollte der heilige Mann als ein guter Hirt nicht aus seiner Stadt weichen, sondern ermahnte unablässig alle, die übrig geblieben waren, dem Gebete obzuliegen, nicht müde zu werden im Wachen und immer in Werken und in Gedanken mit guten Dingen umzugehen. „Dies tut," sagte er, „damit ihr, wenn euch Gott aus dieser Welt abrufen will, nicht in das Gericht kommt, sondern zur ewigen Ruhe eingehen könnt."
Als er endlich, durch einen Wink Gottes, wie ich glaube, fühlte, daß die Zeit seiner Abberufung da sei, besorgte er selbst den Sarg für sich, wusch sich, zog ein Sterbekleid an und hauchte so seinen seligen Geist aus, der immer auf den Himmel gerichtet gewesen war.
Er war ein Mann von sehr heiligem Lebenswandel, die irdische Lust hatte wenig teil an ihm; Gold wollte er nie in seinem Besitze haben, und wenn er ja gezwungen wurde es anzunehmen, gab er es sofort den Armen. Als einst zu seiner Zeit der Patricias Mummolus(1) viele Gefangene aus der Stadt(2) fortschleppte, folgte er ihm nach und löste sie alle aus. Und so großes Ansehen schenkte ihm Gott bei jenen Leuten, daß die, welche die Gefangenen fortgeschleppt hatten, ihm nicht nur das Lösegeld erließen, sondern ihn noch überdies beschenkten. So gab er den Gefangenen aus seiner Vaterstadt die Freiheit zurück. — Ich habe noch viel Gutes von diesem Manne vernommen, aber da ich zu der begonnenen Erzählung zurückzukehren wünsche, übergehe ich manches.
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SalviuS starb den 10. September 585. Bgl. B. VIII. Kap. 22. „In diesem Jahre" lkov anno) heißt also hier nicht in dem Jahre, bei welchem die Erzählung stehen blieb, sondern in dem Jahre, wo Gregor dies niederschrieb. Bgl. die Einleitung Bd. I. S. XXX ff. und W. Arndt in seiner Ausgabe S. 17. Daß Gregor hier die chronologische AnördnuNg verläßt, sagt er im Anfang ausdrücklich. Itter SalviuS vgl. B. V. Kap. 44 und 50. ↩
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D. H., er war selbst königlicher MknNer, wie dabei vNlen späteren Kirchenfürsten und Heiligen der Merovtngerzeit der Fall war. ↩
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CS handelt sich hier um ein Stück medizinischen Aberglauben» lau» der Antike?), Über den ich nichts Näheres anzugeben vermag. ↩
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Bgl. Bd. I. 202. Anm. 2. ↩
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Lxtratrunt. aus der vermauerten Zekle, die nur eine Fensteröffnung, keine Lüre besaß; vgl. oben S. 119. 152. ↩
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Predig. SalomonlS 1, 2. ↩
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Offenb. Ioh. 11, 2. ↩
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- B. Mos. 20, 5.
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Lattttka. Kap. 3. ↩
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Bgl. B. VI. Kap. 33. ↩