1.
„Ich sage euch wahrlich, es sind einige von denen, die hier stehen, welche den Tod nicht kosten werden, bis sie das Reich Gottes sehen‟1. Wie der Herr stets den schwachen Menschengeist zu den künftigen Belohnungen der Tugenden aufrichtet und die Verachtung der zeitlichen Dinge als nützlich einschärft, so hält er ihn auch mit diesseitiger Lohnvergeltung aufrecht. Hart und schwer ist es ja, das Kreuz zu tragen2 und die Seele den Gefahren, den Leib dem Tode preiszugeben, das eigene Ich zu verleugnen, nachdem man S. 329 selbst noch das, was man nicht ist, sein möchte. Und selten will eine noch so erhabene Tugend das Gegenwärtige mit dem Zukünftigen vertauschen. Schwierig dünkt es ja den Menschen, ein nur erhofftes Gut mit Gefahren zu erkaufen und den Gewinnst des künftigen Lebens mit dem Verluste des Gegenwärtigen zu erwerben. So verspricht denn nun der gute Sittenlehrer, weil die süße Lust am Leben selbst den standhaften Sinn anheimelt, den Gläubigen ein ununterbrochen fortdauerndes Leben, daß keiner aus Verzweiflung oder Überdruß zusammenbreche. Aller Trost erstarrt ja unter dem Schauer der Todesfurcht, und schwerlich empfindet die große Liebe, mit der man am Leben hängt, schmeichelnde (Zukunfts-) Hoffnung als Gegengewicht gegen die Angst um das heißersehnte Wohl. So hat man denn keinen Grund zur Klage, keinen Grund zur Ausrede. Der Allwaltende setzte der Tugendkraft Lohn vor, der Schwäche Arznei: die Schwäche sollte durch gegenwärtige Güter, die Tugend durch die zukünftigen aufgerichtet werden. Bist du stark, verachte den Tod! Bist du schwach, flieh ihn! Doch niemand kann den Tod fliehen, wenn er nicht dem Leben folgt. Dein Leben ist Christus3: das ist das Leben4, das kein Sterben kennt.