XLIX. Kapitel
Von der Mäßigkeit: Das Bild des Vollkommenen und Ewigen (240), nicht des Sündhaften und Vergänglichen soll sich in unserem Wandel spiegeln (241—244), das Bild Christi, nicht des Teufels in unserer Seele aufleuchten (245).
S. 125 240. Solange wir nun hier weilen, laßt uns das Bild festhalten, um dort zur Wahrheit zu gelangen! Das Bild der Gerechtigkeit sei in uns! Das Bild der Weisheit sei in uns! Denn es wird zu jenem Tage kommen, und nach dem Bilde wird man uns werten.
241. Nicht finde der Feind sein Bild in dir: nicht Wut, nicht Raserei! In diesen Zügen verrät sich das Bild der Bosheit. Denn der Widersacher, der Teufel, sucht wie ein Löwe, wen er töte, wen er verschlinge1. Er finde keine Goldgier, keine Silbermengen, keine Lasterbilder, um dir nicht das freie Wort zu rauben! Das freie Wort besteht nämlich in dem Bekenntnis: „Der Fürst dieser Welt mag kommen, und er soll nichts an mir finden“2. Bist du sicher, daß er nichts an dir findet, wenn er zur Suche kommt, magst du das Wort des Patriarchen Jakob an Laban nachsprechen: „Überzeuge dich, ob sich etwas von dem Deinigen bei mir findet!“3 Selig mit Recht Jakob, weil Laban nichts von dem Seinigen bei ihm finden konnte! Rachel nämlich hatte seine goldenen und silbernen Götzenbilder verborgen4.
242. Wenn nun deine Weisheit, wenn dein Glaube, wenn deine Weltverachtung, wenn deine Gnade mit aller Gottlosigkeit aufräumt, wirst du selig sein, weil dein Blick nicht „auf Eitelkeiten und trügerischen Aberwitz“5 gerichtet ist. Oder ist es gleichgültig, ob ich dem Gegner das Wort entziehen kann, so daß seine Anschuldigung wider mich jeder Beweiskraft ermangelt? Wer sein Auge nicht auf Eitelkeiten richtet, geht nicht irre: wer es darauf richtet, geht irre, und zwar ganz blindlings. Denn was anders bedeutet Schätze häufen als eitel Beginnen? Eitel genug ist es ja, nach Vergänglichem zu trachten. Hat man sie aber aufgehäuft, wer weiß, ob einem deren Besitz auch vergönnt ist?
243. Ist es nicht eitel, wenn der Kaufmann Tag und S. 126 Nacht auf Reisen ist, um womöglich Haufen Schätze zu sammeln? Wenn er Waren anhäuft, über deren Preis sich den Kopf zerbricht, um nicht unter dem Einkaufspreis zu verkaufen, die Ortspreise ablauert? Wenn er mit einem Mal einen Wegelagerer wider sich reizt, der mit scheelem Auge sein wohlbekanntes Handelsgeschäft verfolgte? Oder wenn er auf seiner Jagd nach Gewinn Schiffbruch leidet, weil er, des Harrens überdrüssig, keine günstigeren Winde abwartete.
244. Oder ist nicht auch jener das Opfer eitlen Trugs, der mit größter Anstrengung (Schätze) zusammenrafft, ohne zu wissen, welchem Erben denn seine Hinterlassenschaft zufallen soll? Oftmals wirft ein genußsüchtiger Erbe das, was der Habsüchtige mit tausend Mühen und Sorgen zusammenscharrte, in jäher Verschwendung hinaus und verschleudert es, und läßt ein schändlicher Prasser, der blindlings in die Gegenwart, sorglos in die Zukunft hineinlebt, das langsam Erworbene wie in einem Abgrund verschwinden. Oft auch beschwört der Nachfolger, den man sich erhoffte, wegen der erworbenen Erbschaft den Neid herauf, muß rasch mit Tod abgehen und Fremde in den Genuß der eben angetretenen Erbschaft einsetzen.
245. Wozu arbeitest du in eitlem Mühen an einem Spinngewebe, das keinen Wert und Nutzen hat, und hängst Haufen Reichtümer wie unnützes Netzwerk auf? Und wenn sie in Strömen flössen, sie nützen nichts, sie streifen dir vielmehr nur das Bild Gottes ab und ziehen dir das Bild des Irdischen an6. Trägt einer das Bild des Tyrannen an sich, setzt er sich nicht der Verurteilung aus? Du willst das Bild des ewigen Herrschers ablegen und wünschst an dir das Bild des Todes? Hinweg vielmehr aus der Stadt deiner Seele mit dem Bilde des Teufels! Richte auf das Bild Christi! Das soll in dir leuchten, in deiner Stadt, d. i. in deiner Seele S. 127 erstrahlen, um die Bildnisse der Laster schwinden zu machen! Von diesen spricht David: „Herr, Du wirst in Deiner Stadt ihre Bilder fortschaffen“7. Dann nämlich, wenn der Herr jenes Jerusalem nach seinem Bilde zeichnet, wird jedes Bild der Widersacher vernichtet.
