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Mit einem ‚schuldig‘ wurde der Krieger, weil einem so herrlichen Sieger die Krone gebührte, statt der Jungfrau verurteilt, nachdem er auch statt der Jungfrau ergriffen ward. So gingen aus dem Hause der Schande nicht bloß eine Jungfrau, sondern auch Märtyrer hervor. Es heißt, das Mädchen habe sich an der Richtstätte eingefunden, zwischen beiden habe sich ein Wettstreit um den Tod entsponnen. Er machte geltend: „Mich traf der Todesbefehl, dich gab das Urteil in dem Augenblick, da es mich band, frei.“ Sie hingegen hub mit lauter Stimme zu versetzen an: „Nicht zum Bürgen, um für mich zu sterben, habe ich dich erkoren, sondern zum Behüter der Unschuld dich erlesen. Steht die Unschuld in Frage, hat’s beim Geschlecht sein Bewenden; wird das Blut gefordert, verlange ich mir keinen Bürgen, da kann ich selbst die Verbindlichkeit einlösen. Gegen mich ward dieses Urteil gefällt, das gegen meinen Stellvertreter gefällt wurde. Fürwahr, hätte ich dich in einer Geldforderung zum Bürgen bestellt, und hätte der Richter, weil ich nicht erschienen, dein Vermögen dem Gläubiger zugesprochen, du würdest der gleichen Ansicht sein wie ich: ich müßte deine Verbindlichkeiten mit meinem Vermögen begleichen. Würde ich es verweigern, wer würde mich nicht eines entwürdigenden Todes für würdig erachten? Ein wie unvergleichlich höheres Interesse steht bei diesem Kapital (Haupt)1 in Frage! Ich will unschuldig sterben, um nicht schuldig sterben zu müssen. Ein drittes gibt es hier nicht: entweder werde ich mich heute deines Blutes schuldig machen oder selbst Blutzeuge werden. Wenn ich schnell wiederkehrte: wer darf es wagen, mich zurückzuweisen? Hätte ich gezaudert: wer dürfte es wagen, mich freizusprechen? Um so mehr verfiele ich dem Gesetze, wenn ich nicht bloß der eigenen Flucht, sondern auch fremden Blutes mich schuldig machte. Dem Tode mag der Leib S. 360 sich darbieten, der sich der Schande nicht darbot. Für Todeswunde ist Raum gegeben an der Jungfrau, der für Schändung nicht gegeben war. Der Schmach bin ich aus dem Weg gegangen, nicht dem Martyrium. Das Kleid trat ich dir ab, nicht das Bekenntnis wechselte ich. Nimmst du mir den Tod vorweg, hast du mich nicht befreit, sondern betrogen. Hüte dich doch zu widerstreiten! Hüte dich verwegen zu widersprechen! Reiß die Wohltat nicht an dich, die du mir erwiesen! Während du mir dieses Strafurteil vereitelst, gibst du mich dem früheren anheim: das Urteil wandelt sich in das frühere: bindet mich das letzte nicht, bindet mich das erste. Wir können beide dem Urteile Genüge tun, wenn du mich zuerst in den Tod gehen läßt. Für dich verbleibt ihnen keine andere Strafe zu vollziehen: bei einer Jungfrau läuft die Keuschheit Gefahr. Ehrenvoller wirst du sonach dastehen, wenn du aus einer Prostituierten eine Märtyrin machst, als wenn du eine Märtyrin von neuem zu einer Prostituierten machst.“
Die Übersetzung vermag den Doppelsinn des Ausdruckes caput = Haupt, bezw. Kapital nicht wiederzugeben. ↩
