Text
Dem heiligsten und seligsten Vater und Amtsgenossen Leo (sendet) Flavianus Gruß im Herrn.
Für Bischöfe ist, wie du, Gottgeliebtester, weißt, nichts kostbarer als Frömmigkeit und rechte Verkündigung des Wortes der Wahrheit. Denn all' unsere Hoffnung und unser Heil und die Verleihung der verheissenen Güter hängt davon ab. Deshalb müssen wir alles tun und uns jeder S. 189 Mühe unterziehen für den wahren Glauben und für das, was von den heiligen Vätern erklärt und als Dogma überliefert wurde, damit dasselbe in allem und unter allen Umständen ganz und unversehrt erhalten und bewahrt werde. Deshalb war es notwendig, dass auch wir jetzt, als wir sahen, dass von dem gottlosen Mönche Eutyches der orthodxe Glaube verletzt und die Häresie des Apollinaris und Valentinus erneuert werde, dies nicht übersahen, sondern offen den Irrtum aufdeckten, damit sich das Volk davor hüte. Dieser Eutyches nämlich, welcher die Krankheit einer bösen Lehre in sich verborgen hält, feindet unsere Milde an und wagte es in unehrerbietiger und unverschämter Weise seine Gottlosigkeit vor Vielen zu verkünden, indem er sagt: vor der Menschwerdung unseres Erlösers Jesu Christi gebe es allerdings zwei Naturen, die göttliche und menschliche, nach der Vereinigung aber sei es eine Natur geworden, ohne zu wissen, was er sagt, und wovon er redet. Denn die Vereinigung der zwei Naturen. welche in Christus zusammenkamen, hat, wie auch euere Frömmigkeit weiss, die Eigentümlichkeit derselben keineswegs in der Vereinigung vermischt, sondern es bleiben auch in der Vereinigung die Eigentümlichkeiten der zwei Naturen unversehrt. Er fügte aber auch noch eine andere Gottlosigkeit hinzu durch die Behauptung, der aus Maria entstandene Leib des Herrn sei nicht von unserer Substanz noch menschlicher Wesenheit; er nennt ihn zwar einen menschlichen (Leib), nicht aber einen wesensgleichen mit uns und Derjenigen, welche ihn dem Fleische nach geboren.
Dies1 (behauptet er), da doch die Akten der heiligen und ökumenenischen Synode von Ephesus in dem Schreiben an den gottlosen und abgesetzten Nestorius wörtlich Folgendes enthalten:2 S. 190 „Dass es verschiedene Naturen seien, welche zu einer wahren Einheit verbunden worden; aus beiden aber sei ein Christus und ein Sohn (geworden), nicht als ob der Unterschied der Naturen aufgehoben worden wäre durch die Einigung, sondern indem dieselben Naturen, die göttliche und die menschliche, vielmehr den einen Herrn Jesus Christus und Sohn für uns ausmachen durch die unaussprechliche und unerfaßliche Verbindung zur Einheit.“ Auch das ist deiner Heiligkeit nicht unbekannt, da sie die Akten von Ephesus jedenfalls gelesen. Eutyches aber achtet gar nicht darauf und meint, er werde nicht in die von jener heiligen und ökumenischen Synode festgesetzten Strafen verfallen. Deshalb also, weil viele von den Einfältigeren durch seine Behauptungen in der Glaubenslehre Schaden litten, haben wir ihn, nachdem er von dem gottesfürchtigsten Bischofe Eusebius angeklagt worden und er selbst vor dem hl. Concil erschien und mit eigenem Munde seine Gesinnungen den Vätern der Synode entdeckte, abgesetzt als Einen, der den rechten Glauben verlassen, wie es deine Heiligkeit die über ihn geschlossenen Akten, welche wir auch mit diesem unserem Schreiben sandten, lehren werden. Es ist ferner, wenigstens nach meiner Ansicht, billig, dass ihr auch davon unterrichtet werdet, dass Eutyches, nachdem er der gerechten und canonischen Absetzung unterworfen worden, da er doch wenigstens das Frühere durch das Folgende hätte verbessern und durch eine vollkommene Buße und viele Tränen Gott versöhnen und unser über seinen Fall überaus betrübtes Herz durch wahre Umkehr trösten sollen, nicht nur dies nicht getan, sondern vielmehr auf alle Weise versucht hat, die heiligste Kirche dieses Ortes in Verwirrung zu bringen, indem er Plakate voll von Schmähungen und Beschimpfungen S. 191 veröffentlichte, überdies unserem gottseligsten und Christus so sehr liebenden Kaiser Bitten vortrug, und zwar voll von Anmaßung und Übermut, und so in jeder Beziehung die göttlichen Canones mit Füßen zu treten suchte.
Während dies so vorging, wurde uns durch den aller Bewunderung würdigen Comes Pansophius das Schreiben seiner Heiligkeit überreicht, aus welchem wir ersahen, dass derselbe Eutyches euch Schriften voll Lug und Trug zugesandt habe, indem er behauptete, während der Untersuchung uns und der heil. Synode der damals anwesenden Bischöfe eine Appellationsschrift überreicht und an euere Heiligkeit appelliert zu haben; das geschah keineswegs von ihm, sondern auch in dieser Hinsicht täuschte er, wie ein Vater der Lüge, weil er glaubte, er werde sich euere Gunst erschleichen. Deshalb, heiligster Vater, lass dich durch alles, was er wagte, und was gegen uns und die heiligste Kirche verübt und gesprochen wird,3 bestimmen, handle mit gewohntem Freimut, wie es sich für das Bischofsamt ziemt, und, indem du die gemeinsame Angelegenheit und den Zustand der heiligen Kirchen zur eigenen (Angelegenheit) machst, wolle durch ein eigenes Schreiben deine Zustimmung zu der über ihn canonisch verhängten Absetzung aussprechen, zugleich aber Glauben des gottesfürchtigsten und Christus liebenden Kaisers bekräftigen. Denn die Sache bedarf nur eueres entscheidenden Ausspruches und Beistandes, welcher durch (euere) eigene Zustimmung4 allenthalben Ruhe und Frieden herstellen kann. Denn so wird sowohl der entstandenen Häresie als auch der durch sie verursachten Verwirrung mit Gottes Hilfe durch euer heiliges Schreiben mit Leichtigkeit ein Ende gemacht werden; es wird aber auch das Concil S. 192 verhindert werden, 5 von dem schon ein Gerücht geht, damit nicht die heiligsten Kirchen der ganzen Welt in Aufregung geraten. Wir, ich und die Meinen, grüßen deine ganze Brüderschaft. Mögest du im Herrn wohlauf und unserer im Gebete eingedenk und uns gewogen sein, von Gott geliebtester und heiligster Vater!
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Dieser und der folgende Absatz erscheinen nur in der alten latein. Version als 2. u. 3. Kapitel. ↩
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Es sind dies die Worte des Cyrillus in einem (Op. S. Cyrilli T. V. P. II. ep. IV. p. 22.) Briefe an Nestorius, welcher Brief von der ökumenischen Synode zu Ephesus auf der 1. Sitzung vollinhaltlich approbiert wurde; s. Hefele II. S. 184. ↩
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Nach dem von den Ballerini akzeptierten griechischen Texte: γενόμενά τε καὶ λεγόμενα; die beiden Versionen haben: quae – facta sunt atque fiunt. ↩
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Nach dem griechischen συναινέσεως; die lat. Version hat prudentiam. ↩
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Flavianus mochte eine Ahnung haben, was für ein Concil auf das Drängen des Eutyches unter dem Einflusse der Hofpartei zu Stande kommen würde, und dass ein solches nur noch größeren Schaden bringen müsse. ↩