3. Cap.
Hier mögen die Gegner der Wahrheit sagen, wann und nach welcher Natur der allmächtige Vater seinen Sohn über alles erhoben und welcher Substanz er alles unterworfen habe. Denn die Gottheit des Wortes ist in allem dem Vater gleich und derselben Wesenheit, und ewig und zeitlos ist die Macht des Erzeugers und des Gezeugten eine und dieselbe. Der Schöpfer nämlich aller Naturen, „durch den ja alles gemacht ist, und ohne den nichts gemacht ist,“1 ist höher als alles, was er erschaffen, und niemals war dem Schöpfer nicht unterworfen, was er erschaffen; ihm ist es eigen und von Ewigkeit her, und aus keinem anderen Ursprunge, als vom Vater, nichts anderes zu sein, als was der Vater ist. Ward seine Macht vergrößert, seine Würde verherrlicht, seine Höhe erhoben, so S. 309 war der, welcher zunahm, geringer als der, welcher ihn erhob, und er besaß nicht die Reichtümer der Natur, deren Übermaß ihm mangelte. Einen so Gesinnten aber rechnet Arius zu seinen Genossen, mit dessen Verkehrtheit diese Gottlosigkeit sehr übereinstimmt, die da leugnet, dass in dem Worte Gottes die menschliche Natur innewohne, so dass sie, weil sie die Erniedrigung in der Majestät Gottes verabscheut, entweder behauptet, das Bild des Leibes sei in Christus ein falsches,2 oder sagt, alle seine körperlichen Handlungen und Leiden trafen vielmehr die Gottheit als das Fleisch. Was immer jedoch sie zu verteidigen wagt, ist wahnsinnig, weil weder die Frömmigkeit des Glaubens noch die Rücksicht auf das Geheimnis annehmen kann, dass entweder die Gottheit irgendwie gelitten oder die Wahrheit in irgend etwas gelogen habe. Der leidensunfähige Sohn Gottes also, dem mit dem Vater und mit dem heiligen Geiste in der einen Wesenheit der unveränderlichen Dreifaltigkeit das zu sein, was er ist, von Ewigkeit her zukommt, ist in jener Fülle der Zeit, welche im ewigen Ratschlusse vorherbestimmt und durch die prophetische Bezeichnung der Worte und Taten verheissen war, Menschensohn geworden, nicht durch die Verwandlung seiner Substanz, sondern durch die Annahme unserer Natur, und „gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren war“.3 Er kam aber nicht durch eine örtliche Annäherung noch durch eine körperliche Bewegung,4 als ob er erst in die Gegenwart eintreten sollte, wo er bis nun abwesend gewesen wäre, oder von dort hätte fortgehen müssen, woher er gekommen, sondern er kam durch das, dass er denen, welche das Sichtbare S. 310 und (mit ihnen) Gemeinsame sehen, offenbar werden sollte5 indem er nämlich menschliches Fleisch und eine (menschliche) Seele im Leibe der jungfräulichen Mutter annahm, so dass er in der Gottesgestalt verblieb und mit sich die Knechtsgestalt und die Ähnlichkeit des Fleisches der Sünde vereinigte, wobei er nicht das Göttliche durch das Menschliche verringerte, sondern das Menschliche durch das Göttliche vermehrte.
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1 Joh: 1:3 ↩
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Nach Quesnell falsum; die Bellerini lasen in ihren Codices: falsatum. ↩
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Luk 19:10. ↩
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Non locali accessu nec motione corporea, nicht dass er sich erst dem Raume nach näherte oder etwa seinen Körper (vom Himmel auf die Erde) bewegte, versetzte. ↩
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D. h. dadurch, dass das Wort Mensch wurde, begann er nicht erst jetzt seine Gegenwart auf Erden, da er auf derselben als Gott stets gegenwärtig war, noch war er deshalb im Himmel abwesend, da er als Gott allgegenwärtig ist, sondern er trat auf die Erde in einer neuen Offenbarungsweise, in sichtbarer und menschlicher Gestalt, blieb jedoch dabei, was er in Ewigkeit war. ↩