1.
Geliebteste! Wie wenig sich auch die Geburt unseres Herrn Jesus Christus, durch die er sich mit dem Fleische unserer Natur umkleidete, in Worte fassen läßt, so wage ich es doch, zwar nicht auf eigene Kraft zu vertrauen, wohl aber auf die Eingebung des Herrn selbst zu rechnen, um an diesem Tage, der für die geheimnisvolle Erlösung der Menschen erkoren wurde, etwas zu geben, was die Zuhörer erbauen kann. Ist es doch deshalb, weil der größere Teil der Kirche Gottes versteht, was er glaubt, nicht überflüssige Dinge, die schon gesagt wurden, auch noch einmal zu sagen, zumal es doch unsere Pflicht ist, viele, die heute zum erstenmal zu unserem Glauben kommen, durch unsere Worte zu belehren, und es besser ist, Wissenden mit dem, was sie schon kennen, beschwerlich zu fallen, als Unwissenden die erforderliche Aufklärung zu versagen. Die Tatsache also, daß sich der Sohn Gottes, der mit dem Vater und dem Heiligen Geiste zwar nicht die gleiche Person, wohl aber von gleicher Wesenheit ist, herabließ, an unserer Niedrigkeit teilzunehmen, daß er einer der Leidensfähigen, einer der Sterblichen sein wollte, ist etwas so Hochheiliges und Wunderbares, daß die Weisen dieser Welt den Grund S. 102des göttlichen Ratschlusses n i c h t zu erkennen vermöchten, wenn nicht das „wahre Licht“1 selbst die Finsternis menschlicher Unwissenheit verscheuchte. Denn nicht allein in der Übung der Tugenden, nicht allein in der Beobachtung der Gebote, nein, auch auf dem Pfade des Glaubens ist der Weg, der zum Leben führt, eng und steil2 . Viel Mühe und Gefahr bringt es, zwischen den unsicheren Meinungen Unerfahrener und ihren den Schein der Wahrheit an sich tragenden Verkehrtheiten ungehinderten Schrittes stets auf dem einen Wege gesunder Lehre zu wandeln und jeder Möglichkeit einer Täuschung zu entgehen, da ja auf allen Seiten des Irrtums Schlingen drohen. Wer aber vermag dies außer jenem, der sich durch den Geist Gottes belehren und leiten läßt? Sagt doch der Apostel: „Wir aber haben nicht den Geist dieser Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott ist, damit wir wissen, was uns von Gott verliehen worden ist“3 . Singt doch auch David: „Glückselig der Mensch, den du unterwiesen, o Herr, und aus deinem Gesetze belehrtest!“4 .