4.
Mag auch schon in früheren Jahrhunderten zur Erleuchtung der heiligen Väter und Propheten das Licht der Wahrheit ausgesandt worden sein, nach den Worten Davids: „Sende aus dein Licht und deine Wahrheit!“1 mag auch die Gottheit des Sohnes auf verschiedene Art und Weise und durch viele Zeichen das Wirken ihrer Gegenwart geoffenbart haben, so waren doch alle jene Vorbilder, all die wunderbaren Begebenheiten nur Zeugnisse für jene Sendung, von welcher der Apostel sagt: „Als aber die Fülle der Zeit kam, sandte Gott seinen Sohn, gebildet aus einem Weibe, unter das Gesetz gestellt“2 . Was heißt das anders, als daß das Wort Fleisch wird, daß der Schöpfer des Alls aus dem Schoße einer Jungfrau zur Welt kommt, daß der Herr der Herrlichkeit sich herabläßt, ganz so wie die Menschen geboren zu werden, daß er, trotz einer von irdischem Samen unbefleckt bleibenden geistigen Empfängnis, dennoch um die Substanz wahren Fleisches anzunehmen, die menschliche Natur aus der Mutter allein entnimmt? Durch diese Sendung, durch welche sich Gott mit dem Menschen S. 106vereinte, steht der Sohn dem Vater nach, nicht in dem, was er aus Gott, sondern in dem, was er aus dem Menschen wurde. Denn die Gleichheit, die bei der Gottheit unveränderlich ist, wurde durch die Annahme der menschlichen Natur nicht beeinträchtigt, und das Herabsteigen des Schöpfers zu seinem Geschöpfe ist für die Gläubigen ihre Erhebung zum Ewigen. „Weil“, wie der Apostel sagt „die Welt durch ihre Weisheit Gott in der Weisheit Gottes nicht erkannt, gefiel es Gott, durch die Torheit der Verkündigung diejenigen selig zu machen, welche glauben“3 . Es ist also für die Welt, das heißt für die Klugen dieser Welt, ihre Weisheit zur Blindheit geworden; auch konnten sie Gott, zu dessen Erkenntnis man nur in seiner Weisheit gelangt, nicht durch die ihrige erkennen. Und gerade deshalb, weil sich die Welt mit dem eitlen Wissen ihrer Lehrsätze brüstete, hat der Herr den Glauben jener, die erlöst werden sollen, auf einer Lehre aufgebaut, die unwürdig und einfältig erscheinen könnte, damit all die anmaßenden Meinungen der Menschen aufhörten und Gottes Gnade allein enthülle, was menschlicher Verstand nicht zu fassen vermag.