3.
Nachdem nun, Geliebteste, die Nacht unter mannigfachen Verspottungen verstricheb war1 , überlieferte man Jesus in Fesseln dem Landpfleger Pilatus2 . Wollten doch die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes die Sache so betreiben, daß es schien, als ob sie von jeder verbrecherischen Tat frei wären. Sie hüteten sich, persönlich Hand an ihn zu legen, gebrauchten aber gegen ihn die Waffen der Verleumdung3 . Sie wollten ihn nicht selber töten, schrien aber: „Kreuzige ihn, kreuzige ihn!“4 . Was spricht mehr aller Gerechtigkeit Hohn, als sich auf solche Weise den Schein der Religiosität zu geben? Was könnte grausamer sein, als wenn man auf diese Art Milde heuchelt? Woher nehmt ihr, Juden,das Recht, das zu wollen, was euch zu tun verwehrt ist? Weshalb soll das nicht die Seele beflecken, was den Leib beschmutzt? Ihr fürchtet, euch durch den Tod desjenigen zu verunreinigen5 , dessen Blut nach euerem Wunsche über euch und euere Kinder kommen soll6 . Wenn ihr an dieser fluchwürdigen und gottlosen Tat keine Schuld habt, so laßt den Statthalter sein Urteil sprechen, wie es ihm sein Gewissen eingibt! Allein, zudringlich und gewalttätig, wie ihr auch gegen ihn waret, hört ihr nicht auf, ihn zu dem zu drängen7 ; dessen ihr euch in lügenhafter Weise enthaltet. Mag auch Pilatus gefehlt haben, indem er tat, was er nicht tun wollte, so fällt S. 295doch alles, was ihr von ihm durch euer wildes Toben erzwungen habt, auf euch zurück. Ebenso unaufrichtig war euer Verhalten, als ihr den von dem Verschacherer des Herrn zurückgebrachten Sündenlohn nicht in den Tempelschatz legen wolltet, um ja zu verhüten, daß durch das Blutgeld der heilige Opsferkasten befleckt werde8 . Was für ein Herz verrät eine solche Heuchelei! Das Gewissen der Priester versteht sich zu dem, was den Opferstock des Tempels entweiht! Man weist den Preiss für jenes Blut zurück, das man sich nicht zu vergießen scheut. Wie sehr ihr auch euere Handlungen auf solche Weise gleisnerisch zu verhüllen trachtet, ihr habt einmal zum Verrate gegriffen, zu einem Mittel, durch welches ihr das Blut des Gerechten ebensowenig erkaufen wie vergießen durftet.