6.
Christus wird nun, Geliebteste, am Kreuze erhöht. Bei der Betrachtung dieses Geheimnisses sollen wir uns S. 310nicht nur das Bild1 vergegenwärtigen, das vor den Augen der Gottlosen hing,2 Schon Moses hatte zu diesen gesagt; „Dein Leben wird vor deinen Augen hängen und du wirst Tag und Nacht in Furcht sein und deinem Leben nicht glauben“3 . War es doch auch nicht anders möglich, als daß diese Frevler beim Anblick des Gekreuzigten nur an ihre Untat dachten und voll Furcht waren. Freilich ängstigte sie nicht jene Furcht, die den wahren Glauben rechtfertigt, sondern jene, die einem bösen Gewissen keine Ruhe mehr läßt. Im Gegensatz4 sollen nun wir, die der Geist der Wahrheit erleuchtet, reinen und schuldlosen Herzens die im Himmel und auf Erden strahlende Herrlichkeit des Kreuzes in unserem Innern erfassen und uns klarmachen, was es heißt, wenn der Herr von seinem bevorstehenden Leiden sagte: „Die Stunde ist gekommen, daß der Menschensohn verherrlicht werde“5 . Klarmachen sollen wir uns den Sinn der kurz darauf gesprochenen Worte: „Jetzt ist meine Seele erschüttert. Und was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde! Aber darum bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Sohn!“6 . Verstehen sollen wir, was der Vater vom Himmel herabrief: „Ich habe verherrlicht und werde wiederum verherrlichen“7 . Verstehen sollen wir endlich auch, was Jesus darauf zu den Umstehenden sagte: „Nicht meinetwegen ist diese Stimme gekommen, sondern euretwegen. Jetzt ergeht das Gericht über die Welt, jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgestoßen werden. Und wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich alles an mich ziehen“8 .