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Es gibt aber vielleicht so manchen Reichen, der zwar nicht gewohnt ist, die Armen der Kirche durch irgendwelche Spenden zu unterstützen, jedoch die anderen Gebote Gottes hält und darum meint, es sei verzeihlich, wenn ihm bei sovielen Verdiensten des Glaubens und der Rechtschaffenheit nur jene eine Tugend fehle1 . Und doch ist diese so wichtig, daß ohne sie die übrigen Tugenden trotz alles Guten keinen Nutzen bringen können. Mag einer also noch so gläubig, keusch und enthaltsam oder durch noch so große Vorzüge anderer Art ausgezeichnet sein, und es fehlt ihm das Mitgefühl mit den Armen, so hat er keinen Anspruch2 Barmherzigkeit. Sagt ja der Herr: „Selig sind die Barmherzigen; denn ihrer wird sich Gott erbarmen!“3 . Wenn nun der Menschensohn in seiner Majestät kommen und auf dem Throne seiner Herrlichkeit sitzen wird, und nach Vereinigung aller Völker die Guten von den Bösen gesondert sind4 , aus welch anderem Grunde werden dann die zu seiner Rechten Stehenden sein Lob ernten als wegen ihrer Werke der Barmherzigkeit und wegen ihrer Liebesdienste, die Jesus Christus wie ihm persönlich zuteil gewordene Gaben anrechnen wird5 ? Unterschied sich doch der in nichts von menschlicher Niedrigkeit, der sich die Natur des Menschen zu eigen machte. Worin aber besteht andererseits der Vorwurf, den man gegen S. 36die zur Linken erheben wird? Doch nur darin, daß sie gleichgültig in der Liebe und hart und grausam waren und kein Herz für die Armen hatten.6 , gleich als ob die auf der rechten Seite keine anderen Tugenden und die auf der linken keine anderen Laster hätten. Bei jenem großen und letzten Gerichte wird eben bei den einen ihre freigebige Güte, bei den andern ihr liebloser Geiz so hoch eingeschätzt, daß jene wegen einer guten Eigenschaft Eingang in das Himmelreich finden, gleich als ob sie alle Tugenden im reichsten Maße besäßen, und diese wegen eines Fehlers dem ewigen Feuer überantwortet werden, wie wenn sie alle Laster in sich vereinten.