5.
S. 382Darum dürfen wir uns auch nicht von dem äußeren Scheine der irdischen Dinge bestechen lassen. Nicht darf die Welt unsere Blicke auf sich ziehen und uns von dem ablenken, was zum Himmel führt. Als abgetan muß für uns gelten, was so schon größtenteils vorüber ist. Unser Herz, das nach dauernden Gütern verlangt, soll sich dorthin sehnen, wo ihm ewige Genüsse winken! Obgleich unsere Seligkeit erst kommt und wir noch in einem sterblichen, der Verwesung geweihten Leibe wandeln, heißt es doch ganz richtig von uns, wir haben das Fleisch abgelegt, wenn die sinnlichen Gelüste keine Macht mehr über uns besitzen. Mit Recht spricht man uns den Teil unseres Wesens ab, auf dessen Stimme wir nicht hören. Wenn der Apostel sagt: „Pfleget nicht das Fleisch zur Begehrlichkeit!“1 , so dürfen wir das nicht so verstehen, als ob uns damit verboten wäre, was mit unserem Heile vereinbar und für unsere schwache Natur vonnöten ist. Nein, nur deshalb sehen wir uns ermahnt, Maß und Ziel zu halten, weil man nicht jedem Verlangen willfahren und nicht alles tun darf, was das Fleisch begehrt. Wir dürfen also dem Leibe, der dem Geiste untersteht, weder geben, was überflüssig, noch versagen, was unentbehrlich ist. Darum sagt auch derselbe Apostel an einer anderen Stelle: „Noch nie hat jemand sein Fleisch gehaßt, sondern er nährt und pflegt es“2 . Natürlich soll der Leib nicht deshalb gehegt und gepfelgt werden, um sich Lastern und Ausschweifungen hinzugeben, sondern damit er die erforderlichen Dienste leisten, seine Kräfte erneuern und seine Bestimmung erfüllen kann! Soll doch nicht das Niedrigere an uns verkehrter und schimpflocher Weise über das Höhere herrschen oder dieses dem Niedrigeren untertan sein! Darf doch das Laster nicht unsere Seele meistern. Darf doch das nicht zum Knechte werden, was als Gebieter auftreten soll.