1.
Zwar wird das selige Leben, nach dem die Menschheit allezeit in brennender Sehnsucht schmachtet, durch viele Tugenden erstrebt; aber alle laufen doch einmütig gleichsam in einen Hafen ein, den Hafen der Geduld, ohne die man nichts hören, nichts verstehen, nichts lernen und auch nichts lehren kann. Denn tatsächlich ist sie es, auf die alles seinen Blick richtet. Es besteht kein Zweifel: Hoffnung, Glaube, Gerechtigkeit, Demut, Keuschheit, Rechtschaffenheit, Eintracht, Liebe, alle Künste und alle Fähigkeiten, ja selbst die Elemente können nicht bestehen ohne ihre Anweisung, ohne ihre Führung. Sie ist allezeit bereit, demütig, behutsam, klug, umsichtig, in jeder Lage zufrieden, bei jedem Sturmesdrang ruhig. Sie läßt ihre Heiterkeit durch Nebel nicht trüben, Sie kennt keine Reue, Sie weiß nicht, was Streit heißt, Sie vermeidet alle Beleidigungen, oder sie erträgt sie. Man kann fragen, ob man sie für leidensunfähig halten soll; denn wenn sie auch etwas gelitten hat, gibt sie sich, als ob sie nichts gelitten hätte. Vollends ihre Kraft abzuschätzen ist unmöglich: denn für sie besteht der Sieg darin, sich besiegen zu lassen. Keine Gewalt vermag sie von ihrem Platz zu verdrängen, nicht Mühe, nicht Hunger, nicht Blöße, nicht Verfolgung, nicht Furcht, nicht Gefahr, nicht Tod, nicht Folterqualen, die schwerer zu ertragen sind als der Tod selbst, nicht Macht, nicht Ehrgeiz, nicht Glück. Sie bleibt allezeit unerschütterlich; denn sie wird durch eine Art erhabener und göttlicher Mäßigung fest im Gleichgewicht gehalten und bringt alle S. 113 erregten Geister durch ihre friedvolle Einwirkung zur Ruhe, Und um alles ohne große Mühe zu besiegen, besiegt sie sich selbst zuerst.