5.
Nun muß ich die merkwürdige Versuchung Abrahams erwähnen, die ihn gottlos werden ließ, wenn er den Befehl Gottes mißachtete, oder grausam, wenn er den Sohn tötete, wenn er nicht bei Vollziehung seines Auftrags mit einer geradezu einzigartigen und wahrhaft göttlichen Geduld Gottesliebe und Vaterliebe gleichmäßig berücksichtigt hätte, indem er in Hoffnung Gott nicht verweigerte, was er gegen alle Hoffnung von ihm empfangen.1 Er achtete Isaak, seinen süßen Sohn, für nichts, weil er Gott als Opfer noch süßer war, um ihn schließlich dadurch sich zu erhalten; er bestimmte ihn zur Tötung, um ihn dann doch nicht töten zu müssen; er tut es in der sicheren Überzeugung, daß er nicht unrecht handeln könne durch eine Tat, die auf Veranlassung Gottes geschah. Es ist ein Schauspiel, neu und wahrhaft Gottes würdig I Man kann bei ihm schwer entscheiden, wer geduldiger ist, der opfernde Priester oder das Opfer. Nicht der Vater, der den Tod vollziehen soll, nicht der Sohn, der den Tod erleiden soll, wechselt die Gesichtsfarbe; ihre Glieder zittern nicht in Furcht; ihr Blick S. 118 ist nicht niedergeschlagen, nicht finster. Keiner bittet, keiner bebt, keiner stammelt eine Entschuldigung, keiner zeigt Unruhe. Damit es nicht doch als Kindesmord erscheint, trägt der Sohn für sich selbst das Holz herbei, auf dem er verbrannt werden soll; der Vater errichtet einen Altar. Der Vater entblößt das Schwert, der Sohn den Nacken. Aus einem Opferwillen, aus einem Gehorsam heraus, und um alles Unheilige fernzuhalten, vollzieht sich mit Sorgfalt und Geduld, was der eine von beiden zur Feier unternimmt. Trotz der so großen Furcht, die in solchem Fall nicht allein der Mensch, sondern sogar die Natur empfindet, sind sie heiter. Das Gefühl tritt allein zurück hinter der Kindesliebe, (beim Vater) die Vaterliebe hinter der Religion. Und für beide (Vater und Sohn) wird die Religion zum Segen. Das Schwert bleibt, durch kein Hindernis gehemmt, in der Mitte schwebend: es staunt, daß es bei dieser schrecklichen Schlachtung (Opferung) nicht zu einem Verbrechen gedient, sondern zu einer Ruhmestat.2 Was hat das zu bedeuten? Siehe die Unmenschlichkeit wandelt sich zu Glaubenstreue, die Freveltat zu einem Sakrament; der Kindesmörder kehrt, ohne von Blut befleckt zu sein, zurück; derjenige, der geopfert worden, lebt! Beide vermitteln sich gegenseitig Ruhm, beide stellen ein Beispiel der Liebe dar und für alle Zeiten ein wunderbares Zeugnis von Gottesverehrung Brüder, die Welt wäre glücklich, wenn alle auf solche Art Kindesmörder würden!