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Bekenntnisse
8. Von der Kraft und Macht des Gedächtnisses.
Hinausgehen will ich also auch über diese Kraft meiner Natur und stufenweise hinaufsteigen zu dem, der mich geschaffen hat. Und ich gelange in die Gefilde und weiten Paläste des Gedächtnisses, wo die Schätze unzählbarer Bilder, welche die Sinne von allen möglichen Dingen aufgenommen haben, sich finden. Dort ist auch alles hinterlegt, was wir denken, mögen wir nun das, was die Sinne erfaßten, erweitern oder verringern oder irgendwie verändern, ebenso das, was sonst S. 224 noch dort aufbewahrt oder hinterlegt ist, sofern es noch nicht vom Vergessen verschlungen und begraben ist. Wenn ich dort bin, so muß mir auf meinen Befehl vorgeführt werden, was ich will; einige Bilder kommen sogleich hervor, andere müssen länger aufgesucht und gewissermaßen aus verborgenen Kammern hervorgezogen werden, einige drängen sich haufenweise hervor und treten, während man vielleicht nach etwas anderem sucht und verlangt, zutage, als wollten sie sagen: „Sind wir es vielleicht?“ Diese verscheuche ich mit der Hand meines Geistes aus den Augen meiner Erinnerung, bis, was ich suche, aus dem Nebel hervortritt und aus der Verborgenheit ans Licht kommt. Wieder andere bieten sich mir ohne Mühe und in geordneter Reihenfolge dar, die früheren machen den späteren Platz, und indem sie Platz machen, werden sie etwas zurückgestellt, um, wenn ich es wünsche, von neuem hervorzutreten. Dies alles geschieht, wenn ich etwas auswendig erzähle.
In jenen Räumen des Gedächtnisses ist alles genau voneinander gesondert, klassenweise geordnet und aufbewahrt je nach dem Eingange, durch den die einzelnen Empfindungen hineingekommen sind, sowie das Licht und alle Farben und Körperformen durch die Augen, durch die Ohren aber alle Arten von Tönen, alle Gerüche durch die Nase, alle Geschmacksempfindungen durch den Mund aufgenommen werden, durch das Gefühl aber, das dem ganzen Körper eigen ist, was hart oder weich, was heiß oder kalt, was glatt oder rauh, was schwer oder leicht ist, mag es sich außerhalb oder innerhalb des Körpers befinden. All dieses nimmt die weite Halle des Gedächtnisses mit ihren ich weiß nicht was für geheimen und unbeschreiblichen Verzweigungen auf, um es bei gegebener Zeit wieder hervorzuholen und wieder vorzunehmen: alles tritt durch seine besondere Pforte in jene Räume ein und findet darin seinen Platz. Doch kommen die Dinge nicht selbst hinein, sondern nur die Bilder der wahrgenommenen Dinge, die dort unserm Denken zur Verfügung stehen, wenn wir uns ihrer erinnern. Wer aber kann sagen, wie diese Bilder entstanden sind, obwohl wir wissen, durch welche Sinne sie aufgenommen und im Innern geborgen worden sind? S. 225 Denn wenn auch Dunkelheit und Stille rings um mich herrscht, kann ich mir in meinem Gedächtnisse nach Belieben Farben vorstellen und zwischen weiß und schwarz und anderen Farben, wie es mir gefällt, unterscheiden. Und bei der Betrachtung der durch die Augen wahrgenommenen Bilder drängen sich nicht etwa störend Töne dazwischen, obwohl auch sie irgendwo dort im Gedächtnisse sind und abseits von den anderen aufbewahrt werden. Auch sie rufe ich hervor, wenn es mir gefällt, und sofort sind sie zur Stelle. Und wenn auch die Zunge ruht und die Kehle schweigt, so kann ich doch singen, soviel ich will, ohne daß jene Farbenvorstellungen, die ebensowohl dort sind, sich dazwischendrängen und mich unterbrechen, wenn der andere Schatz von Sinneseindrücken, die durch die Ohren vermittelt werden, zur Hand genommen wird, Ebenso erinnere ich mich auch nach Belieben der Eindrücke, die die andern Sinne vermitteln und nach Hause bringen; so unterscheide ich den Duft der Lilien von dem der Veilchen, ohne daß ich wirklich etwas rieche; Honig ziehe ich dem Met vor, Glattes dem Rauhen, ohne daß ich dabei etwas schmecke oder berühre, sondern nur in der Erinnerung.
Im Innern, in den weiten Räumen meines Gedächtnisses tue ich das. Da sind mir Himmel und Erde und Meer zur Hand samt allem, was ich jemals wahrnehmen konnte, mit einziger Ausnahme dessen, was ich vergessen habe. Dort begegne ich auch mir selbst und erinnere mich, was, wann und wo ich etwas und in welcher Stimmung ich es getan habe. Dort befindet sich also, wessen ich mich erinnere, habe ich es nun selbst erfahren oder auf das Wort anderer angenommen. Aus derselben Fülle entnehme ich auch bald diese, bald jene Bilder von Dingen, die ich entweder selbst wahrgenommen oder auf Grund meiner Erfahrungen anderen geglaubt habe; ich verknüpfe sie mit dem Vergangenen und schließe von ihnen aus auf Handlungen, Begebenheiten und Hoffnungen die noch der Zukunft angehören, gerade so, als ob das alles gegenwärtig sei. „Ich will dies oder jenes tun“, spreche ich bei mir in dem ungeheuren Raume meines Geistes, der angefüllt ist mit den Bildern so vieler und großer Dinge -, und dies oder S. 226 jenes wird die Folge sein. „O wenn doch dieses oder jenes wäre!“ „Möge Gott dieses oder jenes verhüten!“ Ich sage das bei mir, und während ich es sage, sind mir die Bilder aller Gegenstände die ich meine, aus dem ewig gleichen Schatze meines Gedächtnisses zur Stelle; und kein einziges von ihnen könnte ich nennen, wenn es dort nicht vorhanden wäre.
Groß, o mein Gott, ist die Macht des Gedächtnisses, überaus groß; ein weites, unermeßliches, inneres Heiligtum. Wer hat es je gegründet? Und das ist eine Kraft meines Geistes und gehört zu meiner Natur; aber dennoch fasse ich nicht ganz das, was ich bin. Also ist der Geist zu enge, um sich selbst zu fassen? Wo mag das sein, was er von sich nicht faßt? Etwa außer ihm und nicht in ihm selbst? Warum also faßt er es dann nicht? Gewaltige Verwunderung erfaßt mich, und Staunen ergreift mich deshalb. Und die Menschen gehen und bewundern die Höhen der Gebirge, die gewaltigen Wogen des Meeres, den breiten Fluß der Ströme, den Umfang des Ozeans und den Umlauf der Gestirne, auf sich selbst aber achten sie nicht, sie wundern sich nicht, daß ich dies alles, während ich davon sprach, nicht mit Augen sah, und doch würde ich nicht davon sprechen, wenn ich nicht Berge und Fluten und Ströme und Gestirne, die ich gesehen, und den Ozean, von dessen Vorhandensein ich nur gehört habe, innen in meinem Gedächtnisse in eben so gewaltiger Ausdehnung wie draußen in der Wirklichkeit erblickte. Und doch habe ich diese Gegenstände nicht etwa, als ich sie mit Augen sah, in mich aufgenommen; auch sind sie gar nicht selbst bei mir, sondern nur ihre Bilder, und ich weiß nur, welcher Sinn meines Körpers mir ihre äußere Form vermittelt hat.
Edition
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Confessiones
Caput 8
Transibo ergo et istam naturae meae, gradibus ascendens ad eum, qui fecit me, et venio in campos et lata praetoria memoriae, ubi sunt thesauri innumerabilium imaginum de cuiuscemodi rebus sensis invectarum. ibi reconditum est, quidquid etiam cogitamus, vel augendo vel minuendo vel utcumque variando ea quae sensum attigerit, et si quid aliud commendatum et repositum est, quod nondum absorbuit et sepelivit oblivio. ibi quando sum, posco, ut proferatur quidquid volo, et quaedam statim prodeunt, quaedam requiruntur diutius et tamquam de abstrusioribus quibusdam receptaculis eruuntur, quaedam catervatim se proruunt et, dum aliud petitur et quaeritur, prosiliunt in medium quasi dicentia: ne forte nos sumus? et abigo ea manu cordis a facie recordationis meae, donec enubiletur quod volo atque in conspectum prodeat ex abditis. alia faciliter atque inperturbata serie sicut poscuntur suggeruntur, et cedunt praecedentia consequentibus, et cedendo conduntur, iterum cum voluero processura. quod totum fit, cum aliquid narro memoriter. Ubi sunt omnia distincte generatimque servata, quae suo quaeque aditu ingesta sunt, sicut lux atque omnes colores formaeque corporum per oculos, per aures autem omnia genera sonorum omnesque odores per aditum narium, omnes sapores per oris aditum, a sensu autem totius corporis, quid durum, quid molle, quid calidum frigidumve, lene aut asperum, grave seu leve sive extrinsecus sive intrinsecus corpori. haec omnia recipit recolenda, cum opus est, et retractanda grandis memoriae recessus et nescio qui secreti atque ineffabiles sinus eius: quae omnia suis quaeque foribus intrant ad eam et reponuntur in ea. nec ipsa tamen intrant, sed rerum sensarum imagines illic praesto sunt cogitatione reminiscentis eas. quae quomodo fabricatae sint, quis dicit, cum appareat, quibus sensibus raptae sint interiusque reconditae? nam et in tenebris atque in silentio dum habito, in memoria mea profero, si volo, colores, et discerno inter album et nigrum et inter quos alios volo, nec incurrunt soni atque perturbant quod per oculos haustum considero, cum et ipsi ibi sint et quasi seorsum repositi lateant. nam et ipsos posco, si placet, atque adsunt illico, et quiescente lingua ac silente gutture canto quantum volo, imaginesque illae colorum, quae nihilo minus ibi sunt, non se interponunt neque interrumpunt, cum thesaurus alius retractatur, qui influxit ab auribus. ita cetera, quae per sensum ceteros ingesta atque congesta sunt, recordor prout libet et auram liliorum discerno a violis nihil olfaciens, et mel defrito, lene aspero, nihil tum gustando neque contractando, sed reminiscendo antepono. Intus haec ago, in aula ingenti memoriae meae. ibi enim mihi caelum et terra et mare praesto sunt cum omnibus, quae in eis sentire potui, praeter illa, quae oblitus sum. ibi mihi et ipse occurro, meque recolo, quid, quando et ubi egerim quoque modo, cum agerem, affectus fuerim. ibi sunt omnia, quae sive experta a me sive credita memini. ex eadem copia etiam similitudines rerum vel expertarum vel ex eis, quas expertus sum, creditarum alias atque alias et ipse contexo praeteritis; atque ex his etiam futuras actiones et eventa et spes, et haec omnia rursus quasi praesentia meditor. faciam hoc et illud dico apud me in ipso ingenti sinu animi mei pleno tot et tantarum rerum imaginibus, et hoc aut illud sequitur. o si esset hoc aut illud! avertat deus hoc aut illud!: dico apud me ista, et cum dico, praesto sunt imagines omnium quae dico ex eodem thesauro memoriae, nec omnino aliquid eorum dicerem, si defuissent. Magna ista vis est memoriae, magna nimis, deus, penetrale amplum et infinitum: quis ad fundum eius pervenit? et vis est haec animi mei atque ad meam naturam pertinet, nec ego ipse capio totum, quod sum. ergo animus ad habendum se ipsum angustus est: ut ubi sit quod sui non capit? numquid extra ipsum ac non in ipso? quomodo ergo non capit? multa mihi super hoc oboritur admiratio, stupor adprehendit me. et eunt homines mirari alta montium, et ingentes fluctus maris, et latissimos lapsus fluminum, et Oceani ambitum, et gyros siderum, et relinquunt se ipsos, nec mirantur, quod haec omnia cum dicerem, non ea videbam oculis, nec tamen dicerem, nisi montes et fluctus et flumina et sidera, quae vidi, et Oceanum, quem credidi, intus in memoria mea viderem spatiis tam ingentibus, quasi foris viderem. nec ea tamen videndo absorbui, quando vidi oculis; nec ipsa sunt apud me, sed imagines eorum, et novi: quid ex quo sensu corporis impressum sit mihi.