Übersetzung
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Bekenntnisse
21. Wie ist das glückselige Leben im Gedächtnisse enthalten?
Ist das glückselige Leben so in unserem Gedächtnisse, wie ich mich an Karthago erinnere, das ich gesehen habe? Nein; denn das glückselige Leben nehmen wir nicht mit den Augen wahr, weil es kein Körper ist. Etwa so, wie wir uns der Zahlen erinnern? Nein; denn wer die Zahlen kennt, sucht nicht erst in ihren Besitz zu gelangen; von dem seligen Leben aber haben wir Kunde, darum lieben wir es, und doch wollen wir es erlangen, um selig zu sein. Oder vielleicht so, wie wir uns an die Redekunst erinnern? Nein; denn wenn auch bei Nennung dieses Namens viele, die noch nicht beredt sind, sich daran erinnern und viele gern beredt sein möchten - daraus geht hervor, daß sie eine gewisse Kenntnis davon haben -, so haben sie doch die Beredsamkeit an anderen mit ihren leiblichen Sinnen wahrgenommen, haben sich darüber gefreut und wünschen ebenfalls beredt zu sein. Freilich beruht auch diese Freude nur auf innerer Erkenntnis, und sie würden nicht beredt sein wollen, wenn ihnen die Beredsamkeit keine Freude verursachte. Das glückselige Leben aber nehmen wir mit keinem Sinne an anderen wahr. Oder haben wir das glückselige Leben so in der Erinnerung wie etwa die Freude? Vielleicht so. Denn meine Freude vergegenwärtige ich mir auch in der Trauer, wie das glückselige Leben im Unglück; auch habe ich niemals meine Freude mit irgendeinem Sinn des Körpers gesehen oder gehört oder gerochen oder gekostet oder berührt, sondern in S. 240 meinem Geiste habe ich sie empfunden, wenn ich mich freute, und die Kenntnis davon blieb in meinem Gedächtnis, so daß ich mich daran erinnern kann, bald mit Geringschätzung, bald mit Sehnsucht, je nach der Verschiedenheit der Dinge, über die ich mich, wie meine Erinnerung mir sagt, gefreut habe. Denn auch schändliche Genüsse haben mich eine Art Freude kosten lassen, was ich jetzt in der Erinnerung verabscheue und verfluche; doch auch über Gutes und Ehrbares freute ich mich zuweilen, und dessen gedenke ich mit Sehnsucht, obgleich diese Freuden vielleicht jetzt nicht mehr für mich vorhanden sind, und insofern erinnere ich mich meiner früheren Freude nur mit Trauer.
Wo also und wann habe ich mein glückseliges Leben durch Erfahrung kennen gelernt, so daß ich jetzt mich seiner erinnern, es lieben und mich nach ihm sehnen kann? Und nicht ich allein oder ich mit ein paar andern, sondern alle insgesamt wollen wir glücklich sein. Und wenn wir es nicht aus so sicherer Kunde wüßten, so würden wir es nicht mit solcher Bestimmtheit verlangen. Doch wie verhält es sich mit folgendem? Wenn zwei gefragt werden, ob sie Kriegsdienste nehmen wollen, würde der eine die Frage vielleicht bejahen, der andere verneinen. Fragt man sie aber, ob sie glückselig sein wollen, so würde wohl jeder von beiden sofort und ohne alles Bedenken mit ja antworten. Und doch würde der eine gern Kriegsdienste nehmen, der andere ebenso gern darauf verzichten aus keinem anderen Grunde, als um glückselig zu sein. Ist also der Urgrund der Freude bei beiden ganz verschieden? So stimmen wohl alle in dem Wunsche nach Glückseligkeit überein, wie sie, wenn sie gefragt würden, übereinstimmen würden in dem Wunsche nach Freude; und die Freude selbst nennen sie glückseliges Leben. Und ob der eine auf diese, der andere auf jene Weise sein Ziel erstrebt das gemeinsame Ziel, nach dem sie alle streben, ist die Freude. Da nun die Freude etwas ist, das kennen gelernt zu haben wohl jeder gestehen muß, so wird sie im Gedächtnisse sofort vorgefunden und wieder erkannt, wenn man das Wort vom glückseligen Leben hört. S. 241
Edition
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Confessiones
Caput 21
Numquid ita, ut memini Carthaginem qui vidi? non; vita enim beata non videtur oculis, quia non est corpus. numquid sicut meminimus numeros? non; hos enim qui habet in notitia, non adhuc quaerit adipisci; vitam vero beatam habemus in notitia, ideoque amamus, et tamen adhuc adipisci eam volumus, ut beati simus. numquid sicut meminimus eloquentiam? non; quamvis et hoc nomine audito recordentur ipsam rem, qui etiam nondum sunt eloquentes, multique esse cupiant, unde apparet eam esse in eorum notitia; tamen per corporis sensus alios eloquentes animadverterunt et delectati sunt et hoc esse desiderant: quamquam nisi ex interiore notitia, non delectarentur, neque hoc esse vellent, nisi delectarentur: -- beatam vero vitam nullo sensu corporis in aliis experimur. numquid sicut meminimus gaudium? fortasse ita. nam gaudium meum etiam tristis memini sicut vitam beatam miser; neque umquam corporis sensu gaudium meum vel vidi vel audivi vel odoratus sum vel gustavi vel tetigi, sed expertus sum in animo meo, quando laetatus sum, et adhaesit eius notitia memoriae meae, ut id reminisci valeam aliquando cum aspernatione, aliquando cum desiderio, pro earum rerum diversitate, de quibus me gavisum esse memini. nam et de turpibus gaudio quodam perfusus sum, quod nunc recordans detestor atque exsecror, aliquando de bonis et honestis, quod desiderans recolo, tametsi forte non adsunt, et ideo tristis gaudium pristinum recolo. Ubi ergo et quando expertus sum vitam meam beatam, ut recorder eam et amem et desiderem? nec ego tantum aut cum paucis, sed beati prorsus omnes esse volumus. quod nisi certa notitia nossemus, non tam certa voluntate vellemus. sed quid est hoc? quid? si quaeratur a duobus, utrum militare velint, fieri possit, ut alter eorum velle se, alter nolle respondeat: si autem ab eis quaeratur, utrum esse beati velint, uterque se statim sine dubitatione dicat optare, nec ob aliud ille velit militare, non ob aliud iste nolit, nisi ut beati sint. num forte quoniam alius hinc, alius inde gaudet? ita se omnes beatos esse velle consonant, quemadmodum consonarent, si hoc interrogarentur, se velle gaudere atque ipsum gaudium vitam beatam vocant. quod etsi alius hinc, alius illinc assequitur, unum est tamen, quo pervenire omnes nituntur, ut gaudeant. quae quoniam res est, quam se expertum non esse nemo potest dicere, propterea reperta in memoria recognoscitur, quando beatae vitae nomen auditur.