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Bekenntnisse
27. Die Zeit wird in ihrer Fortdauer in der Seele gemessen.
Meine Seele, halte inne und merke wohl auf: Gott ist unsere Hilfe; „er selbst hat uns geschaffen, und nicht wir etwa“1. Sieh zu, wo das Morgenrot der Wahrheit aufgeht. Denke dir, ein Körper beginnt einen Ton von sich zu geben, er tönt und tönt fort und verhallt; schon ist er stille geworden; der Ton ist verklungen, und der Ton ist nicht mehr da. Bevor der Ton erklang, war er zukünftig und konnte noch nicht gemessen werden, weil er noch nicht war, und jetzt kann er nicht gemessen werden, weil er nicht mehr ist. Damals also, während er tönte, konnte er gemessen werden, denn damals war er da und konnte also gemessen werden. Jedoch auch damals war er nicht von Dauer; er ging nämlich und ging vorüber. Aber vielleicht ließ er sich gerade deshalb messen? Denn während er vorüber ging, dehnte er sich zu einer gewissen Dauer aus, in der man ihn messen konnte, während die reine Gegenwart keine Ausdehnung hat. Wenn er also damals gemessen werden konnte, so stelle dir etwas anderes vor: Ein anderer Ton fing zu tönen an, und er tönt noch fortwährend und ohne jede Unterbrechung. Messen wir ihn, während er tönt; denn wenn er zu tönen aufgehört hat, wird er bereits vorübergegangen sein und wird nicht mehr gemessen werden können. Messen wir ihn also wirklich und bestimmen wir seine Dauer! Allein er tönt ja noch und kann doch nur gemessen werden von dem Augenblicke ab, da er zu ertönen begann, bis zu dem, da er aufhört. Denn die Zwischenzeit können wir ja nur durch Anfang und Ende bestimmen. Daher kann man einen Ton, der noch nicht zu Ende ist, nicht messen und seine Länge und Kürze bestimmen, noch kann man sagen, er sei einem anderen gleich oder im Vergleich zu einem anderen einfach oder doppelt usw. Ist er aber zu Ende, so ist er überhaupt nicht mehr. Wie soll man ihn dann also messen können? Und doch messen wir die Zeiten, aber nicht die, die noch nicht sind, auch die nicht, die nicht mehr sind, noch die, die sich auf keine Dauer erstrecken, S. 296 noch die, die keine Grenzen haben. Also messen wir weder die zukünftige noch die vergangene noch die gegenwärtige noch die vorübergehende Zeit, und dennoch messen wir die Zeit.
„O Gott, du Schöpfer dieser Welt“: dieser Vers besteht aus acht abwechselnd kurzen und langen Silben; vier also sind kurz, die erste, dritte, fünfte und siebte, und darum halb so lang als die vier langen, die zweite, vierte, sechste und achte. Diese letzteren erfordern im Vergleiche zu jenen kurzen die doppelte Zeitdauer; ich spreche sie aus, wiederhole sie, und es verhält sich tatsächlich so, soweit ich es mit meinen Sinnen offenbar wahrnehmen kann. Soweit nun die sinnliche Wahrnehmung zuverlässig ist, messe ich eine lange Silbe durch eine kurze und empfinde, daß sie doppelt so lang wie diese ist. Aber wenn die eine nach der anderen und zwar die kurze zuerst, die lange hinterher ertönt, wie soll ich die kurze festhalten und wie sie als Maßstab an die lange legen, um zu finden, daß diese doppelt so lang ist? Die lange Silbe fängt ja doch erst zu tönen an, wenn die kurze aufgehört hat. Messe ich etwa auch die lange Silbe nicht, während sie gegenwärtig ist, da ich sie nur messen kann, wenn sie bereits beendet ist? Ist sie aber zu Ende, so ist sie überhaupt nicht mehr. Was also messe ich denn da? Und wo ist die kurze Silbe, mit der ich messe? Und wo die lange, die ich messe? Beide sind erklungen, verklungen, vorübergezogen, beide sind nicht mehr. Und ich messe und antworte mit Bestimmtheit, soweit man sich auf ein scharfes Gehör verlassen kann, daß jene einfach, jene doppelt ist, nämlich in der Zeit. Das aber kann ich nur sagen, wenn die beiden Silben bereits vorübergegangen und beendet sind. Ich messe also nicht sie selbst, die bereits nicht mehr sind, sondern ich messe etwas, was sich meinem Gedächtnisse eingeprägt hat.
In dir also, mein Geist, messe ich meine Zeiten. Wende mir nicht ein: Wieso das? Laß dich selbst nicht irre machen durch die Scharen der Eindrücke, die du empfängst. In dir, sage ich, messe ich die Zeiten. Den Eindruck, den die vorübergehenden Dinge auf dich machen und der auch, nachdem sie vorübergegangen, S. 297 bleibt, diesen mir gegenwärtigen Eindruck also messe ich, nicht das, was vorübergegangen ist und in dir den Eindruck hervorgerufen hat; diesen messe ich, wenn ich die Zeit messe. Entweder ist er also die Zeit, oder es ist nicht die Zeit, die ich messe. Wie nun, wenn wir das Stillschweigen messen und dann behaupten wollten, jenes Stillschweigen habe so lange gedauert, wie jene Stimme anhält? Dehnen wir da nicht unsere Gedanken nach der Dauer der Stimme, als wenn sie noch ertönte, um danach die Dauer der Stille angeben zu können? Denn auch Stimme und Mund schweigen, lassen wir in Gedanken Gedichte, Verse und jegliche Rede an unserem Geiste vorüberziehen und geben dann die betreffende Ausdehnung ihres Vorüberganges und das Verhältnis der Zeitdauer von einem zum anderen genau so an, wie wenn wir sie laut aussprächen, so daß sie ertönten. Wenn jemand einen längeren Ton hervorbringen und in seinem Geiste im voraus dessen Länge bestimmen wollte, so hat er jedenfalls schon im stillen den Zeitraum bestimmt und ihn seinem Gedächtnisse übergeben; und nun fängt er an, jenen Ton hervorzubringen. Und dieser ertönt nun, bis er die festgesetzte Dauer erreicht. Oder vielmehr: er ertönte und wird ertönen. Denn was von dem Tone vollendet ist, das hat getönt, was aber noch übrig ist, das wird noch ertönen. Und so wird der Ton vollendet, indem die gegenwärtige Tätigkeit die Zukunft in die Vergangenheit überführt, indem durch die Abnahme des Zukünftigen das Vergangene immer mehr zunimmt, bis schließlich das Zukünftige gänzlich aufgezehrt und in Vergangenheit übergeführt ist.
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Ps. 99,3. ↩
Edition
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Confessiones (CSEL)
Caput 27
Insiste, anime meus, et adtende fortiter: deus adiutor noster; ipse fecit nos, et non nos. adtende, ubi albescet veritas. ecce puta vox corporis incipit sonare et sonat et ecce desinit, iamque silentium est, et vox illa praeterita est et non est iam vox. futura erat, antequam sonaret, et non poterat metiri, quia nondum erat, et nunc non potest, quia tunc erat, quae metiri posset. sed et tunc non stabat; ibat enim et praeteriebat. an ideo magis poterat? praeteriens enim tendebatur in aliquod spatium temporis, quo metiri posset, quoniam praesens nullum habet spatium. si ergo tunc poterat, ecce puta altera coepit sonare et adhuc sonat continuato tenore sine ulla distinctione: metiamur eam, dum sonat; cum enim sonare cessaverit, iam praeterita erit et non erit, quae possit metiri. metiamur plane et dicamus, quanta sit. sed adhuc sonat, nec metiri potest nisi ab initio sui, quo sonare coepit, usque ad finem, quo desinit. ipsum quippe intervallum metimur ab aliquo initio usque ad aliquem finem. quapropter vox, quae numquam finita est, metiri non potest, ut dicatur, quam longa vel brevis sit, nec dici aut aequalis alicui, aut ad aliquam simpla vel dupla, vel quid aliud. cum autem finita fuerit, iam non erit. quo pacto igitur metiri poterit? et metimur tamen tempora, nec ea, quae nondum sunt, nec ea, quae iam non sunt, nec ea, quae nulla mora extenduntur, nec ea, quae terminos non habent. nec futura ergo nec praeterita nec praesentia nec praetereuntia tempora metimur, et metimur tamen tempora. Deus creator omnium: versus iste octo syllabarum brevibus et longis alternat syllabis: quattuor itaque breves, prima, tertia, quinta, septima, simplae sunt ad quattuor longas, secundam, quartam, sextam, octavam. hae singulae ad illas singulas duplum habent temporis; pronuntio et renuntio, et ita est, quantum sentitur sensu manifesto. quantum sensus manifestus est, brevi syllaba longam metior eamque sentio habere bis tantum. sed cum altera post alteram sonat, si prior brevis, longa posterior, quomodo tenebo brevem, et quomodo eam longae metiens applicabo, ut inveniam, quod bis tantum habeat, quandoquidem longa sonare non incipit, nisi brevis sonare destiterit? ipsamque longam num praesentem metior, quando nisi finitam non metior? eius enim finitio praeteritio est. quid ergo est, quod metior? ubi est qua metior brevis? ubi est longa, quam metior? ambae sonuerunt, avolaverunt, praeterierunt, iam non sunt: et ego metior, fidenterque respondeo, quantum exercitato sensu fiditur, illam simplam esse, illam duplam, in spatio scilicet temporis. neque hoc possum, nisi quia praeterierunt et finitae sunt. non ergo ipsas, quae iam non sunt, sed aliquid in memoria mea metior, quod infixum manet. In te, anime meus, tempora mea metior. noli mihi obstrepere; quod est, noli tibi obstrepere turbis affectionum tuarum. in te, inquam, tempora metior. affectionem, quam res praetereuntes in te faciunt, et cum illae praeterierint, manet, ipsam metior praesentem, non ea quae praeterierunt, ut fieret; ipsam metior, cum tempora metior. ergo aut ipsa sunt tempora, aut non tempora metior. quid cum metimur silentia, et dicimus illud silentium tantum tenuisse temporis, quantum illa vox tenuit, nonne cogitationem tendimus ad mensuram vocis, quasi sonaret, ut aliquid de intervallis silentiorum in spatio temporis renuntiare possimus? nam et voce atque ore cessante, peragimus cogitando carmina et versus, et quemque sermonem motionumque dimensiones quaslibet, et de spatiis temporum, quantum illud ad illud sit, renuntiamus non aliter, ac si ea sonando diceremus. si voluerit aliquis edere longiusculam vocem, et constituerit praemeditando, quam longa futura sit, egit utique iste spatium temporis in silentio, memoriaeque commendans coepit edere illam vocem, quae sonat, donec ad propositum terminum perducatur: immo sonuit et sonabit; nam quod eius iam peractum est, utique sonuit, quod autem restat, sonabit, atque ita peragitur, dum praesens intentio futurum in praeteritum traicit, deminutione futuri crescente praeterito, donec consumptione futuri sit totum praeteritum.