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Werke Augustinus von Hippo (354-430) Confessiones

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Bekenntnisse

2. Seine Leidenschaft für das Theater.

Mich rissen hin die Schauspiele, in denen ich meine Leiden und den Zündstoff für meine Leidenschaft wiederfand. Warum will doch der Mensch dort Szenen voll Trauer und Jammer anschauen, die er in Wirklichkeit nicht durchmachen möchte? Und doch will der Zuschauer schmerzlich gerührt werden, ja der Schmerz selbst ist seine Lust. Ist das nicht ein bedauernswerter Wahnsinn? Denn je mehr jemand unter solchen Affekten zu leiden hat, desto mehr wird er auch durch jene Darstellungen erschüttert; leidet man selbst, so nennt man es Leid, empfindet man mit andern, so nennt man es Mitleid. Wie aber kann bei Dichtungen und szenischen Darstellungen von Mitleid die Rede sein? Der Zuschauer wird ja nicht um Hilfe angegangen, sondern zum Schmerze eingeladen, und je mehr er Schmerz empfindet, desto höher schätzt er den Darsteller solcher Bilder. Und wenn jene tragischen Ereignisse aus dem Mythus des Altertums oder aus dem Kreise der Dichtung so aufgeführt würden, daß der Zuschauer keinen Schmerz empfände, so ginge er gelangweilt und unter Ausdrücken des Tadels von dannen; wird er aber S. 41 schmerzlich ergriffen, so harrt er in gespannter Aufmerksamkeit aus und weint in seiner Freude.

Werden also auch Tränen und Schmerzen geliebt? Jeder Mensch strebt doch nach Freude. Oder werden etwa aus dem Grunde Schmerzen geliebt, weil, wenn man das Leid vermeidet, man doch gern Mitleid empfindet, dieses aber ohne Schmerz undenkbar ist? Auch dies entstammt wohl jener Quelle der Freundschaft? Aber wohin strömt sie? wo mündet sie? Warum strömt sie in jenen reißenden Strom siedenden Peches, in jene gewaltigen Brandungen schändlicher Lüste? Warum verwandelt und verkehrt sie sich in jene Brandungen, abgelenkt und hinabgestürzt durch eigene Willkür von himmlischer Wahrheit? Soll man also das Mitleid von sich zurückweisen? Keineswegs. Also muß man sich mitunter damit abfinden, die Schmerzen zu lieben. Doch hüte dich, meine Seele, vor der Unreinigkeit unter dem Schutze meines Gottes, des Gottes unserer Väter, der hoch gelobt und gepriesen in alle Ewigkeit -- hüte dich vor der Unreinigkeit! Denn auch jetzt empfinde ich noch Mitleid; damals aber im Theater freute ich mich mit den Liebenden, wenn sie in Schande miteinander buhlten, wenn es auch nur zur Täuschung der Zuschauer auf der Bühne geschah, betrübte mich aber herzlich, wenn sie einander verloren; und doch erfreuten mich beide Situationen! Jetzt aber bemitleide ich mehr den, der in Wollüsten aufgeht, als den, der Schweres zu erdulden vermeint, wenn ihm verderbliche Lust entgeht und er ein jämmerliches Glück verliert. Da ist sicher das wahre Mitleid, aber dieser Schmerz kennt keine Freude. Denn wenn auch, wer einen Verirrten beklagt, das lohnende Bewußtsein erfüllter Liebespflicht hat, so möchte doch echtes Mitleid von vornherein auf solchen Schmerz verzichten. Wenn es nämlich übelwollendes Wohlwollen gäbe - was unmöglich ist! -, dann wäre der Fall denkbar, daß einer aus wahrhaftem und aufrichtigem Mitleidsgefühl heraus sich leidende Elende wünschte, nur um sie bemitleiden zu können. Und so kann man wohl einige Schmerzen billigen, keinen aber lieben. Weil du also, o Herr mein Gott, der du die Seelen liebst weit reiner und inniger als wir, von keinem S. 42 Schmerze verwundet wirst, ist auch deine Erbarmung lauterer und dauernder. „Welcher Mensch aber ist dazu imstande?“1

Aber ich Elender liebte damals den Schmerz und suchte nach einer Ursache für meinen Schmerz, und umso mehr gefiel mir bei fremdem, unechtem Leide des Mimen Spiel, umso mehr lockte es mich an, je mehr Tränen es mir auspreßte. Was Wunder, wenn ich da als unglückliches Schaf, das weit von deiner Herde wegirrte und deiner Hut sich entzog, von schrecklichem Aussatze entstellt wurde? Daher kam also meine Lust am Schmerze, freilich nicht an solchem, der imstande war, mich tiefer zu verwunden - ich liebte es mehr, solche Schmerzen anzusehen als sie zu erdulden -, sondern ich wollte mich nur, wenn ich von solchen erdichteten Schmerzen hörte, oberflächlich rühren lassen; doch folgten auch solchem Tun wie beim Kratzen mit den Nägeln entzündete Geschwülste, Fäulnis und ekler Eiter. Konnte mein Leben unter diesen Umständen, o mein Gott, überhaupt noch Leben heißen?


  1. 2 Kor. 2,16. ↩

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Confessiones (PL)

CAPUT II. Amavit spectacula tragica.

2. Rapiebant me spectacula theatrica, plena imaginibus miseriarum mearum, et fomitibus ignis mei. Quid est quod ibi homo vult dolere, cum spectat luctuosa atque tragica, quae tamen pati ipse nollet? Et tamen pati vult ex eis dolorem spectator, et dolor ipse est voluptas ejus. Quid est, nisi miserabilis insania? Nam eo magis eis movetur quisque, quo minus a talibus affectibus sanus est: quanquam cum ipse patitur, miseria; cum aliis compatitur, misericordia dici solet. Sed qualis tandem misericordia in rebus fictis et scenicis? Non enim ad subveniendum provocatur auditor; sed tantum ad dolendum invitatur: et actori carum imaginum amplius favet, cum amplius dolet. Et si calamitates illae hominum vel antiquae vel falsae sic agantur, ut qui spectat non doleat; abscedit inde fastidiens et reprehendens: si autem doleat, manet intentus, et gaudens lacrymatur.

[Col. 0684]

3. Ergo amantur et dolores? Certe omnis homo gaudere vult. An cum miserum neminem esse libeat, libet tamen esse misericordem; quod quia non sine dolore est, hac una causa amantur dolores? Et hoc de illa vena amicitiae est. Sed quo vadit? quo fluit? Utquid decurrit in torrentem picis bullientis aestus in manes tetrarum libidinum, in quos ipsa mutatur et vertitur per nutum proprium de coelesti serenitate detorta atque dejecta? Repudietur ergo misericordia? Nequaquam. Ergo amentur dolores aliquando. Sed cave immunditiam, anima mea, sub tutore Deo meo, Deo patrum nostrorum, et laudabili et superexaltato in omnia saecula 1; cave immunditiam. Neque enim nunc non misereor; sed tunc in theatris congaudebam amantibus, cum sese fruebantur per flagitia, quamvis haec imaginarie gererent in ludo spectaculi. Cum autem sese amittebant, quasi misericors contristabar; et utrumque delectabat tamen. Nunc vero magis misereor gaudentem in flagitio, quam velut dura perpessum detrimento perniciosae voluptatis, et amissione miserae felicitatis. Haec certe verior misericordia; sed non in ea delectat dolor. Nam etsi approbatur officio charitatis qui dolet miserum; mallet tamen utique non esse quod doleret, qui germanitus misericors est. Si enim est malevola benevolentia, quod fieri non potest; potest et ille qui veraciter sinceriterque miseretur, cupere esse miseros ut misereatur. Nonnullus itaque dolor approbandus, nullus amandus est. Hoc enim tu, Domine Deus, qui animas amas, longe lateque purius quam nos, et incorruptibilius misereris, quod nullo dolore sauciaris. Et ad haec quis idoneus?

4. At ego tunc miser dolere amabam, et quaerebam ut esset quod dolerem, quando mihi in aerumna aliena, et falsa, et saltatoria, ea magis placebat actio histrionis, meque alliciebat vehementius, qua mihi lacrymae excutiebantur. Quid autem mirum cum infelix pecus aberrans a grege tuo, et impatiens custodiae tuae turpi scabie foedarer? Et inde erant dolorum amores, non quibus altius penetrarer; non enim amabam talia perpeti, qualia spectare; sed quibus auditis et fictis, tanquam in superficie raderer: quos tamen quasi ungues scalpentium fervidus tumor, et tabes, et sanies horrida consequebatur. Talis vita mea, numquid vita erat, Deus meus?


  1. Dan. III, 32 ↩

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Prolegomena
The Opinion of St. Augustin Concerning His Confessions, as Embodied in His Retractations, II. 6
Translator's Preface - Confessions

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