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Bekenntnisse
16. Die Kategorien des Aristoteles und andere philosophische Fragen erfasst er ohne Beihilfe eines Lehrers.
Und was nützte es mir, daß mir in meinem zwanzigsten Lebensjahre ein Werk des Aristoteles mit dem Titel „Von den zehn Kategorien“1 in die Hände fiel? Da mein Lehrer, ein Redner zu Karthago, und andere, die für gelehrt galten, sie immer nur mit stolz aufgeschwollenen Backen erwähnten, fiel ich über sie wie über etwas Großes und Göttliches her. Was nun nützte mir Lektüre und Studium dieses Werkes? Besprach ich mich mit Freunden, die mir versicherten, sie hätten es kaum unter der Leitung der gelehrtesten Lehrer verstanden, obwohl diese es nicht nur durch Worte erklärt, sondern auch durch vielfache Zeichnungen anschaulich gemacht hätten, so konnten sie mir nichts anderes sagen als was ich selbst schon gefunden hatte, da ich es allein las. Auch schien mir das Werk deutlich genug über die Substanzen zu sprechen, so z. B. über die Substanz Mensch, und über das, was sich in den Substanzen findet, z. B. über die Gestalt des Menschen wie er aussieht, wie groß er ist, seine Verwandtschaft, wessen Bruder er ist; wo er seinen Wohnsitz hat oder wann er geboren S. 79 ist; ob er steht oder sitzt, beschuht oder bewaffnet ist, etwas tut oder leidet, kurz alles, was sonst noch - das ist aber unzählig viel - unter die neun Gattungen von diesen Kategorien, von denen ich einige des Beispiels halber hergesetzt habe, oder unter die Substanzkategorie gehört.
Was nützte mir dieses? Ja es hat mir sogar geschadet, da ich in dem Wahne, jene zehnfache Prädizierung umfasse alles erdenkliche Sein, auch dich, o mein Gott, dich, den wunderbar Einfachen und Unvergänglichen, in der Weise verstehen wollte, als ob du von deiner Größe und Schönheit abhängig seiest, so daß diese nur Eigenschaften an dir seien wie an einem Körper; und doch bist du selbst deine Größe und Schönheit, der Körper ist aber nicht insofern Körper, weil er groß und schön ist, weil er ja auch Körper bliebe, wenn er weniger groß und weniger schön wäre. Verkehrtheit war es also, was ich von dir dachte, nicht Wahrheit, Truggebilde meines elenden Wahns, nicht der feste Boden deiner Seligkeit. Denn du hattest befohlen, und so geschah mir, daß mir „die Erde Disteln und Dornen“2 hervorbrachte und ich nur unter Mühen mein Brot finden sollte.
Und welchen Nutzen brachte es mir, daß ich, damals der schlimmste Sklave böser Lüste, alle Bücher der sogenannten freien Künste für mich las und, soweit ich sie nur zu lesen bekam, auch zu verstehen suchte? Ich fand meine Freude an ihnen, wußte aber nicht, woher das Wahre und Gewisse in ihnen stamme. Denn ich hatte dem Lichte meinen Rücken und mein Angesicht dem Beleuchteten zugekehrt, so daß mein Gesicht selbst, mit dem ich das Erleuchtete schaute, nicht erleuchtet war. Was alles ich von der Kunst der Beredsamkeit und der Erörterung, von Geometrie, von Musik und Arithmetik ohne große Schwierigkeit, ohne irgendeinen Lehrer gelernt habe, du weißt es, Herr mein Gott, weil ja rasches Verständnis und Schärfe des Urteils dein Geschenk sind. Aber ich brachte dir dafür kein Dankopfer dar, und darum brachten sie mir nicht Nutzen, sondern vielmehr S. 80 Verderben; denn ich war nur darauf bedacht, einen so guten Teil meines Vermögens für mich zu behalten, und „ich bewahrte meine Stärke nicht für dich auf“3, sondern „zog weg von dir in ein fernes Land“4, um es in buhlerischer Begier zu vergeuden. Denn was nützte mir mein Vermögen, da ich von ihm keinen guten Gebrauch machte? Ich achtete nicht einmal darauf, wie jene Künste auch von den Fleißigsten und Tüchtigsten nur sehr schwer verstanden wurden, es sei denn, daß ich sie ihnen zu erklären versuchte, und ich hielt den für den Trefflichsten unter ihnen, der meiner Erklärung nicht allzu langsam folgte.
Aber was nutzte mir das in meinem Wahne, daß du, Herr, Gott, Wahrheit, ein ungeheurer Lichtkörper seiest und ich ein Teilchen von jenem Körper? Unendliche Verkehrtheit! Aber ich war so und erröte nicht, mein Gott, dir deine Barmherzigkeit gegen mich zu bekennen und dich anzurufen; damals habe ich mich nicht geschämt, den Menschen meine Gotteslästerungen laut vorzutragen und gegen dich zu bellen. Was nützte mir also damals mein Geist, der sich so rasch in jenen Wissenschaften zurechtfand, und was nützten mir die Bücher, deren Lehren ich trotz ihrer Schwierigkeiten ohne Beihilfe menschlichen Unterrichts mir völlig zu eigen machte, da ich in der Lehre des Heils so häßlich und in gotteslästerlicher Schande dem Irrtum anhing? Und was schadete deinen Kleinen ihre weit langsamere Fassungskraft, da sie sich nicht so weit von dir entfernten, sondern im Neste deiner Kirche in Sicherheit flügge wurden und die Schwingen der Liebe durch die Nahrung gesunden Glaubens zur vollen Entwicklung brachten? O Herr unser Gott, „unter dem Schatten deiner Flügel“5 wollen wir hoffen, du aber "schütze" und trage uns. Du wirst uns tragen; tragen wirst du uns in der Jugend, und „bis ins Greisenalter“6 wirst du uns tragen, Denn bist du unsere Stärke, so ist es tatsächlich S. 81 Stärke, verlassen wir uns aber auf unsere Stärke, so sind wir kraftlos. Bei dir lebt ewig unser Gut, und weil wir uns von dir abgekehrt haben, darum sind wir verkehrt worden. Wir wollen zu dir zurückkehren, um nicht ausgekehrt zu werden; denn bei dir lebt in herrlicher Fülle unser Gut, weil du es selbst bist; und deshalb brauchen wir nicht zu fürchten, daß es uns an einer Heimat zur Rückkehr gebreche, als wir von dort hinwegstürzten. Sind wir auch ferne, unser Haus, deine Ewigkeit, stürzt nicht ein. S. 82
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Die Kategorien des Aristoteles sind: A. Die Grundkategorie des Seins (ἡ οὐσία). B. Die akzidentiellen Kategorien 1) der Qualität (τὸ ποιὸν); 2) der Größe (τὸ ποσόν); 3) der Beziehung zu anderem Sein (τὸ πρὸς τί); des Raumes (ποῦ); 5) der Zeit (ποτέ); 6) der Lage (κεῖσθαι); 7) der einzelnen Merkmale (ἔχεσθαι); 8) des Tuns (ποιεῖν); 9) des Leidens (πάσχειν). ↩
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Gen. 3,18. ↩
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Ps. 58,10. ↩
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Luk. 15,13. ↩
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Ps. 62,8 und 16,8. ↩
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Js. 46,4. ↩
Edition
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Confessiones (CSEL)
Caput 16
Et quid mihi proderat, quod annos natus ferme viginti, cum in manus meas venissent Aristotelica quaedam, quas appellant decem categorias -- quarum nomine, cum eas rhetor Carthaginiensis, magister meus, buccis typho crepantibus commemoraret et alii qui docti habebantur, tamquam in nescio quid magnum et divinum suspensus inhiabam -- legi eas solus et intellexi? quas cum contulissem cum eis, qui se dicebant vix eas, magistris eruditissimis non loquentibus tantum, sed multa in pulvere depingentibus, intellexisse, nihil inde aliud mihi dicere potuerunt, quam ego solus apud me ipsum legens cognoveram; et satis aperte mihi videbantur loquentes de substantiis, sicuti est homo, et quae in illis essent, sicuti est figura hominis, qualis sit, et statura, quot pedum sit, aut cognatio, cuius frater sit, aut ubi sit constitutus aut quando natus, aut stet an sedeat, aut calciatus vel armatus sit, aut aliquid faciat aut patiatur aliquid, et quaecumque in his novem generibus, quorum exempli gratia quaedam possui, vel in ipso substantiae genere innumerabilia reperiuntur. Quid hoc mihi proferat, quando et oberat, cum etiam te, deus meus, mirabiliter simplicem atque incommutabilem, illis decem praedicamentis putans quidquid esset omnino comprehensum, sic intellegere conarer, quasi et tu subiectum esses magnitudini tuae aut pulchritudini, ut illa essent in te quasi in subiecto, sicut in corpore: cum tua magnitudo et tua pulchritudo tu ipse sis, corpus autem non eo sit magnum et pulchrum, quo corpus est, quia etsi minus magnum et minus pulchrum esset, nihilominus corpus esset? falsitas enim erat, quam de te cogitabam, non veritas, et figmenta miseriae meae, non firmamenta beatitudinis tuae. iusseras enim, et ita fiebat in me, ut terra spinas et tribolos pareret mihi, et cum labore pervenirem ad panem meum. Et quid mihi proderat, quod omnes libros artium, quas liberales vocant, tunc nequissimus malarum cupiditatum servus per me ipsum legi et intellexi, quoscumque legere potui? et gaudebam in eis, et nesciebam, unde esset quidquid ibi verum et certum esset. dorsum enim habebam ad lumen, et ad ea, quae inluminantur, faciem: unde ipsa facies mea, qua inluminata cernebam, non inluminabatur. quidquid de arte loquendi et disserendi, quidquid de dimensionibus figurarum et de musicis et de numeris, sine magna difficultate nullo hominum tradente intellexi, scis tu, domine deus meus, quia et celeritas intellegendi et dispiciendi acumen donum tuum est. sed non inde sacrificabam tibi. itaque mihi non ad usum, sed ad perniciem magis valebat, quia tam bonam partem substantiae meae sategi habere in postestate, et fortitudinem meam non ad te custodiebam, sed profectus sum abs te in longinquam regionem, ut eam dissiparem in meretrices cupidates. nam quid mihi proderat bona res non utenti bene? non enim sentiebam illas artes etiam ab studiosis et ingeniosis difficillime intellegi, nisi cum eis eadem conabar exponere, et erat ille excellentissimus in eis, qui me exponentem non tardius sequeretur. Sed quid mihi hoc proderat putanti, quod tu, domine deus veritas, corpus esses lucidum et inmensum, et ego frustum de illo corpore? nimia perversitas! sed sic eram; nec erubesco, deus meus, confiteri tibi in me misericordias tuas et invocare te, qui non erubui tunc profiteri hominibus blasphemias meas, et latrare adversum te. quid ergo tunc mihi proderat ingenium, per illas doctrinas agile, et nullo adminiculo humani magisterii tot nodosissimi libri enodati, cum deformiter et sacrilega turpitudine in doctrina pietatis errarem? aut quid tantum oberat parvulis tuis longe tardius ingenium; cum a te longe non recederent, ut in nido ecclesiae tuae tuti plumescerent, et alas caritatis alimento sanae fidei nutrirent? o domine deus noster, in velamento alarum tuarum speremus, et protege nos et porta nos. tu portabis, tu portabis et parvulos et usque ad canos tu portabis: quoniam firmitas nostra quando tu es, tunc est firmitas, cum autem nostra est, infirmitas est. vivit apud te semper bonum nostrum, et quia inde aversi sumus, perversi sumus. revertamur iam, domine, ut non evertamur, quia vivit apud te sine ullo defectu bonum nostrum, quod tu ipse es: et non timemus, ne non sit quo redeamus, quia nos inde ruimus; nobis autem absentibus non ruit domus nostra, aeternitas tua.