3. Gott und die Engel haben ihre größte Freude an der Bekehrung der Sünder.
Gütiger Gott, wie kommt es doch, daß der Mensch über die Rettung einer Seele, die man bereits für verloren glaubte und die aus gar großer Gefahr befreit worden, sich mehr freut als wenn immerdar Hoffnung für sie bestanden hätte oder die Gefahr geringer gewesen wäre? Auch du, allbarmherziger Vater, freust dich ja mehr „über einen Sünder, der Buße tut, als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen“1. Und mit großer Freude hören wir selbst, wenn uns erzählt S. 165 wird, mit welchem Jubel der Hirte auf seinen Schultern das verirrte Schäflein nach Hause trägt, wie zur großen Freude der Nachbarn die Drachme, die das Weib wiedergefunden, wieder in deinen Schatz kommt; Tränen der Freude entlockt uns die Freudenfeier deines Hauses, wenn wir von dem jüngeren Sohne in deinem Hause lesen: „Er war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden worden“2. Du bist's, der sich da in uns freut und in deinen Engeln, die heilig sind durch heilige Liebe. Denn du bleibst immer derselbe, und auch was nicht immer und auf dieselbe Weise existiert, erkennst du immer auf dieselbe Weise.
Was also geht in der Seele vor, daß sie sich mehr freut, wenn sie Gegenstände, die sie liebt, wiederfindet oder wiedererhält, als wenn sie sie ständig besessen hätte? Daß dem so ist, dafür sprechen noch viele andere Zeugnisse, und überall rufen uns solche entgegen: "So ist es". Es triumphiert der siegreiche Kaiser; und er hätte nicht gesiegt, wenn er nicht gekämpft hätte, und je größer die Gefahr in der Schlacht, desto größer die Freude des Triumphes. Ein Sturm schleudert die Seefahrer hin und her, und Schiffbruch droht; alle erblassen angesichts des nahen Todes; aber Himmel und Meer werden ruhig, und übergroß wird ihre Freude, wie ihre Furcht übergroß war. Ein Freund ist krank, sein Puls verkündet Schlimmes; alle Herzen, die seine Genesung wünschen, leiden mit ihm. Aber er erholt sich; zwar wandelt er noch nicht mit der früheren Kraft umher, aber die Freude ist schon größer als damals, da er noch in Gesundheit und Kraft einherging. Selbst die rein sinnliche Freude des menschlichen Lebens erwerben sich die Menschen nicht durch unerwartete und gegen ihren Willen auf sie eindringende Beschwerden, sondern durch solche, die sie absichtlich herbeiführen. Essen und Trinken macht kein Vergnügen, wenn nicht die Beschwerde des Hungers und Durstes vorhergeht. Die Trinker genießen etwas Gesalzenes, so daß ein lästiges Brennen entsteht; der Genuß entsteht dann, wenn sie das Brennen durch Trinken löschen. Ebenso ist es auch S. 166 Brauch, daß verlobte Bräute nicht sofort dem Manne übergeben werden; erst muß der Bräutigam sich nach der Braut sehnen, damit der Gatte nicht die Gattin gering achte.
So ist es bei schändlicher und verabscheuungswürdiger Freude, so bei gestatteter und erlaubter, so bei dem lautersten Freundschaftsverhältnisse, so bei dem, der "gestorben war und wieder lebendig geworden, der verloren war und wiedergefunden worden ist". Überall geht der größeren Freude größeres Leid voraus. Wie kommt dies, Herr, mein Gott, da dir die Freude ewig dauert, du selbst die Freude bist und die Geschöpfe in deiner Umgebung stete Freude genießen? Warum ist deine Schöpfung hienieden in stetem Wechsel von Rückgang und Fortschritt, von Verfeindung und Versöhnung begriffen? Oder ist eben dies ihre Weise und die ihr zugewiesene Ordnung, als du von der Höhe des Himmels bis in die Tiefen der Erde, vom Anfang der Zeiten bis zu ihrem Ende, vom Cherub bis zum Wurm, von der ersten Regung bis zur letzten alle Arten der Güter, all deine gerechten Werke an die ihnen zukommende Stelle gesetzt und zur richtigen Zeit hast wirken lassen? Wehe mir! Wie erhaben bist du in deinen Höhen, wie tief in deinen Tiefen! Nirgendshin entfernst du dich, und doch wird es uns so schwer, zu dir zu gelangen!
