11. Von der Verzückung und dem Tode seiner Mutter.
Ich weiß nicht mehr genau, was ich meiner Mutter hierauf geantwortet habe; etwa nach fünf Tagen oder doch nicht viel später wurde sie von einem Fieber befallen. Während ihrer Krankheit verfiel sie eines Tages in Ohnmacht und lag eine kurze Weile bewußtlos. Wir eilten herzu, aber schnell kam sie wieder zu sich, blickte mich und meinen Bruder1, die wir an ihrem Lager standen, an und sprach zu uns in halbfragendem Tone: S. 208 „Wo war ich?“ Und als sie uns dann von Trauer überwältigt sah, fügte sie hinzu: „Ihr werdet eure Mutter hier begraben“. Ich schwieg und hemmte mit Gewalt meine Tränen. Mein Bruder aber sprach einige Worte und drückte dabei den Wunsch aus, daß sie nicht in der Fremde, sondern in der Heimat sterben möchte. Als sie das gehört, warf sie ihm mit ängstlicher Miene einen strafenden Blick zu, daß er solche Gedanken hege, schaute dann mich an und sprach: „Höre doch, was er sagt“. Und bald danach zu uns beiden: „Begrabet diesen Leib, wo ihr wollt; machet euch um ihn keine Sorge. Nur darum bitte ich: gedenket meiner am Altare Gottes, wo ihr auch seid.“ Als sie diese Gedanken, so gut sie es vermochte, ausgesprochen, verstummte sie, und die Krankheit nahm an Heftigkeit zu.
Ich aber gedachte deiner Gaben, unsichtbarer Gott, die du in die Herzen deiner Gläubigen senkest, damit wunderbare Früchte aus ihnen hervorsprießen; ich freute mich und sagte dir Dank; denn ich wußte und erinnerte mich sehr wohl, welche Sorge sie immer in betreff ihres Grabmales gehabt hatte, das sie sich an der Seite ihres Gatten ausersehen und vorbereitet hatte. Denn weil sie in so großer Eintracht gelebt hatten, wünschte sie sich, da ihr Geist noch weniger empfänglich für Göttliches war, es möge dies eine noch zu ihrem Glücke hinzukommen und im Andenken der Menschen bleiben, daß es ihr vergönnt gewesen sei, nach der letzten Pilgerfahrt über See von derselben Erde wie der Gatte bedeckt zu werden. Wann aber dieser nichtige Wunsch vor dem volleren Strahle deiner Gnade aus ihrem Herzen schwand, wußte ich nicht, aber voll ehrlicher Bewunderung freute ich mich, daß sie mir so erschienen war; übrigens war schon in unserer vorher erwähnten Unterhaltung am Fenster, da sie sagte: „Was tue ich noch hier?“, das Verlangen, im Vaterlande zu sterben, nicht mehr hervorgetreten. Später erfuhr ich noch, daß sie schon während des Aufenthaltes in Ostia in meiner Abwesenheit mit einigen Freunden in mütterlicher Vertraulichkeit sich über die Verachtung dieses Lebens und das Glück des Todes unterhalten habe. Jene staunten über den Starkmut der Frau - du hattest S. 209 ihn ihr verliehen - und fragten sie, ob sie nicht schaudere, den Körper so weit von der Heimat zu verlassen. Da antwortete sie: „Von Gott ist nichts fern, und ich brauche nicht zu fürchten, daß er am Ende der Welt nicht wisse, woher er mich auferwecken solle“. Also wurde jene gottesfürchtige und fromme Seele am neunten Tage ihrer Krankheit, im sechsundfünfzigsten Jahre ihres Alters, in meinem dreiunddreißigsten Lebensjahre vom Körper befreit.
-
Der Bruder hieß Navigius. ↩