28. Über die verschiedene Auffassung der Gelehrten von der Heiligen Schrift.
Andere aber, denen diese Worte kein Nest mehr sind, sondern schattiges Gebüsch, sehen in ihnen verborgene Früchte, fliegen fröhlich herzu, suchen zwitschernd nach ihnen und pflücken sie. Wenn sie nämlich diese Worte lesen oder hören, so sehen sie, o Gott, daß in Ewigkeit dein unveränderliches Sein über alle vergangenen und zukünftigen Zeiten erhaben ist, trotzdem aber kein Geschöpf existiert, das du nicht geschaffen; S. 330 sie sehen, daß du dein eigener Wille bist, der sich in keiner Weise geändert hat; du hast alles geschaffen nach einem Willen, der von Ewigkeit da war, nicht erst in der Zeit entstand; nicht dein Ebenbild aus deinem Wesen, das Urbild aller Dinge, sondern aus dem Nichts ein gestaltloses, dir ganz unähnliches Sein, das seine Gestaltung erst durch dein Ebenbild erhalten sollte, damit jede Art von Geschöpfen nach Maßgabe der ihr verliehenen Befähigung nach dir allein zurückstrebe. So war deine Absicht, „alles sehr gut“ zu gestalten, mag es nun in deiner Nähe bleiben oder stufenweise nach Zeit und Ort von dir sich entfernend die herrlichen Veränderungen des Weltalls bewirken oder an sich erfahren. Das sehen diese, und sie freuen sich im Lichte deiner Wahrheit, soweit sie es hienieden vermögen.
Ein anderer von ihnen beachtet die Worte: „Im Anfange schuf Gott“, und versteht unter dem Anfange die Weisheit, „weil auch sie selbst zu uns redet“1. Wieder ein anderer beachtet ebenfalls diese Worte und versteht unter Anfang das Entstehen der geschaffenen Dinge: die Worte „Im Anfange schuf Gott“ bedeuten ihm: Zuerst schuf er. Und von jenen, die unter Anfang die Weisheit verstehen, durch die du erst Himmel und Erde geschaffen, glaubt der eine, Himmel und Erde sei die noch weiter gestaltungsfähige Masse genannt worden, ein anderer ist der Ansicht, Himmel und Erde seien die bereits gestalteten und voneinander geschiedenen Einzelwesen, ein dritter meint, die allein gestaltete, geistige Schöpfung sei Himmel und die noch ungestaltete körperliche Schöpfung sei Erde genannt worden. Aber auch diejenigen, die unter Himmel und Erde die noch gestaltlose Materie verstehen, aus der erst Himmel und Erde gebildet werden sollten, sind in ihrer Auffassung gar nicht einig; sondern der eine denkt dabei an eine Materie, woraus die übersinnliche und sinnliche Welt, der andere nur an eine solche, aus der diese sichtbare, körperliche Masse, die in ihrem weiten Schoße die sichtbaren, sinnlich wahrnehmbaren Wesen birgt, gebildet werden sollte. Auch die sind gar nicht S. 331 eins, die der Ansicht sind, die bereits geordneten und ausgebildeten Einzelgeschöpfe würden an dieser Stelle Himmel und Erde genannt, sondern der eine denkt dabei an die unsichtbare und sichtbare Welt, der andere allein an die sichtbare Welt, in der wir den lichtvollen Himmel und die lichtlose Erde samt allem, was in ihnen ist, erblicken.
Joh. 8,25. ↩
